Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und seine
Residenz Kassel. Ergebnisse des interdisziplinären Symposiums der Universität
Kassel zum 500. Geburtstag des Landgrafen Philipp von Hessen (17. bis 18. Juni
2004), hg. v. Wunder, Heide/Vanja, Christina/Hinz, Berthold unter
Mitarbeit von Busch, Tobias (= Veröffentlichungen der historischen Kommission
für Hessen 24, 8 = Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landgrafen
Philipp des Großmütigen 8). Elwert, Marburg 2004. 316 S., Ill., graph. Darst.,
Kt. und 1 kart. Beilage.
Der fünfhunderste Geburtstag des Landgrafen Philipps des Großmütigen, Stammvaters aller späteren hessischen Landgrafen bis hin zu dem gegenwärtig lebenden Familienoberhaupt, Landgraf Moritz, der erstmals wieder nach Philipp in seiner Person die gesamte Dynastie vereinigt, war Anlass für eine Vielzahl von Symposien, Vorträgen, Tagungen und Festlichkeiten, die gleichermaßen von den Universitäten, den Archiven, den evangelischen Landeskirchen und dem Bundesland Hessen ausgetragen wurden. Dass dabei Fragen der Reformation und des reichspolitischen Wirkens Philipps im Vordergrund standen, liegt auf der Hand. Daneben aber wurden Fragen der Persönlichkeit des Landgrafen – z. B. auch der juristisch-theologische Diskurs zu seiner „Doppelehe“ - , sein Verhältnis zu Vertretern abweichender Religionen (z. B. Juden und Wiedertäufer) und seine Leistungen bei der rechtlichen Fixierung und administrativen Durchdringung des Landesfürstentums diskutiert. All diese Fragen sind auch in der vorliegenden Publikation angesprochen, wenn auch mit einer gewissen Begrenzung und einem starken Bezug auf die Residenzstadt Kassel. Für den Rechtshistoriker sind sie allerdings nicht gleichermaßen von Bedeutung. Die Vielfältigkeit der Themen veranlasste die Herausgeberin, Heide Wunder, dazu, sich auf eine sehr knappe Einleitung zu beschränken und auf Inhalte zur Persönlichkeit und zur Politik des Landgrafen gar nicht erst einzugehen, vielmehr den Fokus auf die Interdisziplinarität der dargebotenen Untersuchungen zu richten. Dies mag man bedauern, ist aber angesichts dessen gerechtfertigt, dass nach wie vor zwar viele Aspekte zu Leben und Taten dieses bedeutenden Fürsten bekannt und teilweise hervorragend aufgearbeitet sind, ein Gesamtbild dieser „komplexen Herrscherpersönlichkeit“ (Wunder S. 2) jedoch nach wie vor fehlt. Es ist zu hoffen, dass die im Jubiläumsjahr zusammengetragenen Arbeiten den Anlass bieten, sich nun endlich einer modernen Biographie Philipps zuzuwenden, um die verstreuten Forschungsergebnisse nicht verloren gehen zu lassen und ältere Missverständnisse zu korrigieren.
Die beiden ersten Aufsätze des Bandes zum Thema „Person und Persönlichkeit“ (Berthold Hinz, Die Ikonographie Philipps von Hessen; Gerhard Aumüller/Esther Krähwinkel, Landgraf Philipp der Großmütige und seine Krankheiten) sind im Rahmen vorliegender Besprechung von geringerem Interesse. Anderes gilt für den zweiten Abschnitt zu Fragen der Dynastie. Hier geht es um die vormundschaftliche Regentschaft der Landgräfin Anna zur Zeit der Minderjährigkeit Philipps (Pauline Puppel), die die Autorin ausführlicher in ihrer einschlägigen Monographie bearbeitet hat (s. die Rezension in diesem Band). Es geht weiter um die juristisch-theologische Beurteilung der Doppelehe Philipps, aber auch um die literarische Bearbeitung des Stoffes und die Konsequenzen für Person und Politik (Stephan Buchholz). Cordula Nolte erörtert in ihrer biographisch angelegten Analyse zu Christine von Sachsen, der Ehefrau Philips, vor allem die Wirksamkeit fürstlicher Familienbeziehungen im Zeitalter der Reformation. Margret Lemberg schließlich geht auf den Alltag und die Festkultur in den Residenzen Kassel und Marburg ein.
Verwaltungs- und verfassungsgeschichtlich interessant sind die Beiträge des dritten Abschnitts zu „Residenz und Territorium“. Dies gilt nicht so sehr für die Untersuchung Sascha Winters zu Residenz und Festung Kassel um 1547, der es vornehmlich um die zeitgenössische Stadtansicht geht (und dies auch durch eine Beschreibung der bildlich wiedergegebenen Stadtansichten demonstriert), als um die beiden Beiträge von Stefan Brakensiek zur Amtsträgerschaft im Rahmen des landgräflichen Regiments („Versuch einer Figurationsanalyse“) und Friedrich Freiherrn Waitz von Eschen über die Anfänge des gewerblichen Domänenstaates in Hessen unter Philipp. Die hohe Wertschätzung der fürstlichen Domänen, namentlich der Berg-, Hütten- und Salzwerke, die noch in der kurhessischen Verfassung von 1831 zum Ausdruck kommt, und die Hintanstellung der nur als ergänzende Einnahmen verstandenen Steuern geht auf die Ansätze Philipps zurück.
Die drei unter dem Titel „Reformation“ im dritten Abschnitt zusammengefassten Analysen sind nicht nur kirchenhistorisch von Interesse, sondern weisen jeweils wichtige juristische und verwaltungsgeschichtliche Aspekte auf, die man heute unter Sammelbegriffen wie dem des Staatskirchenrechts bzw. neuerdings des Religionsverfassungsrechts zusammenfassen würde. Christian Philipsen bietet zunächst einen Beitrag zum vorreformatorischen Kirchenwesen in Kassel zwischen weltlicher Herrschaft und bischöflicher Amtsgewalt, vornehmlich unter Thematisierung der Rechtsverhältnisse an der vom Stift Ahnaberg abhängigen Pfarrkirche St. Cyriacus und dem 1366 gegründeten Chorherrenstift St. Martin. Da dem kurmainzischen Archidiakonat Fritzlar zugeordnet, war eine Auseinandersetzung mit den Erzbischöfen von Mainz vom Beginn der Entwicklung an angelegt, bis es dann Philipp in den Jahren 1521 und 1522 gelang, sich von der kurmainzischen Amtsgewalt zu lösen. In einem zeitlich daran anknüpfenden Artikel beschäftigt sich Hans Schneider mit den Anfängen der Reformation in Kassel, vor allem um die diesbezügliche Rolle des landgräflichen Hofes und anderer Parteigänger Luthers in den zwanziger und dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts. Teil der Reformationspolitik Philipps war die Gründung der „Hohen Hospitäler“ als Ausdruck der neuen „caritas“ auf der Grundlage des säkularisierten Kirchenguts. Diese heute im Landeswohlfahrtsverband Hessen aufgegangenen Hospitäler in den vier Landesteilen und später selbständigen Landgrafschaften Niederhessen (Merxhausen bei Kassel), Oberhessen (Haina bei Marburg), Obergrafschaft (Hofheim bei Darmstadt) und Niedergrafschaft (Gronau bei St. Goar), waren nicht nur Ausdruck karitativen Handelns und einer frühen Sozialpolitik, sondern zugleich rechts- und machtpolitische Instrumente zur Konzentration der Sozialfürsorge als neuer Kompetenz des landesfürstlichen Regiments. Christina Vanja hat diesen Aspekten einen knappen, aber überaus aufschlussreichen Übersichtsbeitrag gewidmet.
Weniger interessieren hier die in Abschnitt V („Geschichtsschreibung und Memoria“) und VI („Rezeptionsgeschichte“) versammelten, reich illustrierten Beiträge, in denen es um das hessische Geschichtsbild im 16. Jahrhundert (Thomas Fuchs), um das Grabmal Philipps und seiner Frau Christine (Marion Jäckel), um die protestantische Heilsgeschichte nach Ausweis des Ziegenhainer Bilderzyklus von 1542 (Harald Wolter-von dem Knesebeck) und um das Kasseler Denkmal Landgraf Philipps des Großmütigen (Stefan Schweizer) geht. Dass der Band auf Indices und Gesamtverzeichnisse verzichtet, erschwert dessen Benutzung, wenngleich die angesprochenen Themen angesichts der Kürze der Beiträge und ihrer Untergliederung (leider sehr uneinheitlich) schnell identifizierbar sind.
Darmstadt J. Friedrich Battenberg