Olechowski, Thomas, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918. Ein Beitrag zur österreichischen Medienrechtsgeschichte. Manz, Wien 2004. XXIV, 736 S.
Mit seiner von
Werner Ogris angeregten Wiener Habilitationsschrift legt der Verfasser eine
umfassende Darstellung und Analyse der Entwicklung des Preßrechts – der Begriff
bedarf noch einer Erklärung – in Österreich vor. Zeitlich reicht sie von den
Anfängen einer Aufsicht über das Bücher- und Pressewesen seit der Erfindung der
Buchdruckerkunst bis zum Jahre 1918. Sie basiert auf gedruckten und
ungedruckten Quellen und der weitgehenden Ausschöpfung der kaum noch
übersehbaren Literatur zu dieser Thematik.
In der
Einleitung definiert der Verfasser den von ihm verwandten Begriff der
Medienrechtsgeschichte als Schnittmenge von Medienwissenschaften/Medienrecht,
Geschichtswissenschaften/Mediengeschichte und
Rechtswissenschaften/Rechtsgeschichte. Unter „Preßrecht“ versteht er unter Bezugnahme
auf Franz von Liszt den „Inbegriff der für die Erzeugnisse der Presse im
weiteren Sinne geltenden besonderen Bestimmungen“. Das schließt die Thematik
Aufsicht über Buchdruck und Buchhandel ganz allgemein nicht aus. Der Verfasser
nimmt aber dann eine „Beschränkung der Darstellung auf solche Normen“ vor, „die
intentional auf die Presse gerichtet sind“ (S. 4). Diese Beschränkung auf die
Presse im engeren Sinne muss er allerdings im ersten großen Kapitel, das der
Entwicklung vor 1780 gewidmet ist, wieder aufgeben, denn in dieser Zeit war der
Begriff „Bücherpolizei“ maßgebend. Darunter verstand man jede Art von
Beaufsichtigung über den Druck und die Verbreitung von Druckschriften. Während
der Entwicklung des Rechts betreffend die Aufsicht über das Bücher- und
Pressewesen ist sowohl auf der Reichsebene, als auch in den Territorien und
Städten eine solche Spezialisierung unbekannt. Ein System der Aufsicht über das
Bücher- und Pressewesen bildete sich im 16. Jahrhundert heraus. Es war geprägt
von einem wesentlichen Verfassungselement des alten Reiches, nämlich der
Doppelung der Staatsmacht zwischen Kaiser/Reich und Landesherrn/Territorien
bzw. Städten. Der Verfasser schildert den neusten Forschungsstand betreffend
die Entwicklung dieses Aufsichtssystems und widmet dabei Österreich ein
gesondertes Unterkapitel. Im sogenannten Theresianischen Zeitalter war die
Entwicklung auf der Reichsebene längst abgeschlossen bzw. blockiert. Um so
intensiver stellt sich die Entwicklung innerhalb Österreichs dar. Der Verfasser
hebt die Rolle Gerard van Swietens heraus, der nicht nur der Leibarzt Maria
Theresias, sondern auch Zensor, schließlich sogar Präsident der Wiener Zensurkommission
war.
Ein kurzer
Exkurs zu England zeigt, dass sich dort die Pressefreiheit schon seit dem Ende
des 17. Jahrhunderts durchsetzen konnte. Nachdem Joseph II. auch die Herrschaft
in den Erbländern angetreten hatte, begann eine eindrucksvolle Phase der
Reformen auch im Bereich der Zensur. Seine Denkschrift über die „Grund-Regeln
zur Bestimmung einer ordentlichen künftigen Bücherzensur“ bedeutete ein
völliges Umdenken in der bisherigen österreichischen Zensurpolitik. Nachdem die
Studien- und Zensurhofkommission begonnen hatte, die neue Politik umzusetzen,
blühten in Österreich der Büchermarkt und das Zeitungswesen auf.
Nach dem Ende
der napoleonischen Herrschaft begann in der Zeit des Deutschen Bundes mit der
Verankerung der Pressefreiheit in der Deutschen Bundesakte eine neue Ära. Der
Verfasser geht auf die strittige Frage ein, ob in Art. 18 d DBA eine
bundesverfassungsrechtliche Garantie der Pressefreiheit unter dem Vorbehalt
bestimmter durch Gesetz einzuführender Einschränkungen zu sehen ist, eine
Frage, deren Beantwortung für die Entwicklung der Grundrechte in Deutschland
und Österreich durchaus von Bedeutung ist. Er sieht in dieser Bestimmung
letztlich im Anlehnung an E. R. Huber lediglich einen Programmsatz. Die darauf
folgende Zeit wurde durch die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse, die
maßgeblich von Metternich angestoßen und inhaltlich vorgegeben waren, bestimmt.
Die Allianz der den Bund beherrschenden Großmächte Österreich und Preußen
sorgte für eine strikte Verhinderung liberalerer Pressegesetze und deren
Anwendung; sichtbar wurde dies u. a. bei der Bekämpfung des liberalen badischen
Pressegesetzes und in den Geheimen Wiener Beschlüssen von 1834, ehe Preußen
diese Allianz verließ und zu einer gemäßigteren Pressepolitik fand.
Interessante
Unterkapitel sind dem Preßgewerberecht – u. a. Konzessionserteilung etc. – und
dem Preßpolizeirecht – vor allem Organisation und Verfahren der Zensur – in
Österreich gewidmet. So war z. B. in der Zeit des Vormärz vorgegeben, dass die
Zensoren wissenschaftlicher Werke durchweg Universitätsprofessoren sein
mussten. Im ersten Unterkapitel über die „Preßfreiheit“ spannt der Verfasser
den Bogen von der josephinischen Ära bis zum Jahr 1847 und versucht, den
Bedeutungswandel des Begriffs Pressefreiheit darzustellen. Dabei wird zu Recht
die Rolle C. T. Welckers hervorgehoben.
Das Kapitel über
die erste konstitutionelle Ära beginnt mit der Aufhebung der Zensur und der
Entwicklung des Presserechts vom Pressegesetz von 1848 bis zu dem von 1849;
beide Gesetze gingen grundsätzlich von der Zensurfreiheit aus. Neu war die
Verbindung mit einem Pressestrafrecht und einer Presseprozeßordnung. Der
Verfasser verwendet hier auch den Begriff Preßzivilrecht. Er versteht darunter
u. a. die Regelung betreffend Fragen des Urheberrechts, Vorschriften über die
Ansprüche auf Schadensersatz wegen durch die Presse erlittener Schäden und das
Recht auf Gegendarstellung. Der Verfasser bringt dann in diesem Kapitel die
Pressefreiheit zum ersten Mal in Zusammenhang mit der allgemeinen
Grundrechtsentwicklung. § 5 des Grundrechtspatents von 1849 wird als „Garant
der Pressefreiheit“ hervorgehoben. Meines Erachtens geschieht dies ein wenig
kurz und spät, denn da die Pressefreiheit im Grundrechtsteil der
Paulskirchenverfassung verankert wurde, musste es vorher schon so etwas wie ein
Grundrechtsbewusstsein gegeben haben, das sich schließlich nicht in wenigen
Wochen oder Monaten herausgebildet haben kann.
In der
beginnenden Ära des Neoabsolutismus änderte sich die Einstellung der Presse
gegenüber schnell. In kurzer Zeit wurden wichtige gesetzliche Bestimmungen
zuungunsten der Presse geändert, u. a durch die Pressordnung von 1851, die es
der Regierung ermöglichte, in- und ausländische Zeitungen auch dann zu
unterdrücken, wenn kein Delikt begangen worden, sondern lediglich eine
politisch nicht opportune Richtung verfolgt worden war. Erleichtert wurde alles
dies dadurch, dass eine Volksvertretung an der Schaffung der Gesetz nicht
beteiligt war. Der Verfasser stellt fest, die fehlende Wurzel in der
Volkssouveränität sei durch die besondere Betonung der monarchischen
Legitimität als alleinige Rechtsquelle kompensiert worden. Die Rückkehr zum
Parlamentarismus entfachte später u. a. im Reichsrat eine erneute
Presserechtsdiskussion. Auch im Presszivilrecht ist z. B. im Bereich des
Berichtigungsrecht eine Verschärfung zu erkennen. Zur Problematik
Pressefreiheit stellt Verf. fest, dass für diese im neoabsolutistischem System
kein Raum war. Das System war gekennzeichnet durch ein „eigenartiges
Nebeneinander von repressiven und präventiven Methoden“.
Die letzte der
großen behandelten Perioden, die zweite konstitutionelle Ära, begann 1862 mit
einem neuen Pressegesetz, mit dem nach dem ursprünglichen Willen des
Gesetzgebers auch die Pressefreiheit verwirklicht werden sollte. Anknüpfend an
die bis 1851 geführte Diskussion sollte es eine formelle und eine materielle
Gedankenfreiheit geben; letztere bezog sich auf den „Gehalt des Gedankens“ und
fand eine Grenze in den Strafgesetzen. Mit dem Durchbruch des
Konstitutionalismus erlangte die Pressefreiheit im Staatsgrundgesetz über die
allgemeinen Rechte der Staatsbürger wieder Verfassungsrang. Die
Verfassungsänderung zog Veränderungen des Presserechts nach sich, u. a. auch
die Rückkehr zur Geschworenengerichtsbarkeit für Pressevergehen 1869.
Zeitungswesen, Buchdruck und Buchhandel konnten sich nun günstig entwickeln. Der
Verfasser stellt auch die weitere Entwicklung des Pressgewerberechts und des
Presspolizeirechts dar
Insgesamt ist
dem Verfasser eine eindrucksvolle Darstellung der Entwicklung des Presserechts
in Österreich gelungen. Die Beschränkung auf die Presse im engeren Sinne vom
Anfang des 19. Jahrhunderts an, also die Ausklammerung von Buchdruck und
Buchhandel, ist bedauerlich, aber doch wohl unverzichtbar, weil sonst ein
zweiter, nicht minder umfangreicher Band erforderlich gewesen wäre. Neu und
interessant ist die Einführung des Begriffs „Preßzivilrecht“, unter dem der
Verfasser die bislang kaum erforschten zivilrechtlichen Probleme bezüglich der
Presse untersucht. Die meisten neuen Erkenntnisse betreffen die Entwicklung
zwischen 1848 und 1918. Hier liegt ein Schwerpunkt der Arbeit. Der besondere
Wert des Buches besteht neben einer Reihe von neuen Erkenntnissen über das
Presserecht vor allem in der Zusammenschau der Entwicklung von der Entstehung
einer Aufsicht über das Bücher- und Pressewesen bis 1918, allerdings beschränkt
auf Österreich und ohne intensivere Beschäftigung mit der Entwicklung in
Deutschland, bzw. in seinen bedeutenderen Länder. Ein vertiefter Vergleich
hätte u. a. ergeben, dass die Pressefreiheit und damit der Kern des Rechts auf
freie Meinungsbildung in vielen Einzelstaaten des Deutschen Bundes nicht nur
einen wesentlichen Teil der Verfassungsdiskussion bestimmte, sondern auch
Niederschlag in den Verfassungsurkunden selbst gefunden hat. So vermisst man z.
B. Ausführungen zur Bedeutung der Pressefreiheit in der Grundrechtsdiskussion
jedenfalls bis 1848. Die Entwicklung in Österreich mag da eine eigene gewesen
sein; sie dürfte aber kaum ganz isoliert von der in den übrigen Staaten des
Deutschen Bundes zu sehen sein, hatten doch Österreich – hier vor allem Metternich
- und Preußen als die den Bund beherrschenden Großmächte gerade bei der
Einschränkung der Pressefreiheit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine
unrühmliche Rolle gespielt. Diese Bemerkungen vermögen den außerordentlich
guten Ertrag der Arbeit nicht zu schmälern. Das Buch ist schon jetzt für
Österreich ein Standardwerk. Ein solches von gleicher guter Qualität wünscht
man sich auch für Deutschland, jedenfalls für seine Teilstaaten.
Hagen Ulrich
Eisenhardt