Iversen, Tore, Knechtschaft im mittelalterlichen Norwegen, Übersetzung aus dem Norwegischen v. Freche, Katharina in Zusammenarbeit mit Landau, Angelika (= Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 94). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2004. XVI, 520 S.

 

Die Knechtschaft hat seit längerer Zeit das Interesse der internationalen Forschung gefunden. Davon legt der Forschungsbericht, den der Verfasser seinen Ausführungen voranstellt, beredtes Zeugnis ab. Gleichwohl ist sie für das mittelalterliche Norwegen bisher nicht ausführlich untersucht und dargestellt. Der Verfasser hat sich vorgenommen, die Knechtschaft in ihrer rechtlichen Gestalt darzustellen, aber auch ihre soziologischen Verknüpfungen und ihre wirtschaftliche Bedeutung zu untersuchen. Er gliedert seine wortreiche Arbeit in acht Kapitel: Der Einleitung, welche die Terminologie, die geographische und zeitliche Abgrenzung darlegt, folgt der Forschungsbericht; das dritte Kapitel bringt die Knechtschaft wie sie sich nach den Landschaftsrechten zeigt; das vierte widmet der Verfasser der Rekrutierung der Sklaven, das umfängliche fünfte den Funktionen der Knechtschaft und das sechste dem Verhältnis der Kirche zur Sklaverei. Das siebte Kapitel zeigt den Weg aus der Knechtschaft durch Freilassung und das achte beschreibt ihr Ende.

 

Zunächst befragt der Verfasser die norwegischen Landschaftsrechte als historische Quellen. Zutreffend wehrt er die Auffassung des 19. Jahrhunderts ab, wonach diese Texte ursprüngliches und unbeeinflußtes germanisches Recht enthalten sollten, wendet sich aber ebenso gegen die Meinungen Elsa Sjöholms und Peter Sawyers, die meinen, die Landschaftsrechte enthielten kein überliefertes Recht, sondern ausschließlich neue Satzungen ihrer Entstehungszeit, mit Anleihen bei den Rechten Mittel- und Südeuropas. Er geht vielmehr davon aus, daß diese Rechte Gesellschaftsgeschichte reflektieren können. Wie weit sie Gesetzgebung der Zeit sind, bzw. älteres Gewohnheitsrecht widerspiegeln, läßt er offen. Unhaltbar ist allerdings seine Aussage, es komme nicht auf die zeitliche Einordnung der Quellen an, weil er seinen Blick „auf ganzheitliche Vorstellungen von Knechtschaft im Gesetz richte“ (S. 66). Damit begibt er sich der Möglichkeit, die geschichtliche Entwicklung anhand der Quellen darzustellen. Das wäre jedoch unbedingt nötig gewesen, wie sich auf S. 88ff zeigt, wo der Verfasser den Widerspruch der Quellen nicht aufklären kann, die den Knecht manchmal gar nicht und dann doch wieder haften lassen.

 

Den Abschnitt 3.2 überschreibt der Verfasser mit „Idealvorstellung von Knechtschaft in den Rechtsquellen“, übersieht dabei jedoch, daß ihre Verfasser keine Ideale verfolgten, sondern die Gegenwartsprobleme der Knechtschaft in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Interessen (der Grundeigentümer, des Königs, der Kirche und der Sklaven) lösen mußten. Bei der Frage, ob der Knecht rechtlich den Sachen (dem Vieh) gleichgestellt, er also Eigentum des Herrn sei, verwirft der Verfasser zu Recht die früher herrschende Meinung, wonach der absolute römische Eigentumsbegriff gelte, folgt vielmehr einem relativen Eigentumsbegriff und versteht ihn als Bündel verschiedener Rechte. Zuvor prägt er zwei Grundbegriffe, die er später stets verwendet, nämlich „Person im negativen Sinne, die mit dem eigenen Körper haftet und Person im positiven Sinne, die gesetzlich garantierte Rechte hat“ (S. 68). Das ist absurd, weil der Verfasser hierbei die Person und die ihr aufgebürdete Haftung bzw. ihr zustehenden Rechte verwechselt. Eine Person im negativen Sinne wäre eine Unperson und gerade das ist nicht gemeint. Es ist aber auch falsch, denn soweit man den Knecht für seine Taten haften läßt, erkennt man ihn gerade als Person an und behandelt ihn nicht als Eigentum eines anderen. Zudem muß auch der Freie für seine Taten haften, ohne daß der Verfasser ihn als „negative Person“ bezeichnet.

 

Soweit das Frostatingsrecht in V: 20 den Herren, der seinen Knecht getötet hat, nicht haften läßt, wenn er den Totschlag kundmacht, scheint die ältere Vorstellung, der Sklave sei rechtlich wie Vieh zu behandeln, dahinterzustehen, immerhin fügt es hinzu, der Herr müsse sich vor Gott verantworten. Obwohl hier kirchlicher Einfluß deutlich wird, ist der Verfasser ihm nicht weiter nachgegangen (S. 79). Er verweist lediglich auf seine Ausführungen zum römischen Recht (S. 121), jedoch ohne eine Beziehung zum kirchlichen Recht herzustellen. An dieser Stelle noch eine formale Bemerkung: Im ersten Teil des Werkes finden sich – wie hier – viele Verweisungen „nach unten“, was an der Zweckmäßigkeit der Gliederung zweifeln läßt. Zudem verweist der Verfasser bedauerlicherweise niemals auf die Seite, sondern stets nur auf einen Gliederungspunkt, so daß der Leser immer erst im Inhaltsverzeichnis nachschlagen muß, um die Stelle zu finden.

 

Unter 3.6.2 behandelt der Verfasser die Friedlosigkeit. Hier fällt auf, daß utlagr mit vogelfrei übersetzt wird. Dieses Wort ist aber erst ganz spät nachzuweisen und für die Landschaftsrechte nicht brauchbar. Der Verfasser wechselt die Bezeichnung zwischen ‚strengerer’ und ‚schärferer’ Friedlosigkeit, wobei der letzte Ausdruck ganz unüblich ist. Außerdem wird die Folge der strengen Friedlosigkeit nicht erklärt. Dem Verfasser ist zwar darin zuzustimmen, daß die Friedlosigkeit keine urgermanische Einrichtung ist, sondern auf dem Friedensgedanken der Kirche beruht, also erst nach der Christianisierung eingeführt wurde, im übrigen aber sind seine Ausführungen hier ziemlich oberflächlich. Daß die strenge Friedlosigkeit ursprünglich eine Ablösung durch Buße ausschloß, hat der Verfasser nicht gesehen und daß die Varg-Bezeichnungen des Friedlosen kirchlichen Ursprung haben (S. 103), dürfte ein Fehlschluß sein. Auch die Stelle im Frostathingslov III: 21 hat der Verfasser mißverstanden: Der Täter wird nicht nach drei Monaten im Kirchenbann ‚automatisch’ für friedlos erklärt, vielmehr ist dazu ein Verfahren vor dem Thing erforderlich. Schließlich stellt Eidsivathingslov I: 45 Knechtschaft und Friedlosigkeit nicht gleich, vielmehr besteht ein Wahlrecht zwischen beiden Rechtsfolgen. Einer Theorie der Entwicklung des öffentlichen Strafrechts im Mittelalter widmet der Verfasser lediglich eine Seite, stellt nur Behauptungen auf und beruft sich auf Gustav Radbruch, der sich kaum über die Verhältnisse im norwegischen Mittelalter geäußert haben dürfte; zudem ist die Arbeit, aus der sein Zitat stammt, im Literaturverzeichnis nicht nachgewiesen. Auf den Seiten 111 und 118 meint der Verfasser, der Sklave habe eine ‚rudimentäre Rechtskapazität’ gehabt – was heißt das?

 

Soweit der Verfasser in den Abschnitten 3.9.1 und 3.9.2 die Rechtsverhältnisse der Sklaven im römischen Recht und in den Volksrechten behandelt, ist die Rechtsvergleichung recht oberflächlich ausgefallen, da die sozialen Hintergründe der jeweiligen Regelungen nicht dargestellt sind. Die Frage einer Übernahme solcher Regelungen ins norwegische mittelalterliche Recht hat der Verfasser weder gestellt noch beantwortet. Der Verfasser zitiert auch dänische und schwedische Rechte. Allerdings folgt er dabei stets der jeweils herrschenden Meinung. Daß etwa über die Entstehungszeit von Skånelagen und der Paraphrase Andreas Sunesons mittlerweile erhebliche Meinungsverschiedenheiten herrschen, erwähnt er nicht. Ebenso steht es bei Gutalagen und bei der Grágás, wo er die Datierung nicht differenziert. Auch der Sprachgebrauch des Verfassers hinsichtlich der Rechtstexte läßt zu wünschen übrig: Er (oder seine Übersetzerinnen) sprechen nur von ‚Gesetzen’, ohne zwischen Rechtsbüchern und Gesetzestexten zu differenzieren (S. VII, 129 etc.). Daß schwedische Rechtstexte stets in der neunorwegischen Form (Vestgötalov, Östgötalov) benannt werden, mag noch hingehen, aber schlicht vom ‚Götalov’ zu sprechen (S. 131) geht nicht an, hier ist der Plural ‚Götalagarna’ absolut nötig, weil dazu die west- und ostgötischen Landschaftsrechte gehören. Auch daß das Knechtsbild in etlichen Rechtsquellen ‚offensichtliche Dysfunktionen’ habe, ist ein sprachlicher und zeitlicher Fehlgriff.

 

Um die Herkunft der Sklaven zu ermitteln, stützt sich der Verfasser verdienstvoller Weise im vierten Kapitel auf die Ortsnamenforschung, die wertvolle Hinweise auf Landgüter gibt, die von Sklaven bewirtschaftet wurden. Dagegen ist die Archäologie weniger hilfreich: Ihr Material gibt zwar Kunde des frühen Handels, enthält aber nur selten Hinweise auf Knechtschaftsverhältnisse. Erst in ihrer Zusammenschau mit der Ortsnamenforschung lassen sich brauchbare Erkenntnisse gewinnen (4.5.5 und 5.3) Zu Recht steht der Verfasser den Erkenntnissen der biomedizinischen Methode kritisch gegenüber. Über die keltischen Sklaven auf Island äußert er sich widersprüchlich, scheint aber dann doch der Meinung zu sein, daß sie nicht direkt von Irland, sondern über Norwegen dort eingeführt wurden (S. 163; 171).

Das fünfte Kapitel widmet der Verfasser den Arbeits- und Dienstpflichten der Sklaven, wobei er die Heldensagen und Sagas sowie kulturtopographisches Material auswertet. Breiten Raum gewährt er dem sozialpsychologischen Bild der Knechte in der skandinavischen Literatur. Das Kapitel schließt mit der Rechtsstellung der Vögte. Aus zwei Sagas folgt, daß königliche Vögte Unfreie waren oder von Unfreien abstammten. Dennoch waren sie dem König als Amtleute mit wirtschaftlichen, rechtlichen und militärischen Aufgaben wichtig. Die Landschaftsrechte billigten ihnen gleichwohl nur eine relativ geringe Buße zu. Der Verfasser glaubt sie – entgegen der h. M. – in ihrem Knechtsstatus begründet (S. 295ff). Machte sich der Vogt dagegen eines Rechtsbruchs Dritten gegenüber schuldig, wurde er – auch hinsichtlich der von ihm zu zahlenden Buße – wie ein Freier behandelt. Über das Verhältnis zwischen König und Vogt ist wenig bekannt. Immerhin scheint sich die Rechtsstellung des Vogts im Laufe der Zeit gebessert zu haben.

 

Im sechsten Kapitel untersucht der Verfasser das Verhältnis der Kirche zur Knechtschaft. Hier hat er die einschlägigen Quellenstellen im neuen Testament und in Gratians Dekret zusammengestellt. Erstaunlicherweise fehlen fast vollständig Hinweise auf den Liber Extra, in den viele der mittelalterlichen Konzilsbeschlüsse eingegangen sind. Selbst die Ausgabe des Corpus Iuris Canonici von Friedberg (zitiert in Fn. 774, S. 337) fehlt im Literturverzeichnis. Vor allem hat der Verfasser hier fast nur aus zweiter Hand gearbeitet: Die mittelalterlichen Kanonisten sind nirgendwo im Original zitiert (z. B. S. 350). Im Großen und Ganzen sind jedoch seine Ausführungen zur Übernahme des kanonischen Rechts in Norwegen akzeptabel; die wichtigsten Punkte sind behandelt, vor allem die Ordination von Unfreien zu Priestern hat er ausführlich dargestellt. Die Verweisung auf die norwegischen Regesten I: 95 (auf S. 330, Fn. 758) ist jedoch falsch, es muß I: 226 heißen.

 

Der Verfasser schließt seine Untersuchungen mit der Freilassung von Sklaven und der Abschaffung der Knechtschaft im Norden, die er rechtsvergleichend behandelt. Den Hauptgrund für das Ende der Knechtschaft in Norwegen im 13. Jh. sieht er im Erstarken des Königtums, das zu den Sklaven und Halbfreien in unmittelbare Beziehung trat, sie militärisch und ökonomisch nutzte und ihnen andererseits die Rechte von Freien zubilligte. Der Verfasser hat seinem Buch ein Namen- und Sachverzeichnis mitgegeben, was seine Brauchbarkeit erhöht.

 

Die Übersetzung des ursprünglich neunorwegisch geschriebenen Buches hat im allgemeinen einen lesbaren Text gezeitigt. Blickt man allerdings auf Einzelheiten, so wird das positive Bild getrübt. So sprechen die Übersetzerinnen auf S. 72ff von ‚anderer Behandlung der Knechte als Eigentum‘, meinen aber ein zusätzliches Argument dafür, daß sie wie Eigentum behandelt wurden. Man kann auch nicht etwas ‚generell besitzen‘, sondern nur generell ‚etwas besitzen‘. Auf S. 182, Fn. 190 sprechen sie von ‚festem Eigentum‘, meinen aber Grundbesitz, d. h. sie haben das norwegische fast eiendom (= Grundbesitz) nicht verstanden und wörtlich, aber falsch übersetzt. Ähnlich ging es ihnen mit der Übersetzung von lavere bot, was niedrigere, aber nicht halbe Buße heißt. Bei der Übersetzung von SkL c. 133 haben sie die neudänische Version ‚anden Side Havet‘ mit ‚auf der anderen Seite des Hafens‘ falsch übersetzt, gemeint ist natürlich ‚jenseits des Meeres‘ denn Havet ist das Meer, nicht der Hafen. Daß sie die Eidhelfer zu ‚Mittelsmännern‘ gemacht haben (S. 88, Fn. 202), spricht nicht für Sachkunde und Ius gentium ist nicht ‚Ordnung des Volkes‘, sondern Völkerrecht (S. 311).

 

Im Buch häufen sich leider die Tippfehler: So wird A. O. Johnsen auf S. 52 zu Johnson und sein Buch soll 1936 erschienen sein (statt 1956); Nevéus ist eine Frau (Clara), falsch deshalb: S. 53, richtig: S. 508, aber es fehlt der Akzent), dagegen ist Heiko Steuer ein Mann (nicht: Heike !, S. 514). Das Quellen- und Literaturverzeichnis ist oberflächlich gearbeitet. So ist bei Amiras Vollstreckungsverfahren der Neudruck von 1964 nicht verzeichnet, sein Obligationenrecht weist ein falsches Erscheinungsdatum auf; das Diplomatarium Danicum ist nicht im Jahre 1938 erschienen, sondern bis heute nicht abgeschlossen; Danmarks Gamle Landskabslove haben mehrere Herausgeber, nicht nur Brøndum-Nielsen; die Finsensche Konungsbók-Ausgabe der Grágás von 1852 umfaßt nur zwei Bände und ist 1974 nachgedruckt worden; 1870 kam seine Übersetzung in zwei Bänden heraus. Die Reihe Islenzk Fornrit ist nicht 1959 abgeschlossen worden; Felix Liebermanns Ausgabe der Gesetze der Angelsachsen ist zwar 1960 nachgedruckt worden, aber bereits 1903–1916 erschienen. das HRG umfaßt 5 (nicht 4) Bände und ist erst 1998 abgeschlossen worden. Den neuen Hoops hat der Verfasser kaum benutzt, obwohl bis 1997 (dem Abschluß des Manuskripts) 9 Bände erschienen waren. An dieser Stelle zeigt sich, daß man ein sieben Jahre altes Manuskript nicht ohne Überarbeitung veröffentlichen sollte: Zwischen 1997 und 2004 sind vom neuen Hoops 17 Bände neu erschienen, die der Verfasser nicht mehr ausgewertet hat, von anderer Literatur zu schweigen. – Selbst in die Tabelle Nr. 2 (S. 490) haben sich drei Additionsfehler eingeschlichen.

 

Das Hauptverdienst des Werkes liegt in der ausgiebigen Darstellung und Interpretation der mittelalterlichen norwegischen Rechtstexte. Ob sie so umfangreich ausfallen mußte, ist fraglich. Im einzelnen ist vieles kritisch zu sehen – aber davon lebt der Fortschritt der Wissenschaft.

 

Köln am Rhein                                                                                                           Dieter Strauch