Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, hg. v. Langewiesche, Dieter/Schmidt, Georg. Oldenbourg, München 2000. 429 S.

 

Der vorliegende Sammelband enthält die Ergebnisse einer im Jahre 1998 in Weimar abgehaltenen Tagung von Historikerinnen und Historikern, in der zusammen mit Literatur- und Sprachwissenschaftlern verschiedene Aspekte des Themenkomplexes „Nation, Nationalismus, Nationalstaat“ erörtert wurden – eines Themenkomplexes, der auch für den Rechtshistoriker von nicht geringem Interesse ist, auch wenn bei der Tagung weder Rechthistoriker noch Juristen, etwa Verfassungsjuristen, beteiligt waren. Hauptthemen waren die Rolle des Krieges als Mittel nationaler Identifikation, die Idee der Nation als „Teilhabeverheißung“, die Beziehung von Sprache und nationaler Identität, die Konstruktion nationaler Zuordnungen von Bevölkerungen sowie schließlich das Verhältnis von Nation und Frau in Gesellschaft und Politik. Zum erstem Themenbereich finden sich Beiträge von Georg Schmidt über frühneuzeitliche Formen einer nationalen Identifikation am Beispiel des Schmalkaldischen Krieges, des Dreißigjährigen Krieges und des Siebenjährigen Krieges, von Horst Carl über den nationstiftende Wirkung der Befreiungskriege und Nikolaus Buschmann über die Nationalisierung des Krieges und deren Auswirkung auf das Verhältnis von Preußen und Österreich im 19. Jahrhundert. Für den zweiten Bereich enthält der Sammelband Beiträge von Dieter Mertens über Vorstellungen von einer deutschen Nation im 15. und 16. Jahrhundert, von Joachim Bauer über die studentische nationale Identifikation am Anfang des 19. Jahrhunderts, von Wolfgang Burgdorf über die Entstehung eines frühneuzeitlichen deutschen Nationalbewußtseins in der Mitte des 18. Jahrhunderts, von Maike Umbach über föderalistische Vorstellungen in der deutschen Nationalitätsdiskussion des 18. Jahrhunderts und von Dieter Langewiesche über die Fortwirkung und Transformation des föderativen Nationalismus des Alten Reiches im Deutschen Reich von 1871. Die sprachliche Dimension des Themenkomplexes erörtern Wilhelm Kühlmann mit seinem Beitrag über die nationalitätsbildende Funktion der Sprachgesellschaften ab dem 17. Jahrhundert, Klaus Manger in seinem Beitrag über die Formulierung der literarischen Klassik als Ausdruck nationaler Normierung und schließlich Ingo Reiffenstein in seiner Studie über die nationsbildende Kraft der Hochsprache in Deutschland und in Österreich. Bei der Konstruktion nationaler Zuordnungen untersucht Michael Maurer zunächst die Außenwahrnehmung der Deutschen, die sich für ihn erst spät, nämlich nach der Entstehung einer nationalen Kultur der Deutschen, als eine einheitliche feststellen läßt, während Reinhard Stauber nach den unterschiedlichen Wahrnehmung der Grenze im Alpenraum von deutscher und italienischer Seite fragt. Der Beitrag von Alon Confino dagegen ist der Frage nach der Verbindung von nationaler und regionaler Identität am Beispiel von Württemberg gewidmet. Für den letzten Themenbereich behandelt Siegrid Westphal die Teilhabe der Frau an der Entwicklung der Idee der Nation in der frühen Neuzeit und Ute Planert die Entwicklung eines spezifisch weiblichen Patriotismus als Vorstufe weiblicher Partizipation an Nation und Politik.

 

Die einzelnen Beiträge lassen die ganze Bandbreite des Problemfeldes „Nation, Nationalismus und Nationalstaat“ mit zum Teil divergierenden Aspekten seiner Behandlung sichtbar werden, die Dieter Langewiesche in einer einleitenden Abhandlung unter Darstellung des derzeitigen Forschungsstandes konzis beschrieben hat. Ihre Ergebnisse sollen insgesamt dazu dienen, wie Langewiesche in seiner Abhandlung betont, einen theoretischen Rahmen zu entwerfen und eine europäische Perspektive zu umreißen, um die Ergebnisse der deutschen Nationalgeschichte mit den Resultaten heutiger Nationalismustheorien zu konfrontieren und sie in den europäischen Zusammenhang einzuordnen. Ob dieser auf die geschichtliche Begründung einer Theorie von Nation, Nationalismus und Nationalstaat abzielende Ansatz einer historischen Erkenntnis dieser Phänomene angemessen und hilfreich ist, sei hier dahingestellt. Man könnte sich durchaus fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, konsequent den Spuren von Vorstellungen einer Zusammengehörigkeit von sozialen Gruppierungen und deren Wandlungen nachzugehen, aus denen schließlich die Idee einer Nation und die Nation als Gemeinschaft mit all ihren Schattierungen - und übrigens auch Problemen - erwachsen ist, mit anderen Worten, bei dem historiographischen Erkenntnisziel zu bleiben, was immer die Geschichtstheoretiker mit ihrem historischen Deutungsmonopol aus den Ergebnissen einer Darstellung der geschichtlichen Vorgänge für sich daraus entnehmen.

 

Für die deutsche Rechtgeschichte spielt die im vorliegenden Sammelband behandelte Thematik insofern eine wichtige Rolle, als die Nation und die Zugehörigkeit zu ihr sich nicht nur über die Zugehörigkeit zu Ethnos, Sprache, Kultur, politischer Organisation und einer darauf gegründeten Idee zu definieren ist, sondern mindestens ebenso durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Recht und Rechtsbereich. Recht und Rechtsbewußtsein machen einen integralen Bestandteil von Nation und nationaler Idee aus, und dies übrigens nicht erst seit der Französischen Revolution, sondern schon seit dem frühen Mittelalter. Erste Anfänge lassen sich etwa bei den germanischen Völkern nachweisen, ohne daß freilich eine Kontinuität zur Idee der Nation in der Neuzeit behauptet werden soll. Wichtig ist nur, daß die Idee von Nation, Nationalismus und Nationalstaat nicht ohne das Recht und ein spezifisches Rechtsbewußtsein erfaßt werden können.

 

Salzburg                                                                                                        Arno Buschmann