Franzius,
Christine, Bonner Grundgesetz und Familienrecht. Die Diskussion um die
Gleichberechtigung von Mann und Frau in der westdeutschen Zivilrechtslehre der
Nachkriegszeit (1945-1957) (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 178).
Klostermann, Frankfurt am Main 2005. XII; 202 S.
In ihrer 2004 abgeschlossenen familienrechtshistorischen Dissertation
behandelt Franzius eine der zeitlich letzten großen Kontroversen zur
Geschlechterfrage, in der ein namhafter Teil der Stimmen offen für die Ungleichbehandlung der Frau eintrat. Damals, in den Jahren bis 1957,
versuchte man Elemente der Eheherrschaft und Hausherrschaft des Ehemanns und
Vaters im Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu bewahren, selbst als
dieser Herrschaft durch Art. 3 II, 117 I GG die Grundlage entzogen worden war.
Aus Sicht der Nachwelt erscheint auffällig, wie langsam und
widerstrebend in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er Jahre die
Gleichberechtigung der Geschlechter im Familienrecht durchgesetzt wurde.
Erinnert sei hier nur an §§ 1356, 1629 nach dem sogenannten
Gleichberechtigungsgesetz von 1957.
Franzius` besonderes Augenmerk gilt den
Stellungnahmen der Zivilrechtslehrer Westdeutschlands bzw. der frühen Bundesrepublik in der Zeit von 1945 bis 1957. Die Verfasserin ist bemüht (vgl. S. 11f.), die einschlägigen Quellen möglichst vollständig auszuwerten und sie zum wesentlichen Gegenstand
ihrer Untersuchung zu machen.
Franzius gliedert ihre Arbeit in zeitlicher
Reihenfolge in drei jeweils vierjährige Hauptabschnitte. Innerhalb
dieser Hauptabschnitte schildert sie zunächst jeweils die allgemeine
Familienrechtsentwicklung und sodann schwerpunktmäßig die Beiträge der
Zivilrechtslehrer. Der erste Teil (S. 15-54) befasst sich mit der Zeit von 1945
von 1949, also bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes. Im zweiten Teil (S.
55-127, betitelt „Reaktionen auf Art. 3 GG“ wird die Zeit von 1949 bis zum 31.
März 1953 behandelt, in welcher das ältere Familienrecht übergangsweise seine Geltung behielt, ein neues BGB-Familienrecht jedoch
noch nicht zustande kam. Der dritte Teil (S. 129-169) schließich beschäftigt sich mit dem familienrechtlichen „Interregnum“ der Jahre 1953 bis
1957. Damals wurde gem. Art. 117 I GG die Gleichberechtigung direkt durch
Richterrecht umgesetzt, ohne dass es bereits zu einer Neufassung des
BGB-Familienrechts gekommen wäre: Eine Reihe von verfassungswidrigen Normen des
alten Familienrechts wurde nicht mehr angewandt und die Lücken wurden zunächst richterrechtlich gefüllt.
Der Bericht zur Situation unmittelbar nach 1945 beginnt mit einem Überblick
zur Lage der Universitäten im allgemeinen und der Familienrechtslehre im
besonderen (S. 15-18). Sodann wird kurz auf die gesellschaftliche Stellung der
Frau in der Nachkriegszeit eingegangen (S. 18-20) und ihre zivilrechtliche
Stellung referiert (S. 21f.), was allerdings weitgehend auf eine bloße
Wiedergabe von BGB-Paragraphen beschränkt ist, ohne auf Rechtsprechung und
Reformforderungen der Zeit vor 1945 einzugehen. Sodann wird die Entstehung und
Vorgeschichte von Art. 3 II GG beschrieben (S. 21-28). Was die Stellungnahmen
der Zivilrechtslehrer betrifft (S. 28-52), so fallen hier zunächst die schön
recherchierten Kurzbiographien einiger Beteiligter auf, die eine sinnvolle
Ergänzung der Fußnotennachweise bilden (u. a. S. 29f., 44, vgl. auch andere
Passagen der Arbeit, u. a. S. 1, 69-72), freilich wird dort die biographische
Literatur gelegentlich ungenau mit „passim“ zitiert, statt exakt nachgewiesen
zu werden. Wichtigster Ansatzpunkt der inhaltlichen Untersuchung sind die
generellen Aussagen und Argumente der Zivilrechtler zur Rechtsstellung der
Geschlechter, wie sie insbesondere in § 1354 des damaligen BGB - Eheherrschaft
des Mannes - formuliert war. Argumente für eine Beibehaltung dieser Eheordnung
waren namentlich eine Sicht der Ehe als Gemeinschaft oder sozialer Organismus,
Praktikabilitätsgründe - ein Ehegatte müsse ja schließlich bei
Meinungsunterschieden die Entscheidungen treffen -, sowie eine vermeintliche
biologische und funktionale Verschiedenheit von Frau und Mann. In den
grundsätzlichen Ausführungen neigen die meisten Zivilrechtler zur Beibehaltung
eines patriarchalen Ehebildes, in der Behandlung konkreter Fälle, im ehelichen
Güterrecht und hinsichtlich einiger Einzelnormen im persönlichen Eherecht
dagegen sei, so Franzius, oft der Wille zu kleinen Anpassungen des
Rechts zugunsten der Frauen erkennbar gewesen.
Seit 1949 steht dem patriarchalen Ehebild Art. 3 II GG gegenüber. Franzius
schildert die neu entstandene Rechtslage (S. 55-57) sowie die zunächst
gescheiterten Versuche zur Familienrechtsreform (S. 58-65) nebst kurzer
Ergänzung zur gesellschaftlichen Stellung der Frau (S. 65f.). In
der Zivilrechtslehre hätten sich nun recht unterschiedliche Äußerungen
gegenübergestanden: neben Gleichberechtigungsbefürwortern habe es eine
patriarchale sowie eine gemäßigt konservative Auffassung (vgl. S. 69-74)
gegeben. Für die Gleichberechtigung hätte sich nur eine Minderheit
ausgesprochen - Ulmer, Dölle, Zweigert
- und diese Position nicht immer konsequent durchgehalten. Nach einer
vorzüglich recherchierten Einordnung der referierten Positionen in das
zeitgenössische Meinungsspektrum aus Politik, Staatsrechtslehre, Rechtsprechung
und Rechtspraxis (S. 75-82: die Praktiker, unter ihnen Frauen, neigten der
Gleichberechtigung vergleichsweise etwas stärker zu) kommt Franzius zum
zentralen Abschnitt ihrer Arbeit: Sie untersucht die Argumente der
Gleichberechtigungsgegner und -befürworter (S. 84-124). Dabei unterteilt sie in
wortlautbezogene, systematische, historische und teleologische Argumente. Zu
den wichtigsten Argumenten der Gegner gehören der Verweis auf überpositives
Naturrecht - nach Franzius unter katholischem Einfluss -, auf die
Institutsgarantie von Ehe und Familie in Art. 6 I GG, auf eine über Art. 3 I GG
einzuführende Berücksichtigung angeblich gravierender soziologischer,
biologischer, psychischer Verschiedenheiten der Geschlechter, auf die
Entstehungsgeschichte von Art. 3 II GG, den Charakter des Grundgesetzes als
Provisorium, auf den Gemeinschaftscharakter der Ehe und anti-individualistische
Ideologien - nach Franzius mit Berührungen zum nationalsozialistischen Gedankengut
-, auf das Kindeswohl, die Familie als staatsfernen Raum, auf Abgrenzung zum
Ehekonzept totalitärer, namentlich kommunistischer Staaten, auf die
vermeintliche Lebenswirklichkeit der Ehe und schließlich gar auf Schutz und
Würde der Frau. In der Einordnung der Argumente (S. 120-124) und
Zusammenfassung (S. 124-127) wird unter inhaltlichen und methodologischen
Gesichtspunkten u. a. diskutiert, ob und inwieweit ein Fortwirken
nationalsozialistischer Werte und Denkmuster feststellbar sei.
Ab 1953 ändert sich nicht nur das geltende Familienrecht (S. 129-140, dabei
S. 132-138 zur Entstehung des Gleichberechtigungsgesetzes), sondern auch die
Argumentation der Rechtslehrer. Diese wird auf S. 140-166 mit besonderer
Berücksichtigung Boschs besprochen. Grundsätzlich sieht sich nun eine
Mehrheit gezwungen, die neue Rechtslage anzuerkennen und rückt von älteren
Auffassungen ab. Die Gleichberechtigung wird akzeptiert, wenn auch oft mit
gewissen Übergängen und Einschränkungen. Eine Ausnahme bildet Bosch, der
auf einem „natürlichen“ Entscheidungsrecht des Ehemanns und Vaters beharrt.
Doch insgesamt konstatiert Franzius eine Abkehr von antipositivistischen
und anti-individuellen Begründungsmustern der Rechtslehrer, wie sie in der Zeit
bis 1953 noch gegen die Gleichberechtigung eingesetzt worden seien (S. 167),
verweist gleichwohl auf die 1954 von Bosch begründete
Familienrechtszeitschrift - FamRZ -, die anfangs in erster Linie ein Forum für
konservative Beiträge gewesen sei (S. 168f.). In der Zusammenfassung der
Arbeitsergebnisse (S. 171-177) kritisiert Franzius die naturrechtliche
antipositivistische Argumentation dahingehend, dass diese die Gefahr der
Willkür und Manipulierbarkeit in sich berge (S. 172). Der familienrechtliche
Konservatismus sei Teil einer versuchten Restauration patriarchaler Strukturen
gewesen (S. 173f.). Überraschend sei, dass einige Hauptakteure des
NS-Familienrechts später zu den stärksten Befürwortern der Gleichberechtigung
gehört hätten (S. 175f.). Dies sei als Teil ihrer Abkehr von der Vergangenheit
zu verstehen, so wie auch im Wandel von der hierarchischen zur paritätischen
Familienordnung gewisse Parallelen zum Demokratisierungsprozess der
westdeutschen Nachkriegsgesellschaft lägen.
Die verwendete Literatur ist auf S. 181-200 der Arbeit aufgelistet. Während
der Umgang mit gedruckten Quellen der Jahre 1945-1957 recht ansprechend wirkt,
wären im übrigen noch Ergänzungen denkbar, nicht als bloße deskriptive
Erweiterung, sondern beschränkt auf die Funktion einer gezielten Erläuterung
und Interpretation der Quellen nach 1945. Hinsichtlich Quellen der Zeit vor
1933 neigt die Arbeit zum Sekundärnachweis, so z. B. auf S. 40 hinsichtlich Bebels
„Die Frau und der Sozialismus“: das Buch selber wird in seiner Bedeutung
geschildert, aber nicht als eigenständiger Nachweis geführt, sondern nur in
einer unselbständig der Sekundärliteratur entnommenen Kurzbeurteilung
wiedergegeben (ähnlich S. 34 zu Gierke). Ein Großteil der Quellen vor
1933, in denen die Reformen der 1950er Jahre der Sache nach vorbereitet worden
sind, wird nicht einmal in dieser Sekundärform wahrgenommen. Daher bleibt auch
die naheliegende Frage aus, ob und gegebenenfalls in welchen Punkten die
Argumente der Nachkriegszeit an diese älteren Traditionen anknüpfen, die hierzu
mindestens genauso von Interesse wären wie die umfangreich herangezogenen
Quellen und Forschungen zur NS-Zeit. Sicherlich sind auch diese von Bedeutung,
doch sollten wegen ihnen nicht diejenigen Äußerungen von Frauen, jüdischen und
linksliberalen Autoren früherer Jahre komplett eliminiert werden, die den
Ergebnissen der späteren Familienrechtsreform erheblich näher standen. Nicht
einmal so zentrale Dokumente wie die Gutachten Dronkes und Rebstein-Metzgers
vor dem Deutschen Juristentag 1931 mit ihren Detailvorschlägen zur
Familienrechtsänderung werden auch nur in einer Fußnote erwähnt, ganz zu
schweigen von den umfangreichen Reformvorschlägen der zeitgenössischen
Frauenbewegung vor 1933 (Kempin, Augspurg, Proelß/Raschke,
Weber, Munk u. a.). Der einzige einschlägige Primärquellenverweis
- auf zwei Schriften Helene Langes über die allgemeinen Probleme der
Frauenbewegung - wirkt dagegen recht willkürlich. Die Zivilrechtslehrer selber
hätten hier zahlreiche Anknüpfungspunkte geboten, denn sie setzten sich teils
umfangreich mit der Frauenbewegung auseinander (vgl. nur S. 30f.), was nur
referiert, aber nicht unter Verwendung weiterer Quellen interpretiert wird. Franzius
bezieht sich im übrigen im Haupttext mehrfach auf Archivmaterialien (vgl. S. 21
Anm. 19; S. 28, Anm. 73). So erscheint es überraschend, dass im Quellen- und
Literaturverzeichnis keinerlei Archivnachweise verzeichnet sind.
Die vorzügliche, sehr übersichtliche Gliederung der Arbeit verdient
besondere Hervorhebung, hinzu kommt ein Personenregister, welches noch durch
ein Sachregister hätte ergänzt werden können. Beim wesentlich neue
Forschungsgegenstand des Werkes handelt es sich nicht um die damalige
Familienrechtsreform schlechthin - zuletzt u. a. schon Gegenstand der
Monographie Vaupels - sondern speziell um Beiträge und Stellungnahmen
der Zivilrechtslehre. Wichtiges Verdienst der Arbeit ist es, gezielt diese
Beiträge gesammelt, dokumentiert und in systematischer Gliederung interpretiert
zu haben. Insbesondere die systematisch aufgegliederte Wiedergabe von
Einzelargumenten der Reformgegner (S. 85-116) ist hier als einer der Höhepunkte
der Arbeit hervorzuheben. Insofern wird die Familienrechtsgeschichte in Zukunft
auf eine materialreiche Dokumentation über einen der letzten intellektuellen
Verteidigungskämpfe des Patriarchats zurückgreifen können.
Hannover Arne
Duncker