Das antike
Asyl. Kultische Grundlagen, rechtliche Ausgestaltung und politische Funktion,
hg. v. Dreher, Martin (= Akten der Gesellschaft für griechische und
hellenistische Rechtsgeschichte 15). Böhlau, Köln 2003. VIII, 359 S.
Der vorliegende
Tagungsband versammelt vierzehn, vom archaischen Griechenland bis in die frühe
Neuzeit reichende Beiträge der „Ersten Magdeburger Konferenz zur Europäischen Geschichte:
Europas geschichtliche Wege zwischen Mittelmeer und Mitteleuropa I“, die vom 13.
bis 16. März in der Villa Vigoni in Loveno di Menaggio am Comer See stattfand.
Hier kann nur auf
einige, für die deutsche Rechtsgeschichte interessante Beiträge eingegangen
werden; die anderen seien der Vollständigkeit halber genannt: Alberto Maffi,
L’asilo degli schiavi nel diritto di Gortina (S. 15-22); Cinzia Bearzot,
Panellenismo e asylia in età classica: il caso dell’Elide (S. 37-58); Martin
Dreher, Hikesie und Asylie in den Hiketiden des Aischylos (S. 59-84); Susanne
Gödde, Poetisches Recht: Asyl und Ehe in den Hiketiden des Aischylos (S. 85-106);
Ulrich Sinn, Das Poseidonheiligtum auf Kalaureia: ein archäologischer Befund
zum antiken Asylwesen (S. 107-126); Kent J. Rigsby, A Jewish Asylum in
Greco-Roman Egypt (S. 127-142); Kostas Buraselis, Zur Asylie als
außenpolitischem Instrument in der hellenistischen Welt (S. 143-158); Gerad
Freyburger, Le dieu Veiovis et l’asile accordé a Rome aux suppliants (S.
161-175); Richard Gamauf, Ad statuas
confugere in der frühen römischen Kaiserzeit (S. 177-202); Bernhard Palme,
Asyl und Schutzbrief im spätantiken Ägypten (S. 203-236); Arrigo D. Manfredini,
Taluni aspetti del ΛΟΓΟΣ AΣΥΛIAZ nelle
fonti giustinianee (S. 237-262).
Im
Einleitungskapitel „Die Konferenz über das antike Asyl und der Stand der
Forschung“ (S. 1-13) definiert Martin Dreher zunächst das Asylrecht als einen
„religiös oder politisch motivierten Anspruch auf Schutz oder Zuflucht“ (S. 1)
und unterscheidet dabei zwei Grundformen des Asyls (S. 3ff.): Das sakrale Asyl,
das für die Schutzsuche vor Verfolgung an einem heiligen Ort steht – hierzu
gehören etwa die Statuen der römischen Kaiser als Zufluchtsstätten sowie seit
der Spätantike das Kirchenasyl –, und das persönliche Asyl, d. h. die
Verleihung eines Schutzprivilegs an bestimmte Personen (etwa in Form des
spätantiken und frühbyzantinischen Schutzbriefs). Beide Grundformen werden in
unterschiedlichen Ausprägungen in den einzelnen Beiträgen des Tagungsbandes thematisiert.
Im Beitrag Gerhard
Thürs „Gerichtliche Kontrolle des Asylanspruchs“ (S. 23-36) über das Asyl in
der Frühstufe der griechischen Polis fallen die Parallelen zu den
frühmittelalterlichen Asylregelungen auf. Ebenso wie in den Rechten der
germanischen Stämme bot das Asyl als Bestandteil des privaten
Unrechtsausgleichs keinen Schutz vor dem Zugriff des Staates, sondern vor der
Rache des Gegners und eröffnete damit die Chance für Verhandlungen und für eine
Sühne in Geld. Diese Funktion des Asyls, dem Verfolgten einen temporären Schutz
vor privater Rache zu bieten, bestand bis ins 4. Jh. v. Chr. Für die Zeit
danach findet sich diese Funktion nur noch in dem vom staatlichen Strafanspruch
ausgenommenen und von gerichtlicher Kontrolle freien Verhältnis zwischen Herrn
und Sklaven. Auch insoweit bestehen Parallelen zu den Rechten der germanischen
Stämme des 6. bis 8. Jahrhunderts, die ebenfalls häufig Regelungen zum Schutz
eines flüchtigen Unfreien vor Rache bzw. Strafe seines Herrn enthalten.
Auf diesen Gesichtspunkt weist auch Harald Siems in seinem Beitrag „Asyl in der Kirche? Wechsellagen des Kirchenasyls im Mittelalter“ (S. 263-299) kurz hin (S. 274f.). Im Übrigen beschreibt er vor allem die Unterschiede zwischen den Asylregeln im Codex Theodosianus und Codex Justinianus, in den Leges Romanae, den Konzilien und Volksrechten, zeigt aber auch Entwicklungslinien auf. Da sich der Beitrag auch mit dem Kirchenasyl im Hoch- und Spätmittelalter beschäftigt (S. 278ff.), geht er zeitlich deutlich über die – ebenfalls im Jahr 2003 erschienene – Arbeit Daniela Frusciones „Das Asyl bei den germanischen Stämmen im frühen Mittelalter“ hinaus.[1]
In Ergänzung
dazu lässt sich bei Karl Härter „Vom Kirchenasyl zum politischen Asyl:
Asylrecht und Asylpolitik im frühneuzeitlichen Alten Reich“ (S. 301-336) der
Bedeutungsverlust des kirchlichen Asyl in der frühen Neuzeit nachlesen (S. 305ff.).
Die Schwächung des Kirchenasyls führt Härter u. a. auf die Reformation sowie
auf das Erstarken der Landesherren und ihren Anspruch auf ein unbeschränktes
Festnahmerecht zurück. Ähnliches beobachtet Härter für die weltlichen Asyle (S.
314ff.) in Form von kaiserlichen Privilegierungen durch Einbeziehung bestimmter
Personen oder Stätten in die dem Kaiser zustehenden Immunität; entsprechende
Rechte nahm auch der Adel im jeweiligen Herrschaftsbereich für sich in
Anspruch. In einem letzten Abschnitt beschäftigt sich der Beitrag mit dem
externen, zwischenstaatlichen Asyl, insbesondere mit den aus religiösen oder
politischen Gründen Verfolgten (S. 320ff.).
Einen Ausblick
auf das moderne Asylrecht bietet der abschließende, die Einzelbeiträge
zusammenfassende Bericht von Beat Näf „Asyl – humanitäres Erbe des Altertums?
Ein Rückblick auf die Tagung“ (S. 337-348). Näf kommt dabei zu dem keineswegs
überraschenden Ergebnis, dass es – trotz struktureller Vergleichbarkeiten –
„keine direkte Verbindung von antiken Vorstellungen zum modernen Asylbegriff“
gibt. Der Band profitiert davon, dass der Herausgeber und die Autoren nicht der
Versuchung erlagen, eine solche Verbindung zu konstruieren; die Einzelbeiträge
stehen vielmehr für sich und stellen nicht nur für das antike Asyl ein gutes
Fundament für weitere Forschungen dar.
Göttingen Eva
Schumann