JelowikGerber20050511 Nr. 11305 ZRG
GA 123 (2006) 52
Gerber, Stefan, Universitätsverwaltung und
Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und
Universitätskurator Moritz Seebeck (= Veröffentlichungen der historischen
Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 14). Böhlau, Köln 2004. 713 S.
Wer unter diesem Titel eine mehr
oder weniger systematische Darstellung von Universitätsverwaltung und
Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert erwartet, wird nach der Lektüre
des Buches enttäuscht sein. Auf sein eigentliches Anliegen weist der Autor im
Untertitel hin: Das Leben und Wirken des Jenaer Kurators Moritz Seebeck
(1805-1884) zu untersuchen. In diesem Sinne ist wiederholt vom „biographischen
Interesse“ (S. 435), von „biographischer Betrachtung“ (S. 596) oder schlichtweg
von einer „Biographie“ (S. 29) die Rede. Für den Blick auf Universitäts- und
Wissenschaftsgeschichte erweist sich der auf die Person Seebecks hin geordnete
„biographische Zugriff“ (S. 16) aber durchaus nicht als nachteilig, im
Gegenteil: „Im Leben und Wirken Moritz Seebecks ... können Grundstrukturen von
Wissenschaftsorganisation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein
und in ihrer spezifischen Ausprägung unter den Bedingungen der thüringischen
Kleinstaatenwelt nach 1850 ... anschaulich gemacht werden“ (S. 14). Angeregt wurde die Beschäftigung mit dem
Thema wohl vor allem durch den Widerspruch zwischen der Tatsache, daß Seebeck
in seiner Amtsführung als Kurator „geradezu als Gesicht der Universität nach
außen erschien“ (S. 474) einerseits und dem Vorhandensein einer nur „schmalen ,Seebeck-Literatur’“
(S. 354) andererseits.
Das Buch,
die gekürzte und überarbeitete Fassung einer von Hans-Werner Hahn, Jena,
betreuten und im Wintersemester 2003/2004 in Jena angenommenen philosophischen
Dissertation, ist in zwei Teile gegliedert, deren erster ganz der Person Moritz
Seebecks und seinem Werdegang bis zur Übernahme der Jenaer Kuratel gewidmet ist
(„Prägungen: Familie, Bildung und Politik“, S. 31ff.). Schon hier erscheint die
Arbeit als eine biographische Studie im umfassenden Sinne, in deren Mittelpunkt
selbstverständlich Moritz Seebeck steht, in die aber auch Eltern und
Großeltern, Geschwister und Ehefrau mehr oder weniger detailliert einbezogen
werden und die in weiten Teilen „nahezu das gesamte Spektrum ...
bildungsbürgerlicher Lebensentwürfe im 19. Jahrhundert ... sichtbar (macht)“
(S. 67).
Moritz
Seebecks Lebensweg war durch seine bildungsbürgerliche Herkunft - der Vater
Thomas Johann, ein Freund Goethes und mit Hegel wie mit beiden Humboldts
bekannt, war als Physiker und Naturforscher Mitglied der Preußischen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin - gewissermaßen vorgezeichnet. Nach dem Studium
der Philologie und Philosophie in Berlin und Leipzig wirkte er seit 1828 als
Pädagoge an verschiedenen Berliner Gymnasien. Schon in den Anfangsjahren trat
ein Grundzug seines beruflichen Strebens zutage: „Seebeck wollte ,etwas
werden’, er brachte sich durch Berufseifer und Lehrtalent, durch theoretische
Arbeiten und unter bewußter Nutzung schon geknüpfter Verbindungen ins Gespräch“
(S. 93). Seinem Ehrgeiz und wohl auch dem ausgedehnten Bekanntenkreis seines
Vaters verdankte er die Anstellung als nebenberuflicher „Hilfsarbeiter“ im
preußischen Kultusministerium unter Altenstein, die für seine weitere
berufliche Entwicklung in mehrfacher Hinsicht prägend werden sollte: Nicht nur
festigte sich hier Seebecks Überzeugung von der Überlegenheit des höheren
preußischen Schulwesens, er legte „in dieser Zeit auch den Grundstein zu jenem Beziehungsgeflecht
in Schulwesen und Kultusverwaltung Preußens ..., ... das für sein
wissenschaftsorganisatorisches Wirken von großer Bedeutung sein sollte“ (S.
96).
Mit seiner
gediegenen Kenntnis des preußischen Gymnasialwesens empfahl Seebeck sich für
eine Anstellung im Herzogtum Sachsen-Meiningen, als dort für die Schulreform
ein mit dem preußischen Schulsystem vertrauter Mann gesucht wurde. Im Jahre
1835 zum Direktor des Meininger Gymnasiums berufen, blieb von nun an Seebecks
Leben und Wirken, wenngleich manchem Wechsel unterworfen, auf Dauer mit den
sächsisch-thüringischen Territorien verbunden. Ihre besondere Ausprägung erfuhr
diese auch emotionale Bindung durch Seebecks nahezu zehnjährige Tätigkeit als
Erzieher des Meininger Erbprinzen Georg, die zu „bleibender Nähe“ zwischen
beiden führte und für den späteren Kurator Seebeck „ein bedeutsames
universitätspolitisches Instrument werden (sollte)“ (S. 138).
War Seebeck
bis dahin ausschließlich als „Schulmann“ in Erscheinung getreten, so führten
ihn die Revolutionsjahre in die Politik und Diplomatie. Als Bevollmächtigter
vertrat er seit Juli 1848 das Herzogtum Sachsen-Meiningen bei der provisorischen
Zentralgewalt in Frankfurt, später als Kollektivvertreter sämtliche
thüringischen und anhaltischen Kleinstaaten bei den Unionsgremien in Berlin.
Auch diese politisch-diplomatische Tätigkeit, so wenig sie ihn oftmals
befriedigte, erwies sich für sein späteres Kuratoramt als Gewinn: Sie steigerte
seinen Bekanntheitsgrad und verschaffte ihm neben einem „weitreichenden Kredit
bei den Regierungen der für die Universität Jena verantwortlichen sächsischen
Herzogtümer“ (S. 199) neue Beziehungen, die ihm vor allem in seiner
Berufungspolitik zugute kommen sollten.
Dem Wirken
Seebecks als Kurator der Universität Jena von 1851 bis 1877 ist der Hauptteil
der Arbeit gewidmet („Universität, Wissenschaft und Staat“, S. 201ff.). Er wird
mit einem Exkurs zur Geschichte der Universitätsaufsicht in Deutschland und
speziell zu ihrer, zeitweilig mit dem Namen und Wirken Goethes verbundenen,
Entwicklung an der Universität Jena eingeleitet. Schon im formalen Vergleich
mit seinen unmittelbaren Amtsvorgängern wird deutlich, daß die Amtsübernahme
durch Seebeck eine Erneuerung der Jenaer Kuratel bedeutete, war er doch der
Erste, der sie nicht im Nebenamt ausübte, sondern sich ihr mit ganzer Kraft
widmete. Schließlich war das Amt für ihn ein „Wunschposten“ (S. 257), für den
er sich - seltsam genug - selber in Vorschlag gebracht hatte, und er sah in der
Übertragung der Jenaer Kuratel „eine glückliche Fügung seines Lebens“ (S. 281).
Freilich erwies sich sein neuer Wirkungskreis auch als ein Amt, bei dem Ärger
nicht ausbleiben konnte und er als Kurator zwischen allen Stühlen saß, zumal er
es mit vier Erhalterstaaten der Universität, den sächsischen Herzogtümern
Weimar, Gotha, Altenburg und Meiningen bei deutlichem Übergewicht des
Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, zu tun hatte. So lassen seine Äußerungen schon bald „Unwillen und
Enttäuschung über die bei Amtsantritt ... nicht vorhergesehenen Mühen in der
Kuratel einer von vier Regierungen unterhaltenen Universität erkennen“ (S.
332).
Trotz des
in universitätspolitischen Fragen nicht immer konfliktfreien Verhältnisses zu
den kleinstaatlichen Regierungen, trotz ständiger Finanznot der Universität und
mannigfacher anderer Probleme wurde Seebeck der erfolgreichste Jenaer Kurator
im 19. Jahrhundert. Das „Geheimnis“ seines Erfolgs war ein „auf seine Person
hingeordnetes Einfluß- und Entscheidungsgeflecht“ (S. 661), das er auf allen
für Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation relevanten Feldern zur
Wirkung brachte. Gerber kleidet diesen Befund in die Formel vom „System
Seebeck“ und vergleicht damit Seebecks Amtsführung mit der in der Literatur als
„System Althoff“ bewerteten Praxis des preußischen Kultusbeamten in der
Universitätspolitik und Wissenschaftsorganisation. In der Tat spricht einiges
für diesen Vergleich, handelte es sich doch in beiden Fällen um Verhältnisse,
in denen „der Person des Wissenschaftsorganisators, seinem Beziehungsnetz,
seinem Verhältnis zum Monarchen, ja seiner persönlichen Kommunikationsweise und
seinen individuellen Prägungen entscheidende Bedeutung zukam“ (S. 659). Weniger
überzeugend sind Gerbers Versuche, Seebecks Wirken als Kurator anhand
bestimmter Kriterien wie Wissenschaftlichkeit, Professionalität oder
bevollmächtigte Kuratel gewissermaßen zu einer Kuratel-Theorie zu verdichten.
Die Arbeit
beruht auf einer überaus soliden Quellenbasis. Ausgewertet wurden vor allem die
einschlägigen Bestände der thüringischen Staatsarchive Altenburg, Gotha,
Meiningen und Weimar sowie des Universitätsarchivs Jena. Punktuell wurden
Handschriftensammlungen und Nachlässe aus diversen Archiven und Bibliotheken
herangezogen. Unter dem Einfluß der Materialfülle, die diese Quellenstudien
zutage gefördert haben, nimmt Gerbers Studie über weite Strecken einen geradezu
enzyklopädischen Zug an, wozu weitläufige biographische und historische Exkurse
zu Personen und Ereignissen, selbst solche von „Nebenschauplätzen“, nicht
unerheblich beitragen. Begünstigt durch
die Fülle biographischer Details, mit denen der Verfasser konfrontiert war,
sind ihm in dieser Beziehung gelegentlich Ungenauigkeiten bzw. Fehler
unterlaufen, so z. B. in den Angaben zu Karl Friedrich Gerber: Weder war dieser
in den 50er Jahren Privatdozent oder Extraordinarius in Jena (S. 474, 503),
noch ist er dort zum Ordinarius aufgestiegen, wie G. auf S. 467 fälschlich
meint. K. F. Gerber war vielmehr seit 1844 Privatdozent und seit 1846
Extraordinarius in Jena, wurde bereits ein Jahr später Ordinarius in Erlangen
und ging von dort 1851 in gleicher Eigenschaft nach Tübingen, bevor er 1862 für
kurze Zeit nach Jena zurückkehrte. Von seinem Aufstieg zum Ordinarius in Jena
kann folglich keine Rede sein.
Der Wert
der Arbeit wird davon nicht berührt. Gerbers biographische Studie behebt nicht
nur auf exzellente Weise den eingangs angedeuteten Mangel einer ausreichenden
„Seebeck-Literatur“, sie leistet auch einen gewichtigen Beitrag zur
detaillierten Erforschung der Jenaer Universitätsgeschichte, die in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts untrennbar mit dem Wirken ihres Kurators verbunden
war. Wenngleich Gerbers Schlußfolgerung, daß Seebecks kuratorischem Wirken das
Überleben der Universität Jena in diesem Zeitraum zu verdanken sei, überzogen
erscheint, so gebührt ihm zweifellos ein ehrenvoller Platz in der Geschichte
der Universität. Immerhin erinnert in Jena noch heute ein gegenständliches
Zeugnis seines Wirkens an den Kurator: Das Standbild des Kurfürsten und
Universitätsgründers Johann Friedrich, für dessen Errichtung anläßlich des in
seine Amtszeit fallenden Universitätsjubiläums von 1858 er sich in besonderem
Maße engagiert hatte.
Eine
gründlichere Korrektur hätte der Arbeit gut zu Gesicht gestanden:
Flüchtigkeits- und gelegentlich auch orthographische Fehler (z. B. die
wiederholte Verwechslung der Schreibweise von das und daß) irritieren den Leser
ebenso wie häufig fehlende Kommata; beides stört den ansonsten positiven
Gesamteindruck.
Halle (Saale) Lieselotte
Jelowik