Damit sind aber auch zugleich die thematischen Grenzen der Studie markiert: Sie ist nicht als umfassende juristische und historische Einordnung und Würdigung des Reichskriegsgerichts – dessen „Charakterbild“ wie das seiner Richter in bisherigen zeitgeschichtlichen Urteilen erheblich schwankt - sowie seiner gerichtsverfassungs-, verfahrens- und materiellrechtlichen Grundlagen gedacht. Gribbohm maßt sich mit seiner Untersuchung kein in diesem Sinne „abschließendes“ Votum an. Wohl aber hält sie ein in dieser objektivierten Form bisher nicht aufbereitetes materiell- und verfahrensrechtliches Material bereit, das durchaus eine sachgerechte Einschätzung von Struktur und Tätigkeit des Reichskriegsgerichts in rechtsstaatlichem Blickwinkel ermöglicht.
Der Verfasser hat den weitläufigen und komplexen Stoff in zwei große Teile, die Darstellung der Institution selbst und ihrer rechtlichen Bewertung, gegliedert. Deutlich wird aufgrund der detailliert und subtil aufbereiteten Rechtsquellen und Entscheidungen des Gerichts, dass das Verfahren des Reichskriegsgerichts zunächst noch dank der Militärstrafgerichtsordnung (1936) den Rechten des Beschuldigten und Angeklagten Rechnung getragen hat. Die Rechtsprechung folgte in der Vorkriegszeit denn auch großenteils überkommenen Bahnen revisionsrichterlicher Praxis. Durch die Kriegsstrafverfahrensordnung (1939) büßte das Reichskriegsgericht seine Funktion als Rechtsmittelgericht ein und wurde rechtlich wie praktisch den Kriegsgerichten der Wehrmacht gleichgestellt. Damit war zugleich ein weitgehender Abbau der Rechte des Betroffenen verbunden. Die tatrichterlichen Entscheidungen des Reichskriegsgerichts ihrerseits hatten nicht mehr die rechtliche Qualität eines endgültigen Judizes, sondern waren vielmehr einem besonderen Nachprüfungsverfahrens (vor allem Hitlers selbst und des Gerichtspräsidenten) unterworfen. Das Prinzip des gesetzlichen Richters wurde durch eine „bewegliche Zuständigkeitsordnung“, die bis hin zu Eingriffen in Einzelfällen reichte, und durch wechselnde Besetzungen der Richterbank ausgehebelt, 1945 schließlich endgültig beseitigt. Ebenso wurde die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter zunehmend abgebaut; seit dem 1. 5. 1944 war sie gänzlich abgeschafft. Vor diesem Hintergrund sind denn auch die extensive Auslegung schwerster Straftatbestände und die drakonische Strafzumessung des Reichskriegsgerichts zu sehen (dessen Rechtsprechung freilich infolge des Verlustes eines großen Teils der Aktenbestände nicht vollständig dokumentiert ist). Insgesamt erhärten diese Befunde das Urteil des Verfassers, dass das Reichskriegsgericht – dessen Judikatur durch eine ganze Reihe von Fallbeispielen veranschaulicht wird – während des Zweiten Weltkrieges in Struktur und Verfahren nicht mehr rechtsstaatlichen Maßstäben entsprochen hat. Eine solche Feststellung überrascht zwar angesichts des Diskussionsstandes auf dem Gebiet der Justiz im NS-Staat keineswegs. Doch hat Gribbohm aufgrund seiner nüchternen und realistischen Bestandsaufnahme und Analyse einen gewichtigen Beitrag zu einer objektiven zeitgeschichtlichen Forschung erbracht, die sich ausschließlich wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet weiß.
Saarbrücken Heinz
Müller-Dietz