Hattenhauer, Hans, Europäische Rechtsgeschichte (= Ius
communitatis), 4. Aufl. C. F. Müller, Heidelberg 2004. XIV, 955 S.
Es
ist erfreulich, dass das erstmals 1992 erschienene großartige Standardwerk zur
europäischen Rechtsgeschichte von Hans Hattenhauer bereits in 4. Auflage
vorliegt, der Stefan Grundmann ein Geleitwort voranschickt. Zu Recht betont Hattenhauer
in seinem Vorwort: „Europa kann nur in seiner Geschichtlichkeit verstanden
werden und wird nur dann eine Zukunft haben, wenn es sich ständig neu
Gewissheit über seine Vergangenheit verschafft.“ Die Vergangenheit in Bezug auf
das Recht wird vom Verfasser hervorragend dargestellt und hinterfragt, wobei
die immer wieder eingestreuten Quellentexte das Bild verlebendigen. Das Buch
wurde in seiner zweiten Auflage in dieser Zeitschrift von R. C. Caenegem bereits
einlässlich gewürdigt (ZRG 1998, GA, S. 613f.). Wir beschränken uns daher
darauf, die Neuerungen seit der 1. Auflage zu erwähnen. Immerhin soll hier doch
noch einmal kurz auf den Inhalt des wichtigen Buches verwiesen werden.
Archaische Rechtskulturen, besonders jene der Kelten, Germanen und Slawen,
gehen der Behandlung des römischen Rechts voraus. Dann werden die
Christianisierung des Rechts und seine Auswirkungen dargestellt, was auch das
Verhältnis von Glaube und Recht betrifft. Die mittelalterlichen Krisen und
Unruhen und der Aufbruch mit Kreuzzügen, Inquisition, Stadt- und Kaufmannsrecht
und Rechtswissenschaft folgen. Die Bildung der Staaten und ihr Verhältnis zum
Reich, der Übergang vom Stammesherzogtum zur Landesherrschaft und neue
Rechtskreise und Rechtsquellen und die Auseinandersetzung von Papst und Kaiser
um den Vorrang in der Herrschaft gehen den Darlegungen über die „Eroberung der
Welt“ und zum Absolutismus mit seinem Recht voraus. Aufklärung und Revolution
mit Vernunftrecht und Kodifikationen folgen, worauf Reform und Restauration
behandelt werden mit Kodifikationsproblemen, Verfassungen und ihren Reformen u.
ä. Mit „Europäischer Weltherrschaft“ überschreibt Hattenhauer all die Auseinandersetzungen
um Parteien und Wahlen, Nationalstaaten und Nationalitäten und die
Sozialpolitik mit Rechtsfolgen. Dann folgt der „europäische Bürgerkrieg“ und
die Suche nach einer europäischen Rechtsordnung mit einem auch rechtlichen
Neuaufbau Europas.
Gegenüber
der ersten Auflage sind folgende Ergänzungen hervorzuheben: Eingefügt ist vor
allem der neue einleitende Abschnitt über Griechisches Recht aus der Zeit um
1250 vor Christus, der Blüte der mykenischen Kultur, bis 148/46 vor Christus,
als Griechenland römische Provinz wurde. Hattenhauer stellt fest, dass es in
Griechenland keinen Juristenstand und keine Rechtsgelehrsamkeit römischer Art
gab (S. 8) und die athenische Stadtverfassung das Verfassungsideal der Griechen
war (S. 15f.). In Bezug auf Europa sagt er: „Athen war zwar auf dem Wege nach
Europa, doch sein Beitrag zum europäischen Recht wurde nicht das tragende
Fundament, auf dem Europas Recht entstehen sollte“ (S. 26).
Neu
ist auch das Kapitel über „Die Türken“ (S. 497-540), was gerade im Hinblick auf
die Beitrittsfrage der Türkei zur Europäischen Union besonders von Interesse
ist, worauf auch der Verfasser hinweist (S. 540) und wobei er die Frage
aufwirft „nach der Vereinbarkeit des theokratischen Rechts mit jenem des römisch-christlichen-dualen
Rechts“. Hattenhauer zeigt auf, wie in langem Prozess das abendländische Recht
der Christen der Verfassung des Militärstaates des Osmanischen Reiches
begegnete (S. 500ff.). Gewürdigt wird auch die blühende Rechtswissenschaft und
entsprechend reiche juristische Literatur dieses Reiches (S. 506ff.).
Die
weiteren Änderungen gegenüber der ersten Auflage sind im allgemeinen nicht
zahlreich. S. 483 wurde der lateinische Titel des Abschnitts von „Usus modernus
pandectarum“ in „Modernes Pandektenrecht“ umgeschrieben. S. 614 werden der
Einfluss und die Rezeption des französischen Code civil näher ausgeführt. S.
738 sind Ergänzungen zum Wahlrecht der Frauen und der Minderjährigen. S. 792
wird neu gesagt, dass der Faschismus erst durch den Überfall Italiens auf
Abessinien 1935 seinen internationalen Ruf verlor. S. 888 wird auf die neue
Aufgabe Europas hingewiesen, sich der Weltpolitik zu stellen. Die Daten über
den „Neuaufbruch Europas“ S. 825 werden bis zur Ratifizierung der EU-Verfassung
2004 weitergeführt. Die Literaturhinweise werden bis 2004 auf 38 Seiten
ergänzt.
Hans
Hattenhauer bietet eine umfassende und wesentliche Gesamtschau europäischer
Rechtsgeschichte und abendländischen Rechtsdenkens. Das Buch besticht auch
durch seinen klaren und übersichtlichen Aufbau und die gepflegte Sprache. Sein
Verfasser ist zu beglückwünschen.
Brig Louis Carlen