Die Sprache des Rechts. Studien der interdisziplinären Arbeitsgruppe
Sprache des Rechts der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften,
hg. v. Lerch, Kent D. Band 1 Recht verstehen. Verständlichkeit,
Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht. De Gruyter, Berlin 2004.
XIX, 466 S.
Der erste von drei Bänden der Schriftenreihe „Die Sprache des Rechts“
enthält 32 Beiträge, die sich mit der Verständlichkeit, Missverständlichkeit
und Unverständlichkeit des Rechts befassen. Darin sollen, wie im Vorwort näher
ausgeführt, „die wichtigsten Ansätze auf dem Gebiet der Rechtslinguistik
gesichtet, gesammelt und ausführlich erörtert“ werden. Ziel ist es, „eine Summe
des heutigen Forschungsstandes zu Sprache und Recht“ darzustellen (S. V).
Der Traum vom verständlichen Recht ist alt. Er führt zurück in die Epoche
von Aufklärung und Naturrecht. So muss nach Montesquieu der Stil der Gesetze
„knapp sein“, ihre Sprache „muss einfach sein, der schlichte Ausdruck wird
immer besser verstanden als der ausgeklügelte“. Auch Gottfried Wilhelm Leibniz
nennt „Klarheit und Kürze“ als die „zwei Haupt-Tugenden aller Gesetze“.
Ähnliche Formulierungen finden sich bei so unterschiedlichen Autoren wie Jean
Domat, Johann Georg Schlosser, Friedrich dem Großen oder Karl Anton Freiherr
von Martini. Christian Wolff glaubte, den meisten Wörtern könne eine „gewisse
und bestimmte Bedeutung“ beigelegt werden. Jurisprudenz erschien ihm nur noch
als bloßes „Kinderspiel“, wenn die Gesetze richtig formuliert seien. Warum der
Ruf nach einer begrifflich exakten und verständlichen Gesetzessprache gerade im
17. und 18. Jahrhundert so laut wurde, hat verschiedene Gründe.
Einer der Gründe liegt in der Tatsache, dass im 17. Jahrhundert das gemeine
Recht zunehmend in Misskredit geraten war und als Prügelknabe aller möglichen
Gebrechen herhalten musste. Die Forderung nach Klarheit und Verständlichkeit
empfand man als Befreiung aus den durch das römische Recht angelegten
Subtilitätenfesseln. Dabei wurde auch das nationale Identitätsbewusstsein
angesprochen, das im germanischen Simplicitas-Ideal einen Ausdruck
gefunden hat. „Knapp, klar und vaterländisch“ lautet daher nicht nur bei
Hermann Conring die Devise. Die Forderung nach Einfachheit und Verständlichkeit
hat darüber hinaus verfassungsrechtliche Gründe: Der aufgeklärte Absolutismus
wollte nur das Gebot des Monarchen als Rechtsquelle anerkennen. Nur das Gesetz
sollte den Richterspruch beherrschen. Um dies wirklich sicherstellen zu können,
musste der Spielraum für Auslegung durch Rechtsprechung und Wissenschaft so
weit wie möglich eingeschränkt werden. Zur Realisierung dieses Zieles verfolgte
der aufgeklärte Absolutismus eine doppelte Strategie: Nach der Regel In
claris non fit interpretatio darf ein klar und eindeutig formulierter
Rechtstext nicht ausgelegt werden. Ist das Gesetz dagegen dunkel, unklar oder
schwer verständlich, dann muss der Richter die Sache der Justizaufsicht
vorlegen, die Zweifelsfragen bei der Auslegung autoritativ, d. h. mit
Gesetzeskraft entscheidet. Darüber hinaus betrachtete es der aufgeklärte
Absolutismus als eine wohlfahrtsstaatliche Aufgabe, dem Bürger das Recht
bekannt zu machen. Dieser sollte sich im verständlich geschriebenen Gesetz über
die Rechtslage informieren können, um nicht erst bei den - zur damaligen Zeit
ohnehin in Misskredit geratenen - Advokaten Rat einholen müssen.
Heute ist es dagegen der Anspruch des Demokraten, der sich dem Gesetz nicht
einfach unterwerfen, sondern kritisch auseinandersetzen will: „Das Recht auf
verständliche Gesetze ist ein demokratisches Grundrecht, nicht anders als das
Recht auf freie Wahlen, freie Rede oder Gleichberechtigung vor dem Gesetz“ (Wolfgang
Klein, S. 201). „Gerade in einem zukünftigen Europa muss es jedem Einzelnen
möglich sein, sich unmittelbar, frei und direkt über seine Rechte informieren
zu können“ (Christian F. G. Schendera, S. 321). Nur vor diesem aktuellen
politischen Hintergrund erklärt sich, warum die Forderung nach Verständlichkeit
des Rechts nunmehr schon seit einigen Jahren mit erstaunlicher Vehemenz und Hartnäckigkeit
erhoben wird.
Ist es aber überhaupt möglich, „die Paragraphen so umzuformulieren, dass
der Durchschnittsmensch sie verstehen kann“? (Wolfgang Klein, S. 201).
An dieser Frage scheiden sich die Geister. Aufklärerischen Optimismus
verbreitet die moderne Linguistik, die auf Präzision, Eindeutigkeit und leichte
Erfassbarkeit von Texten zielt. Ein Beispiel bildet die viel diskutierte
Lesbarkeitsforschung. Sie will aus syntaktisch-stilistischen
Oberflächenmerkmalen wie Wort- und Satzlänge, technisches Vokabular,
Nominalstil, Passivformen oder Satzverschachtelung darauf schließen, ob ein
Text verstanden wird oder nicht. Gegen diesen Ansatz ist der Einwand erhoben
worden, dass sich die Verständlichkeit eines Textes nicht anhand von objektiven
Merkmalen messen lasse, sondern immer auch einen Rückgriff auf das konkrete
Verstehen durch einen konkreten Leser erfordere. Verständlichkeit ist also, wie
in den Beiträgen etwa von Ursula Christmann (S. 33ff.) und Markus
Nussbaumer (S. 285ff., 288) näher ausgeführt, ein relationaler Begriff. Sie
ist nicht allein von Texteigenschaften abhängig, sondern abhängig von diesen
Eigenschaften in Relation zum jeweils Verstehenden. Einen guten Überblick über
den gegenwärtigen Stand der Forschung und vor allem über die in den letzten 20
Jahren entwickelten Leser- und Leser-Text-Modelle bietet darüber hinaus der
Beitrag Christian F. G. Schenderas (S. 321ff.).
Allerdings ist auch der Leser keine feste Größe. So macht es einen
Unterschied, ob sich ein juristischer Experte, ein Laie, ein typischer
Durchschnittsverbraucher oder ein Unternehmer mit dem Text befasst. In der
Mehrzahl der in dem Band versammelten Beiträge wird die Auffassung vertreten,
dass der Versuchung, „im Recht den Common Sense in Paragraphensprache
umzusetzen, bedingungslos widerstanden werden muss“ (Matthias Beltz, S.
4; s. a. Dietrich Busse, S. 13
oder Raffaele de Giorgi, S. 81). Es herrscht die Annahme, dass das
Verständnis des Laien bei der Auslegung eines Textes nicht weiter von Belang
sei. Dem stünde auch das Demokratieargument nicht entgegen. Als Beispiel wird
die DDR genannt, deren Gesetze gut verständlich gewesen seien, ohne dass es
sich um eine Demokratie gehandelt habe (Wolf-Hagen Krauth, S. 206).
Ähnliches ließe sich über die Gesetze aus der Zeit des aufgeklärten
Absolutismus sagen. Zudem wird darauf hingewiesen, dass Kenntnis und Verstehen
gar nicht Voraussetzung für das Befolgen von Normen seien. Der Bürger tätigt
täglich zahlreiche Rechtshandlungen, ohne die rechtlichen Implikationen seines
Handelns zu kennen. Erst im Konfliktfall beginnt er sich für die
Durchsetzungschancen seiner Position zu interessieren „und da fängt die Sache
dann an, unverständlich zu werden. Denn das Recht kann zwar die
Konfliktentscheidung garantieren, nicht aber sicher prognostizieren, wie
entschieden wird“ (Regina Ogorek, S. 305).
Durch das nunmehr in § 307 Abs. 1 BGB als Rechtsprinzip geregelte
Transparenzgebot hat die Forderung nach Textverständlichkeit zusätzliche
Schubkraft erhalten. Dem Transparenzgebot ist zwar bislang nur der Verwender
von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), nicht aber der Gesetzgeber
unterworfen. Die praktische Bedeutung des Transparenzgebots ist gleichwohl
immens. Es führt zu einer Verständlichkeitskontrolle bei einer Vielzahl von
Verbraucherverträgen. Betroffen sind neben Kraftfahrzeug-, Hausrat-, Lebens-,
Haftpflicht- und Krankenversicherungen auch Miet-, Darlehns- und Bankverträge.
Das Hauptproblem liegt in der Frage, wann eine Vertragsklausel als verständlich
oder unverständlich zu qualifizieren ist. Auch im Recht der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen können die in der Sprachwissenschaft entwickelten
Verständlichkeitskonzepte also relevant werden. Auch hier beginnt man darüber
zu diskutieren, ob und in welcher Weise verdächtige Textmerkmale wie
Nominalstil, Wortlänge oder Satzverschachtelung die Verständlichkeit
erschweren. Einzelheiten der Problematik sind vor allem in den Beiträgen von Kent
D. Lerch (S. 239ff.) und Hans-Peter Schwintowski (S. 375ff.)
überzeugend herausgearbeitet worden.
Unter der Prämisse, dass es möglich sei, Rechtstexte in einer für den
Durchschnittsmenschen verständlichen Weise zu formulieren, ergeben sich
Verbindungen zur juristischen Hermeneutik, die in dem Sammelband leider so gut
wie ausgeblendet bleiben. Die juristische Aufklärungshermeneutik steht unter
der Prämisse, dass das Recht ausschließlich in Regeln seinen Sitz habe und
folglich auch in Regeln nur gefunden werden könne. Die Rechtsordnung erscheint
so als ein Aggregat von Normen, die sich auf Grund ihrer Einfachheit und
Verständlichkeit leicht erlernen und gleichsam mechanisch, d. h. unter
weitgehendem Verzicht auf Auslegung durch Rechtsprechung oder Wissenschaft
anwenden lassen. Die Parallele mit der modernen Verständlichkeitsforschung
liegt darin, dass offenbar auch hier der Glaube vorherrscht, dass Normen die
Bestimmung und Sicherheit ihrer Anwendung in sich tragen und folglich unter dem
Gesichtspunkt ihrer Selbständigkeit betrachtet werden können. Dabei macht es
keinen Unterschied, ob der jeweilige Psycholinguist oder Rechtslinguist den
Akzent eher auf die Leserseite oder mehr auf die Textseite legt. Dietrich
Busse hat zu Recht hervorgehoben, dass die Probleme der juristischen
Entscheidungsfindung und Urteilsbildung durch eine Beschränkung auf Fragen der
Formulierungstechnik allzu stark vereinfacht werden: „Wo der Gesetzgeber seinen
Willen in eindeutigen und zweifelsfrei zu interpretierenden Sätzen ausdrücken
kann, da wird der Rechtsentscheider zu einem bloßen Rechtsanwender. Er wird mithin
zum Subsumtionsautomaten“ (S. 12).
Bereits Savigny hatte auf das Erfordernis einer Trennung zwischen dem
„Inhalt der Rechtsquellen“ und ihrem „Übergang ins Leben“ verwiesen (System des
heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 206). Im Unterschied zur
Aufklärungshermeneutik beruht seine Hermeneutik auf einer strikten
Unterscheidung von Fall und Norm. Wie später bei Gadamer in seinem epochalen
Werk „Wahrheit und Methode“ muss auch bereits bei Savigny der Inhalt einer Rechtsquelle
durch den Rechtsentscheider immer neu ermittelt und neu hergestellt werden,
wenn diese in das Leben treten soll (dazu näher Stephan Meder, Missverstehen
und Verstehen, 2004, S. 63ff.). Hier liegt der eigentliche Grund, warum die
rechtliche Botschaft auch nach linguistischer Bearbeitung nicht besser verstanden,
sondern allenfalls „flotter gelesen“ werden kann (Regina Ogorek, S.
300). Klar und verständlich wäre ein Rechtstext erst, wenn er auch seine „Anwendungen“
enthält. Dies haben die Verfasser des preußischen Allgemeinen Landrechts
scharfsichtig erkannt: Die oft belächelte Kasuistik des Gesetzes ist nicht nur
Ausdruck eines bestimmten Regelungsstils, sie dient vielmehr auch
Erläuterungszwecken. Um größtmögliche Verständlichkeit zu erreichen, erläutert
das Gesetz immer wieder seine eigenen allgemeinen Begriffe durch verschiedene
Anwendungsfälle. Es subsumiert selbst, um dem Leser die Rechtslage eindeutig
vor Augen zu führen und um möglichst jede eigenständige Schlussfolgerung von
Rechtsprechung und Wissenschaft auszuschließen. Als Beispiel für dieses Streben
nach Verständlichkeit sei hier nur auf den berüchtigten Abschnitt über das
Zubehör verwiesen (ALR I, 2, §§ 42 ff.).
Es erstaunt nicht, dass die für überwunden geglaubte Frage nach Nutzen und
Nachteil eines kasuistischen Regelungsstils in den Diskussionen um das moderne
Transparenzgebot derzeit eine Renaissance erlebt. So hat Kent D. Lerch
darauf hingewiesen, dass AGB mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie „angemessen“
oder „unverzüglich“ operieren müssen (S. 273). Diese Begriffe lassen sich zwar
als „verständlich“ qualifizieren. Eine Prognose, wie entschieden wird, kann auf
ihrer Basis jedoch nicht erstellt werden. Spiros Simitis spricht treffend
von einem „Rückzug in die Scheinverständlichkeit von Generalklauseln“ und
resümiert: „Schärfer kann die Exklusion des Normadressaten nicht ausfallen“ (S.
398). Ähnliches dürfte für in Feiertagssprache abgefasste Artikelgruppen,
Präambeln oder das Soft law der Erziehungsziele gelten, wofür Peter
Häberele eine Reihe von Beispielen aus dem Verfassungsrecht darbietet (S.
155ff.). Hans-Peter Schwintowski hat anhand des Begriffs der „groben
Fahrlässigkeit“ eindrucksvoll gezeigt, dass sich immer erst „nach Eintritt
eines Schadensfalles sagen“ lässt, unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten
grob fahrlässig ist (S. 382). „Ein Haftungssausschluss für grobe Fahrlässigkeit
[ist] für viele Menschen nichts sagend“ (S. 386). „Möglicherweise“, so Schwintowski,
müssen derartige Rechtsbegriffe, „mit Fallbeispielen unterlegt werden, um
transparenter zu werden“ (S. 386). In eine ähnliche Richtung zielen die Ausführungen
Kent D. Lerchs, der die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen eines
kasuistischen Regelungsstils am Beispiel von Allgemeinen Versicherungsbedingungen
(AVB) erörtert (S. 239ff.). Er meint, es müsste jede Klausel in AVB mit einer
umfassenden Kommentierung versehen werden, um die Rechtsbegriffe dem Verbraucher
transparent zu machen: „Der Vollständigkeit von AVB mag das zuträglich sein,
doch der Umfang von AVB wüchse dadurch so beträchtlich, dass es für den
Verbraucher nicht mehr möglich, geschweige denn rational wäre, sich näher mit
AVB auseinander zu setzen“ (S. 273).
Skepsis ist in der Tat angebracht. Warum sich eine „umfassende
Kommentierung“ oder Anreicherung mit Fallbeispielen eher kontraproduktiv
auswirken würde, hat bereits Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“
ausgeführt. Auch er betont, dass zwischen der Aufstellung von Regeln und ihrer
Anwendung eine scharfe Trennlinie zu ziehen ist. Der Glaube, dass es möglich
sei, Regeln auch für die Anwendung von Regeln zu formulieren, müsse
zwangsläufig zu einem regressus ad infinitum führen: Wollte z. B. der
Verstand allgemein zeigen, wie man unter die von ihm aufgestellten Regeln „subsumieren,
d. i. unterscheiden sollte, ob etwas darunter stehe oder nicht, so könnte
dieses nicht anders als durch eine Regel geschehen. Diese aber erfordert eben
darum, weil sie eine Regel ist, aufs neue eine Unterweisung der Urteilskraft,
und so zeigt sich, dass zwar der Verstand einer Belehrung und Ausrüstung durch
Regeln fähig, Urteilskraft aber ein besonderes Talent sei, welches gar nicht
belehrt, sondern nur geübt sein will“ (Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage
1787, B 172).
Auch von dieser Seite zeigt sich also, dass es letztlich die Differenz von
Fall und Norm ist, welche die Unverständlichkeit des Rechts für den
juristischen Laien produziert. Auch die verständnisvollste Lektüre eines den
Kriterien der modernen Verständlichkeitskeitsforschung entsprechenden
Rechtssatzes kann dem juristischen Laien nicht sagen, wie die Sache letztlich
ausgehen wird. Dies gilt, wie Regina Ogorek (S. 305), Dieter Simon
(S. 411) und Alessandro Somma (S. 432) zutreffend hervorgehoben haben,
im Prinzip auch für den juristischen Experten. Auch er kann nicht sicher
vorhersagen, wie ein Richter die Anwendungssituation meistern - oder in
Savignys Worten: den Übergang einer Regel in das Leben bewerkstelligen wird. Zu
Recht hat Dietrich Busse daher festgestellt: „Es gibt nicht die
eindeutige Bedeutung eines Rechtstextes“ (S. 18). Hier liegt auch einer der
Gründe, warum im 19. Jahrhundert die Protagonisten der modernen Hermeneutik der
in der Aufklärungshermeneutik herrschenden In claris non fit interpretatio-Regel
so entschieden entgegengetreten sind. Nach dieser, gegenwärtig unter
Bezeichnungen wie Sens clair- oder Acte-clair-doctrin vor allem
im angloamerikanischen und französischen Rechtskreis noch weithin anerkannten
Lehre ist, wie bereits angedeutet, die Auslegung eines klar und eindeutig
formulierten Textes unzulässig. Demgegenüber hatte schon Savigny den - bis
heute gültigen - Einwand erhoben, dass auch die Feststellung von Eindeutigkeit
Auslegung sei und die Interpretation aus diesem Grund nicht auf unklar
formulierte Texte beschränkt werden dürfe (dazu näher Stephan Meder, Missverstehen
und Verstehen, 2004, S. 17ff.). Mit Ralph Christensen ließe sich daher
allenfalls sagen, die Verständlichkeit des Rechts folgt weder aus der Sprache
noch aus den Regeln oder dem Verfahren, sondern „aus der gut begründeten
Entscheidung“ (S. 21ff.). Von der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine
Begründung als überzeugend und damit als „verständlich“ einzustufen ist, handelt
im übrigen der Beitrag Stanley Fishs (S. 85ff., 102ff.), auf den noch
zurückzukommen ist.
Die in dem Sammelband erörterten Themen erschöpfen sich freilich nicht in
einer Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen von Verständlichkeitsforschung
und sprachlicher Formulierungskunst. Unter dem Stichwort „Verständnis“ des
Rechts können ganz unterschiedliche Fragestellungen entfaltet werden. Dass es
sich hierbei nicht immer um ein sprachliches Problem handelt, erläutert Hans
Magnus Enzensberger am Beispiel des Steuerrechts (S. 83f.; dazu auch Maximilian
Herberger, S. 192). In diesem Rechtsbereich darf Komplexität „auf keinen
Fall reduziert, sie soll im Gegenteil derart gesteigert werden, dass selbst die
Experten zu keiner eindeutigen Interpretation mehr fähig sind“ (S. 83). Im
Hintergrund steht der Gedanke, dass Gesetzgeber, Richter und andere Verwalter
der Rechtssprache zum Zwecke des Machterhalts bei der Sprachverwirrung kollusiv
zusammenwirken. Verschwörungstheorien machen aus einem klärungsbedürftigen
Geschehen einen durchsichtigen Vorgang. Regina Ogorek hat näher
ausgeführt, warum derartige Deutungsversuche zum Kern der
Verständlichkeitsproblematik nicht vordringen können (S. 301f.). Andererseits
ist kaum zu bestreiten, dass sich die Unverständlichkeit eines Rechtstextes
politisch instrumentalisieren lässt. Ein Beispiel bietet Hubert Rottleuthner,
dessen Beitrag zugleich eindrucksvoll vor Augen führt, dass es auch Fälle gibt,
in denen der Gesetzgeber offenbar selbst nicht verstanden hat, worauf er sich
mit seiner Regelung festlegt (S. 307 ff.).
Weniger zu überzeugen vermögen die Beiträge, soweit sie die spezielle Frage
nach der Verständlichkeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufwerfen. So meint etwa
Raffaele de Giorgi: „Ein grandioses Werk der Konstruktion einer klaren
und präzisen Sprache, das allen hätte zugänglich sein müssen. Das Ergebnis?
Diese Sprache war bloß doktrinär, pedantisch, flach, künstlich,
bemüht. In einem Wort, trivial“ (S. 78f. - Hervorhebungen im
Original). Ähnlich meint Valérie Lasserre-Kiesow, dass sich die
Redaktoren des BGB von der Idee einer simplen Applikation in Form des Justizsyllogismus
haben leiten lassen. Erst mit den richterrechtlichen Fortbildungen in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seien die alten Träume von der Einfachheit
des Rechts ausgeträumt gewesen (S. 215). Dieser Standpunkt harmoniert im
wesentlichen mit der überkommenen Auffassung, das BGB sei Ergebnis eines auf
Vollständigkeit und Lückenlosigkeit bedachten Gesetzespositivismus. Dabei wird
leicht übersehen, dass zwischen dem Gesetzgebungsstil der BGB-Verfasser und den
Naturrechtskodifikationen eine scharfe Grenzlinie gezogen werden muss. Zwar ist
es durchaus reizvoll, mit Lasserre-Kiesow die Frage der Verständlichkeit
als zentralen Ansatzpunkt „für das Vergleichen von Rechten und Gesetzgebungen“
zu nehmen und die Kritik „gegen den Entwurf des BGB als radikale Reaktion im
Hinblick auf die Verständlichkeit des BGB“ zu deuten (S. 218). Die Berechtigung
dieser Kritik muss freilich wiederum am Gesetzesstil und dem mit der
Kodifikation verfolgten Regelungsprogramm gemessen werden. Das BGB ist nicht,
wie oft behauptet, wegen seiner abstrakten Begrifflichkeit so schwer
zugänglich, sondern deshalb, weil es diese Begrifflichkeit oft gar nicht
ausspricht und stillschweigend auf seinen dogmatischen Unterbau verweist. Im
Hintergrund steht eben jene Differenz von Gesetz und Recht, die vorstehend
bereits angesprochen wurde. Dass diese Differenz den weitgesteckten Zielen der
Verständlichkeitsforschung deutliche Grenzen setzt, hat freilich auch Lasserre-Kiesow
nicht verkannt, wie die folgende schöne Formulierung zu erkennen gibt: „In
gewisser Weise bildet die juristische Verständlichkeit des Gesetzes den
eingetauchten Teil des Eisbergs, dessen weiße, sichtbare Spitze die Worte des
Textes sind“ (S. 216).
Vorliegend konnte nicht auf alle in dem Band versammelten Beiträge eingegangen
werden. Nur angezeigt sei daher der Artikel Alexander Someks, der unter
den Gesichtspunkten von Verständlichkeit und Normenkonkretisierung eine
Ablösung der Rechtswissenschaft durch die juristische Expertise diagnostiziert
(S. 414ff.). Gérard Cornu behandelt das im Zuge der Vereinheitlichung
des europäischen Privatrechts unvermeidliche Problem der Übersetzung von
Rechtstexten. Er befürchtet, dass la qualité substantielle du droit
durch Übersetzungen stark beeinträchtigt werde und die bereits vorhandene Sprachverwirrung
so noch weiter zunehmen könnte (S. 67f.). Cornelia Vismann legt auf -
auch in kulturtheoretischer Hinsicht - ansprechende Weise dar, wie bestimmte
Verfahrensregeln am Rande der Verständlichkeit operieren (S. 433ff.). Ingo
H. Warnke erörtert im Rahmen einer empirisch fundierten Untersuchung den
stereotypen Charakter der Schwerverständlichkeitsannahme und kann dabei zeigen,
„dass eine Mehrheit der Befragten das Urteil über die Schwerverständlichkeit
der deutschen Gesetzessprache teilt, jedoch mehr als die Hälfte der Informanten
dies nicht mit Rezeptionserfahrung begründen kann“ (S. 441ff., 452). Dass es
sich bei der Schwerverständlichkeitsannahme um ein Stereotyp handelt, welches
über die Jahrhunderte gewachsen ist, ließe sich am Beispiel des bereits
angesprochenen Simplicitas-Topos veranschaulichen, dessen Wurzeln in die
Zeit von Usus modernus und Naturrecht zurückreichen. Besondere
Hervorhebung verdient schließlich der Beitrag Stanley Fishs, der zeigt,
dass Auslegung, Moral oder Werte die Autonomie des Rechts erschüttern können
(S. 85ff.). Hier liege der Grund, weshalb der Formalismus sich als so anziehend
erweist: „Der Formalismus behauptet, dass es möglich ist, so selbstgenügsam
eindeutige Zeichen zu formulieren, dass sie auslegungsresistent sind“ (S. 87). Fish
gelingt es begreiflich zu machen, warum Lehren wie die Sens clair-doctrine
- vor allem auf die Praxis - auch in der Gegenwart noch Anziehungskraft
ausüben, ohne dass die Erkenntnisse der modernen juristischen Hermeneutik
dadurch in Frage gestellt werden müssten. Auf besonderes Interesse dürfte der
zu den Glanzstücken des Bandes gehörende Beitrag Fishs nicht zuletzt
deshalb stoßen, weil er die schwierige Problematik anhand von konkreten
Beispielen aus der Rechtsprechung erörtert.
Alles in allem ist festzuhalten, dass die Mehrzahl der Autoren eine
Verbesserung der Verständlichkeit von Rechtstexten im Prinzip für möglich hält.
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch auf den Beitrag von Silvia
Hansen-Schirra und Stella Neumann, die anhand eines Vergleichs
zwischen den Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts und den
Entscheidungen zeigen, wie Pressemitteilungen die im Urteilstext enthaltene
Information zu entschlacken und somit für eine breitere Leserschaft zugänglich
zu machen vermögen (S. 167 ff.). Verständlichkeit ist nicht zuletzt aus Gründen
des Konsumentenschutzes ins Zentrum eines rechtspolitischen Programms gerückt,
das sich wohl kaum rückgängig machen lässt. Andererseits mahnen die in dem Band
versammelten Beiträge zur Bescheidenheit. Von den weitgesteckten Zielen der
Forderung nach Verständlichkeit scheint wenig übrig zu bleiben, wenn man dem
Umstand Rechnung trägt, dass das Recht nicht allein in Regeln seinen Sitz hat,
sondern im konkreten Fall immer erst neu hergestellt werden muss. Für die
Zukunft wird es darauf ankommen, noch schärfer und nachhaltiger als bisher zu
fragen, wann fehlende Klarheit wirklich ein Sprachproblem im Sinne der modernen
Verständlichkeitsforschung darstellt und wann sich hinter Unverständlichkeit
spezifische juristische und hermeneutische Sachfragen
verbergen.
Hannover Stephan
Meder