1. Cumulatieve editie van het Burgerlijk Wetboek, Edition cumulative du Code civil, hg. v. Heirbaut, Dirk/Baeteman, George. Bd. 1 Inleiding-Introduction Art. 1-1100, Bd. 2 Art. 1101-2281, Bijlagen, Annexes. Herdenkingsuitgave TPR Edition commémorative (= Tijdschrift voor Privaatrecht). Gent 2004. CXLIV, 2264 S.

 

2. Napoleons nalatenschap. Un héritage Napoléonien. Tweehondered jaar Burgerlijk Wetboek in België. Bicentenaire du Code civil en Belgique, hg. v. Heirbaut, Dirk/Martyn, Georges. Kluwer, Mechelen 2005. 446 S.

 

1. Das monumentale, von Heirbaut/Baetemann herausgegebene Werk enthält die Textgeschichte des seit 1804 in Belgien geltenden Code civil. Es geht aus von der am 21. 3. 2004 geltenden Fassung der Kodifikation und teilt grundsätzlich zu den jeweiligen Artikeln die einschlägigen Vorläuferfassungen von 1804 an mit. Die Edition ist zweisprachig: der offiziellen Fassung in Niederländisch folgt der französische Text mit anschließender Vorgeschichte (Voorgeschiedenis/Antécédents). Die Edition wird zweisprachig eingeleitet mit dem Beitrag G. van Dievoets über den Code civil von 1804 bis heute und einer detaillierten Einführung Heirbauts über die Quellen und die Methodologie der Edition. Dievoet gibt einen knappen Überblick über die den Code civil ändernden Gesetze bis 2003, der allerdings eine Gesetzgebungsgeschichte nicht ersetzen kann (hierzu bis zum Ersten Weltkrieg E. Holthöfer, Quellen und Literatur zur europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III 1, 1976) und behandelt anschließend die Geschichte der niederländischen Übersetzungen des Code civil, deren erste für 36 Einzelgesetze 1803/1804 im Bulletin de Lois français-flamand erschien. Die Übersetzung war in der Terminologie uneinheitlich und nicht fehlerfrei. Eine Übertragung des Code civil in der Gesamtfassung von 1804 ist im Gesetzbulletin nicht erschienen; vielmehr kamen 1806/1807 zwei Privatübersetzungen heraus, die jedoch weitgehend auf die erste Übersetzung zurückgriffen. Die für die niederländischen Provinzen 1810 durch von der Linden und d’Engelbronner angefertigte Übersetzung erschien in Brüssel 1823. Es folgte 1841 eine flämische Ausgabe des Code civil von Ledeganck, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts benutzt wurde, aber ebenfalls nicht frei war von Eigenwilligkeiten und Regionalismen. Eine amtliche Kommission arbeitete von 1922 bis 1932 eine niederländische Fassung des Code civil aus, die bis 1939 im belgischen Moniteur veröffentlicht wurde, aber keine Gesetzeskraft erlangte. Erst nach einer Überarbeitung durch eine niederländische Kommission (1939-1941) und einer Revision nach dem Krieg erschien 1961 eine niederländische Fassung des Code civil, die neben dem französischen Original Gesetzesrang erlangte. Diese Fassung (in der alten, 1994 geänderten Rechtschreibung) ist Grundlage der niederländischen Version der Edition. Zusätzlich wird in der Textgeschichte die erste flämische Fassung von 1804 mitgeteilt. Auch die für die Zeit bis 1961 erfolgten Änderungen des Code civil werden die authentischen niederländischen Fassungen wiedergegeben.

 

Für die Benutzung der Edition ist die Befassung mit der Methodologie der Edition, zu der Heirbaut in seinem Beitrag die Grundprinzipien und die wenigen Abwandlungen des Herausgabeschemas erläutert. Die aktuelle Fassung des Code civil als Ausgangspunkt der Edition wird grundsätzlich konsequent eingehalten. Lediglich für das separat erlassene Hypothekengesetz von 1851 wird die Originalfassung des Code civil und anschließend die aktuelle Fassung des Hypothekengesetzes mit den jeweiligen Vorfassungen mitgeteilt. Für die durch die Loi von 1854 über die „expropriation forceé“ gestrichenen Art. 2204-2217 C.c. wird außer diesen Artikeln auch die Gesetzesfassung von 1854 wiedergegeben. Einige Probleme stellten sich für das vielfach geänderte persönliche Ehe- und das Adoptionsrecht. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich bei Umstellungen, bei denen der Inhalt eines Artikels auf eine andere Norm übertragen wurde, sowie bei gestrichenen Regelungen, die später, wenn auch mit einem veränderten Inhalt, in der Kodifikation wieder auftauchten. Nicht mitgeteilt werden die Regelungen, die sich als Ersatz für im Code civil aufgehobene Artikel in anderen Codes finden (etwa im Code judiciaire, Code de sociétés). Die von den Herausgebern gewählte Methode hat den Nachteil, dass bei den umfangreichen Änderungen insbesondere des Personen- und Familienrechts die früheren Textfassungen in ihrem jeweiligen Zusammenhang nicht immer auf den ersten Blick überschaubar sind. Demgegenüber hat jedoch die konsequent beibehaltene Entscheidung, von der geltenden Fassung des Code civil auszugehen, den großen Vorzug, die jeweilige Textgeschichte – auch mit Hilfe von Überweisungen – zusammenhängend darzustellen und zu dokumentieren.

 

Das Werk Heirbauts und Baetemans stellt ein gelungenes Experiment einer historisch angelegten Kodifikationsedition dar, das auch für ähnliche Vorhaben bedenkenswert erscheint, zumal sie in gleicher Weise auch die Bedürfnisse der Praxis berücksichtigt. Abgesehen von einem Wert für die belgische Kodifikations- und Privatrechtsgeschichte können die Bände auch ein willkommener Begleiter zukünftiger Arbeiten zur vergleichenden europäischen Rechtsgeschichte sein.

 

2. Die belgische Privatrechts- und Kodifikationsgeschichte wird ferner erschlossen durch die auf der Genter Tagung vom 25.-27. 3. 2004 zum Bicentenaire des Code civil gehaltenen Vorträge, die der Sammelband „Napoleons nalatenschap. Un héritage Napoléonien“ vereinigt. Die umfangreichen Beiträge von J.-L. Renchon, H. Vuye/S. Stijns, P. van Ommeslaghe und A. Wylleman erschließen die belgischen Entwicklungen auf dem Gebiet des Personenrechts (Autonomie der Person in der individuellen Gesellschaft gegenüber der indisponibilité de la personne im C.N.), des Sachenrechts (Rechtsmissbrauch, Besitzschutz, Schutz vor Nachbarsschaftsstörungen [Burenbinder]), des Schuldrechts und des ehelichen Güterrechts. A. van Oevelen behandelt die außerhalb des Code civil geregelten Zivilrechtsmaterien, B. Bouckaert den Code civil im Verhältnis zu den anderen Rechtsquellen (Gewohnheitsrecht, Rechtsdogmatik, Rechtsprinzipien, Auslegung) und G. Martyn die Entwicklung der flämischen Rechtssprache (Vlaamse Rechtstaal) in Belgien. – Der erste Teil des Tagungsbandes ist den Problemen der Entstehungsgeschichte des Code civil gewidmet. J.-L. Halpérin geht in seinem Beitrag: „La Genése du Code civil: ‚prolem sine matre creatam’?“ (S. 21ff.) auf die seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts neu hinzugekommenen Quellen zur Entstehungsgeschichte des Code civil ein. Hierzu gehören die 1999 herausgegebenen Memoiren von Cambacérès, von dem die Entwürfe zu einem Code civil von 1793, 1794 und 1796 stammen. Halpérin stellt zunächst fest, dass die moderne Kodifikationsidee (idéologie codificatrice) entstanden sei „avec le choc révolutionnaire, l’avènement de la souveraineté nationale, le culte de la Loi, l’abolition des privilèges et l’abandon des particularismes locaux au profit de ce Tout exalté par Sieyès“ (S. 23). Die österreichischen und preußischen Kodifikationsprojekte hätten außer bei Mirabeau keine Beachtung gefunden. Im Gegensatz zu Cambacérès stellt Halpérin fest, dass das Kodifikationsvorhaben von 1793/1794 gescheitert sei an der Radikalisierung der Revolution, deren Führer sich durch gesetzliche Regeln nicht hätten binden lassen wollen. Als weiteren Quellenkomplex zieht Halpérin aus dem Nachlass der Familie Portalis u. a. den Entwurf zum Discours préliminaire zum Code civil-Entwurf von 1801 heran, den die von Napoleon eingesetzte Kommission (Portalis, Tronchet, Bigot und Maleville) am Anfang des Jahres 1801 vorlegte. Der Discours-Entwurf bringt die Absichten und Gedankenwelt von Portalis noch deutlicher zum Ausdruck als die endgültige Fassung. So zeigt der Entwurf, dass sich Portalis, der sich von 1798 bis Anfang 1800 in Emkendorf (Schleswig) aufgehalten hatte, mit dem ALR sowie mit den Werken Wolffs und J. H. Böhmers befasst hatte. Großes Gewicht legte er auf die Festigung der Ehe und Familie sowie auf die Sicherheit des Eigentums („la propriété et la famille appartiennent à l’état particulier“, S. 31). Wie auch der Code civil von 1804 hält Portalis jedoch gegenüber den reaktionär-konservativen Vorstellungen (u. a. Beseitigung der Ehescheidung), die sich verstärkt zu Anfang des 19. Jahrhunderts geltend machten, eine mittlere Linie ein, welche die revolutionären Errungenschaften nicht völlig ablehnt. Prononcierter in dieser Beziehung ist der Beitrag J. Barts: „Le Code Civil des Français: Continuité et Renouveau?“ (S. 45ff.). Nach Bart sollte man nicht von dem revolutionären „droit intermédiaire“ im Hinblick auf den Code civil sprechen. Vielmehr sei der Bruch mit dem Recht des Ancien régime voll erhalten geblieben; leitend seien weiterhin die Prinzipien der Gleichheit, der Freiheit und der Sicherung des Eigentums gewesen. Insgesamt könne man etwa für das Familienrecht des Code civil nur von graduellen Unterschieden gegenüber dem (gemäßigten) Revolutionsrecht sprechen, was sich auch darin zeige, dass die Gegner des Code civil in dieser Kodifikation ein Produkt der Revolution gesehen hätten. Die Beiträge Halpérins und Barts verdeutlichen das Bestreben der neueren französischen Kodifikationsforschung, die Entstehung des Code civil stärker als bisher im Licht des politischen und weltanschaulichen Umfeldes des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts zu sehen.

 

In weiteren Beiträgen befassen sich J. H. A. Lokin (Groningen) mit einigen rechtsdogmatischen Grundentscheidungen des Code civil im Vergleich zum niederländischen BGB von 1838 (Eigentum; Einteilung der Sachen; Eigentumsübertragung) und D. Heirbaut mit der Frage, weshalb der Code civil noch heute in nicht unerheblichen Teilen in Belgien weiter gelte. In diesem Zusammenhang sei auf den grundlegenden Beitrag R. Béauthiers (Université Libre, Bruxelles) hingewiesen, die sich mit der Akkulturation des Code Napoléon in Belgien befasst hat (in: Le Code Napoléon, un ancêtre vénéré. Mélanges offerts à J. Vanderlinden, Bruxelles 2004, S. 217ff.; vgl. auch F. Stevens [Löwen], ebd., S. 207ff.). Die Festschrift wird abgeschlossen mit Aufsätzen über die Bedeutung des Code civil für die Gegenwart und Zukunft in Frankreich (J. Ghestin) sowie in den Niederlanden und Belgien (A. J. B. Sirks über die niederländisch-belgische Kodifikationsgeschichte, A. S. Hartkamp in einem Vergleich mit dem neuen niederländischen Burgerlijk Wetboek mit dem Code civil, S. C. J. J. Kortmann und E. Dirix über den Nutzen der niederländischen Erfahrungen mit der neuen Zivilrechtskodifikation für Belgien). Am Ende des Bandes steht neben dem Beitrag von W. van Gerven die Auseinandersetzung R. Zimmermanns mit den Principles of European Contract Law (S. 377ff.).

 

3. Insgesamt liegt mit den belgischen Werken zum Bicentenaire des Code civil ein wichtiger Beitrag zur belgischen und französischen Zivilrechtsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts vor, die einen nicht hinweg zu denkenden Teilbereich der europäischen Kodifikationsgeschichte darstellt.

 

Kiel

Werner Schubert