La Suisse occidentale et l’empire. Actes du colloque de Neuchâtel des 25-27 avril 2002, hg. v. Morerod, Jean-Daniel/Tappy, Denis/Thévenaz, Modestin Clémence/Vannotti, Françoise (= Mémoires et documents publiés par la Société d’histoire de la Suisse romande IV, 7). Lausanne 2004. 467 S.
Das Gebiet der Eidgenossenschaft war
ein Randgebiet des Heiligen Römischen Reiches. Im Laufe des Spätmittelalters
bildete sich hier, wie auch in anderen Randlagen des Reiches, zur
Friedenssicherung ein Bündnissystem, das sich zunächst zur achtörtigen und
später zur dreizehnörtigen Eidgenossenschaft verdichtete. Mit dieser
verbündeten sich Herrschaftsträger im Gebiet der heutigen Westschweiz, um der
Mediatisierung durch die Savoyer zu entgehen. Diese hatten sich seit dem 12.
Jh. der Waadt und des Unterwallis bemächtigt und suchten nun ihre Herrschaft zu
arrondieren. So verbündete sich der Bischof von Sitten und die sieben Zehnden
(Gemeinden) des Oberwallis 1416/17 mit den Eidgenossen, um den
Herrschaftszugriff Savoyens abzuwehren. Auch die Stadt Genf wehrte sich mit
solchen Bündnissen (1536/1584) gegen diese lange Zeit erfolgreiche
Territorialmacht.
Wie war das Verhältnis der
Westschweiz zum Reich? Dieser Frage ging ein Kolloquium nach, das im April 2002
organisiert wurde vom Institut de l’histoire der Universität Neuenburg, vom
Centre de droit privé der Universität Lausanne und von der Société d’histoire
de la Suisse romande. Die Referate liegen, teilweise in überarbeiter Form, mit
der hier anzuzeigenden Publikation nun vor. Das Buch gibt nicht nur Einblicke
in das Verhältnis Westschweizer Städte und Landesherren zum Reich, sondern
vermittelt durch eine Reihe grundlegender Beiträge auch den aktuellen
Wissensstand über das Verhältnis der Eidgenossenschaft als Ganzer zum Reich.
Nach der üblichen, im 19. Jahrhundert
begründeten Interpretation stellen die Beschlüsse, die im Zuge der Reichsreform
1495 auf dem Reichstag zu Worms gefasst wurden, einen Wendepunkt in den Beziehungen
zur Eidgenossenschaft dar. Nach dieser These habe die Eidgenossenschaft 1495 de
facto die Unabhängigkeit erreicht und sich diese 1648 im Rahmen des
Westfälischen Friedens rechtlich bestätigen lassen.
Neuere Forschungen zeigen freilich,
dass die Beschlüsse von Worms nur ein Ereignis unter mehreren waren, welche in
ihrer Gesamtheit um die Wende zum 16. Jahrhundert zu einer faktischen
Distanzierung zwischen beiden politischen Größen führte. Zwar hatten die
Gesandten einiger Orte am Reichstag in Worms teilgenommen, doch reisten sie
mangels ausreichender Vollmachten vorzeitig wieder ab, ohne sich formell gegen
die Beschlüsse zu verwahren. In der Folge bat Kaiser Maximilian I. (1459-1519) seinerseits
die Orte durch Gesandte um eine Stellungnahme zu den Beschlüssen und namentlich
um einen Beitrag zum Gemeinen Pfennig. Die Eidgenossen lehnten nur letzteres ab
und zwar mit dem Argument, dass sie vom Kaiser bisher stets von Abgaben befreit
worden seien. Zu den anderen Beschlüssen äußerten sie sich auch jetzt nicht.
Auch im Frieden von Basel 1499 kam
das Verhältnis der Eidgenossen zum Reich nicht in einer grundsätzlichen Weise
zur Sprache. Dieser Friedensvertrag wurde nach einer Reihe bewaffneter
Konflikte mit den im Schwäbischen Bund von 1488 zusammengefassten Rittern und
süddeutschen Reichsstädten geschlossen (Schwabenkrieg). Maximilian sagte im Vertrag zwar zu, alle Fehden und Prozesse
gegen die Eidgenossen und ihre Zugewandten aufzuheben, doch bezog sich dies auf
konkrete regionale Konflikte in der Ostschweiz, an der geographischen Grenze
zwischen dem schwäbischen und dem eidgenössischen Bündnissystem. Eine generelle
Exemtion von der Zuständigkeit des Reichskammergerichtes wurde von den
Eidgenossen nicht vorgesehen und ihnen auch nicht gewährt.
Dass sich die Eidgenossen weiterhin
dem Reich zugehörig empfanden, äußerte sich darin, dass sich in den folgenden
Jahren die meisten Orte ihre Freiheiten von Kaiser Karl V. (1506 -1556) bestätigen
liessen. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde um eine Sammelbestätigung der
Freiheiten für alle Orte der Eidgenossenschaft nachgesucht; einzelne
Zugewandte, namentlich die geistlichen Landesherren, hielten noch länger daran
fest.
Die Zuständigkeit des 1495
geschaffenen Reichskammergerichtes erstreckte sich im Prinzip auf das ganze
Gebiet der Eidgenossenschaft. Entgegen ihrer Annahme waren die Eidgenossen
nicht von dessen Zuständigkeit befreit, da sich die alten kaiserlichen
Privilegien nur auf die erstinstanzliche Gerichtsbarkeit bezogen hatten.
Allerdings spielte die kaiserliche Gerichtsbarkeit bereits im 15. Jahrhundert
in den meisten Teilen der Eidgenossenschaft keine Rolle mehr, da das System der
Landfriedensbündnisse zu einer im Vergleich mit anderen Gebieten des Reiches
großen Rechtssicherheit und effizienten Gerichtsorganisation geführt hatten. In
die Rechtsprechung des Reichskammergerichtes waren in der Folgezeit nur mehr
Basel, Schaffhausen, St. Gallen und die reichsfreien Bischöfe und Äbte
involviert.
Die historischen Fakten zeigen also
ein sukzessives, schon im 15. Jahrhundert einsetzendes Auseinanderdriften
zwischen Reich und Eidgenossenschaft. Dieses wurde 1495 noch verstärkt durch
die Schaffung von Institutionen, an welchen die Eidgenossen nicht teilnehmen
wollten, da sie angesichts ihres internen Grades an Organisation und
Rechtssicherheit den eigenen Nutzen daran nicht zu erkennen vermochten. Der
strukturelle Verdichtungsprozess auf der Reichsebene wurde von ihnen nicht
mitgetragen, da sie diesen für ihr eigenes Gebiet bereits erreicht hatten.
Verstärkt wird der Entfremdungsprozess durch die konfessionelle Spaltung und
namentlich die Versuche des Katholiken Karl V., auf Reformationsbestrebungen in
Städten wie Genf und Lausanne Einfluss zu nehmen. Das vergrößerte die Distanz
der reformierten Orte der Eidgenossenschaft zum Reich.
Weil die Stadt Basel wegen ihren
intensiven Handelsbeziehungen mit Gebieten des Reiches nicht selten mit dem
Reichskammergericht konfrontiert war, reiste der Basler Bürgermeister Johann
Rudolf Wettstein 1648 am Ende des Dreißigjährigen Krieges an die
Friedensverhandlungen der europäischen Mächte in Münster und Osnabrück, um eine
Exemtion von der Reichsgerichtsbarkeit zu erlangen. Dabei wurde er von den
anderen Orten der Eidgenossenschaft nur unzureichend unterstützt. Nach langen
Verhandlungen erreichte er vom Kaiser die Erklärung, dass die Stadt Basel und
die übrigen Orte im Besitz der vollen Freiheit und Exemtion vom Reich und in
keiner Weise den Gerichten und Urteilen des Reiches unterworfen seien.
Diese Erklärung wurde in der
Folgezeit unterschiedlich interpretiert. Ging es, wie die Juristen im Reich
behaupteten, nur gerade um die Gerichtsexemtion? Oder war sie so zu verstehen,
dass nun die ganze Eidgenossenschaft aus dem Reichsverband entlassen war? In
manchen Orten der Eidgenossenschaft setzte sich die zweite, weite Interpretation
durch und ließ man nun Verweise auf die alten Kaiserprivilegien weg Auch in der
Herrschaftssymbolik verschwanden mancherorts die Bezüge zum Reich; andernorts,
wie z. B. in Genf, blieb der Reichsadler auf offiziellen Gebäuden aus
Traditionsgründen stehen.
Dass die Orte der Eidgenossenschaft
Mitte des 17. Jahrhunderts auf die formale Zugehörigkeit zum Reich verzichten
konnten, hing auch mit der Entwicklung der Staatslehre zusammen. Mit der vom
französischen Juristen Jean Bodin in seinen Six
livres de la République (1576) entwickelten Souveränitätslehre bot sich
eine andere, neue Form der Legitimation staatlicher Herrschaft an. Diese neue
Form der Herrschaftslegitimation drang von Westen her in das Gebiet der Eidgenossenschaft
ein. 1609 bezeichnete sich Genf in einer offiziellen Gesetzessammlung erstmals
als Ville et Republique de Geneve.
1636 leitete die Stadt in einem Rechtsstreit genau aus diesem Titel ab, dass sie
kein fremdes Gericht anerkenne. 1628 bezeichneten sich die Zenden im Wallis als
libre république und als souverainischer status. Die deutschen
Orte der Eidgenossenschaft lernten diese Begrifflichkkeit im Umgang mit ihren
welschen Nachbarn kennen. Solothurn betrachtet sich 1681 als unmittelbahrer Souveran-Stand und ließ
in der Folge beim Bürgereid den Verweis auf das Reich weg. Schultheiß und Rat
der Stadt Bern beanspruchten 1682 gegenüber der Bürgerschaft die landesherrliche
Souveränität; im selben Jahr wurden Amtssiegel angefertigt, auf welchen sich
die Stadt als Respublica Bernesis bezeichnete. Auch wenn sich die meisten Orte
der Eidgenossenschaft im 17. Jahrhundert, und verstärkt nach 1648 also vom
Reich losgelöst betrachten konnten, dauerten in Einzelfällen die Bindungen bis
zum Ende des Reiches allerdings weiter.
In der Schnittmenge zwischen
Reichsgeschichte, Rechtsgeschichte und Geschichte der Westschweiz bietet dieses
Buch eine Fülle von wichtigen Informationen und interessanten Einblicken; es
ist so auch ein schönes Beispiel für das Zusammenwirken der Historiker
unterschiedlicher fachlicher, geographischer und sprachlicher Provenienz.
Fribourg René
Pahud de Mortanges