Dürselen, Florian G., Franz Beyerle (1885-1977). Leben, Ära und Werk eines Rechtshistorikers (= Rechtshistorische Reihe 307). Lang, Frankfurt am Main 2005. 288 S.

 

Der Rechtsgermanist Franz Beyerle hat in dieser Zeitschrift tiefe Spuren hinterlassen durch seine Rezensionen, Nachrufe, Miszellen und Aufsätze, vor allem seine Abhandlungen über die germanischen Volksrechte. Erinnert sei auch an die eindrucksvolle Basler Antrittsvorlesung über den Ursprung der Bürgschaft (Bd. 47, 1927, S. 567-645). Hans Thieme hat seinem im gesegneten Alter von 92 Jahren zu Wangen am Bodensee verstorbenen Lehrer und Vorgänger auf dem Freiburger Lehrstuhl eine schönes literarisches Denkmal gesetzt (Bd. 96, 1979, S. IX-XXXVI). Clausdieter Scholl verdanken wir die 127 Nummern umfassende Bibliographie des Gelehrten (Bd. 97, 1980, S. 298-304). In der Fachwelt verbinden sich mit dem Namen des Rechtshistorikers noch immer dessen teils bahnbrechende Leistungen als Forscher auf den Feldern der leges Germanorum, der Stadtrechtsgeschichte, des Privatrechts, der Dogmen- und Wissenschaftsgeschichte.

 

Die von Albrecht Cordes geförderte Frankfurter Dissertation folgt einer anspruchsvollen Konzeption mit dem Ziel eines ganzheitlichen Persönlichkeitsbildes: Leben, Werk und Zeitsignaturen sollen in ihrem Zusammenhang chronologisch erscheinen. Der Autor verwebt also die äußeren Lebensdaten mit den Arbeitsprozessen und dem Verlauf der deutschen Geschichte. Nach Herkunft und Studienjahren treten die früh angelegten Forschungsfelder des mittelalterlichen Stadtrechts und der germanischen Volksrechte in den Blick. Es folgen die Privatdozentur in Jena, die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und die schwere Verwundung. Dann stellt der Verfasser die abwechslungsreichen Professorenjahre dar: in Basel (1918–1929), Greifswald (1929–1930), Frankfurt am Main (1930–1934), Leipzig (1934–1938) und Freiburg im Breisgau (1938–1952).

 

Stellenweise geht der Anspruch sehr weit, so wenn der Autor die Entwicklung Beyerles vom frommen Klosterschüler zum „germanischen Heiden“ (wie er sich selbst nannte), das heißt seine Religiosität teils über die mündlichen Auskünfte lebender Zeitzeugen „lückenlos“ aufweisen will. Überaus anspruchsvoll auch der Versuch, politische und gesellschaftliche Umstände „näher zu beleuchten“, um das Handeln des Portraitierten verständlich zu machen. Im Ganzen freilich gelingt die meist quellengesättigte literarische Integration.

 

Beyerle hat als Jurist das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die Hitler-Diktatur und die Bundesrepublik Deutschland erlebt mit den dazwischen liegenden Umbrüchen, mit den Höhen und Tiefen der jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte. Als Konstanzer pflegte er zeitlebens, wie sein Biograph auf Grund von Gesprächen mit Familienangehörigen urteilt, „einen gesunden Patriotismus zum badischen und alemannischen Raum“. Als „Dummheit und großes Unglück“ habe er „den preußischen Militarismus“ verurteilt. Beyerle sei „nicht wie die meisten Kollegen seiner Zeit ein bedingungsloser Befürworter der Monarchie“ gewesen. Gleichwohl meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. „Die Interessen des Heeres waren die des Volkes: Somit schien es selbstverständlich, sich als Freiwilliger für die eigene Sache zu melden“ (meint der Autor S. 122). In seinen ungedruckten, im Privatarchiv der Familie verwahrten und in der Dissertation oft herangezogenen Lebenserinnerungen nannte Beyerle den Verfassungsentwurf von Hugo Preuß ein „Cliché“ und eine „Asphalt-Ideologie“. Statt dessen hätte er sich „deutsche Vorbilder“ gewünscht, die er im Stände- und im alten Stadt-Staat sah (S. 145).

 

Als Germanist forderte Beyerle ein volksverständliches und volksnahes Recht. In Frankfurt, dem „Dreh- und Angelpunkt seines akademischen Lebens“, gründete er eine „Arbeitsgemeinschaft für Rechtserneuerung“. Mochten einzelne seiner Postulate der nationalsozialistischen Ideologie entgegenkommen, so erwies sich der Rechtsgermanist im liberalen Frankfurt trotz seiner Hoffnung auf eine „Befreiung des Zivilrechts von der pandektistischen Begriffsenge und der positivistischen Methode“ und trotz seiner Berufung in die „Akademie für Deutsches Recht“, als ein dem NS-Regime gegenüber ablehnend eingestellter Professor. An den Freundschaften mit jüdischen Kollegen hielt er treu fest und bewährte sich als uneigennütziger und mutiger Helfer bedrängter Kollegen. „Dass Beyerle nach dem Krieg in einen Entnazifizierungsausschuss berufen wurde, ist das Ergebnis seines regimefeindlichen Verhaltens während der nationalsozialistischen Diktatur“ (S. 211). Sehr lesenswert und nachdenkenswert sind die von Dürselen aus dem Freiburger Universitätsarchiv zitierten Erwägungen Beyerles zu den Möglichkeiten, die für den – wie der Rechtshistoriker selbst – als unzuverlässig Eingestuften im Gewaltregime blieben (S. 212-214).

 

Die Dissertation besticht durch ihren Reichtum an Belegen und Nachweisen. Sie erörtert die Lebensstationen und das Oeuvre des Rechtshistorikers umfassend und gedenkt auch des älteren Bruders, Förderers und Fachkollegen Konrad Beyerle. Als roten Faden, der sich durch das Leben Franz Beyerles zog, erkennt der Autor „die Ablehnung fremdartiger Elemente und Wertekataloge, die aus seiner Sicht die ursprünglichen einheimischen Formen und Werte negativ beeinflußten“. Fast tragisch zu nennen die Reserve, mit der Beyerle der Weimarer Reichsverfassung gegenüber stand, weil sie – wie die deutsche Rechtskultur – nach seiner Ansicht dem Charakter des Volkes nicht entsprach. Dürselen hält Beyerle trotz dessen origineller und anregender, teilweise auch dauerhafter Arbeiten nicht für einen Rechtshistoriker der „ersten Reihe“. Um so höher schätzt er mit Grund dessen menschliche Qualitäten ein. Ob sie mit dem Schlußwort aus dem Munde Werner Maihofers zutreffend zusammengefaßt werden, mag dahinstehen.

 

Heidelberg                                                                                                                 Adolf Laufs