Müller, Matthias, Gesellschaftlicher Wandel und Rechtsordnung. Die Zürcher Restauration (1814-1831) und die Entstehung des bürgerlichen Staates (= Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 54). Schulthess, Zürich 2005. 273 S.

 

Einleitend sagt der Verfasser dieser unter Clausdieter Schott erarbeiteten guten Zürcher Dissertation, weshalb er die Zürcher Restaurationsperiode zum Gegenstand einer rechtshistorischen Untersuchung macht und wie er methodisch vorgeht. Er sagt: „Nicht also die Rechtstechnik steht im Vordergrund, sondern das Recht in seiner Wechselwirkung zur Gesellschaft: das Regelungsbedürfnis steht für eine soziale Fiktion, der Regelungsgehalt erhellt die Machtverhältnisse“ (S. 5).

 

Der Verfasser umreißt zuerst die Grundlagen von 1814, indem er zeigt, wie die Verfassung von 1814 entstanden ist, welches ihr Inhalt ist und wie sie sich ausgewirkt hat. In der Stadt Zürich ist eine finanzielle und bildungsmäßige Bürgerelite, die als Kaufleute und Unternehmer eine ausgleichende pragmatische Politik betreibt und in liberaler Tendenz ein Parlaments- und Pressegesetz erläßt, und gegen Ende der Zwanzigerjahre ihre Wertvorstellungen auch dem Recht vermittelt, traditionelle Strukturen hinterfrägt und wirtschaftliche Freiheiten verlangt. Gleichzeitig brechen die jahrhundertealten Gegensätze zwischen Stadt und Land wieder auf und erfordern eine besondere Politik.

 

Unter dem Titel „Das Milieu als Machtträger“ wird zuerst das alte Zürich gezeichnet und ein Blick darüber von der Restauration aus geworfen. Das Verständnis der Gesellschaft und Politik und darauf gegründet jenes einer zweckmäßigen Staatsorganisation und Gesetzgebung wird ergründet.

 

Müller gibt einen Überblick über die gesellschaftlichen Umwälzungen, um den Zusammenhang zwischen Gesellschafts- und Rechtsverhältnissen zu erklären. Er zeigt die protoindustrielle Entwicklung auf und wie eine neue Schicht ländlicher Unternehmer aufstrebt, und er bringt Aussagen von Zeitgenossen aus denen ihr Denken zur Restaurationszeit ersichtlich ist. In der liberalen Verfassung von 1831 werden die bürgerlichen Sphären der Privatheit und Öffentlichkeit institutionalisiert. Im Recht spiegelt sich eine individualisierte und verwirtschaftlichte Gesellschaft wieder, wobei die ständestaatlich-korporative Gesellschaft neben der marktbezogenen bürgerlichen bleibt. All das wird im Einzelnen untersucht und ausgeführt und auch gezeigt, wie das liberale Staats- und Gesellschaftskonzept neue Vorstellungen und Begehrlichkeiten entwickelte, aber auch neue Eliten bildete, besonders bei den Ärzten und Juristen. Müller zeigt auch die öffentliche Sphäre als Reibungszone auf. Das betrifft vor allem die Presse und die Bildung sowie die Auseinandersetzung um die öffentliche Meinung und den Freiheitsdiskurs. Auf diesen Hintergründen wird die Verfassungsrevision im öffentlichen Widerstreit der Meinungen erörtert.

 

Den Schluss des Buches bildet ein gesellschaftlicher Aufriss 1831. Dabei wird gesagt, wie die Verfassung von 1831 entstanden ist, welches ihr Inhalt ist und welches die gesellschaftlichen Bruchlinien sind, was neben dem Politischen und Rechtlichen auch von sozialgeschichtlichem Interesse ist und zeigt, dass die städtische Elite sich ihre Position sichern konnte.

 

Es folgen biografische Angaben zu 22 Persönlichkeiten, darunter namhafte Juristen, und eine Zeittafel mit der Erwähnung der Ereignisse von 1813-1831. Es gelingt dem Verfasser, einen ausgezeichneten Überblick zu geben, wie sich die Restauration in Zürich in den Jahren 1814-1831 durchgesetzt hat und der bürgerliche Staat entstanden ist.

 

Brig                                                                                                                                       Louis Carlen