Bundschuh. Untergrombach 1502, das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas, hg. v. Blickle, Peter/Adam, Thomas. Steiner, Stuttgart 2004. 297 S., 18 Abb.
Der Bundschuh,
die übliche Fußbekleidung von Bauern und Handwerkern im Gegensatz zu den
sporenbesetzten Stiefeln der Adligen, galt seit der Zeit um 1500 als Symbol für
„Aufruhr und Empörung“, wie die Obrigkeiten sagten, als Signal gewaltsamen
Umsturzes im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Im Zeichen des
Bundschuhs stand eine Abfolge geplanter, aber dann infolge Verrates doch nicht
entflammter Aufstände am Oberrhein: 1493 zu Schlettstadt im Elsaß, 1502 in
Untergrombach (heute ein Stadtteil von Bruchsal), 1513 zu Lehen bei Freiburg im
Breisgau und 1517 im Straßburger Raum – Vorboten des großen Bauernkrieges von
1525, einer der schwersten gesellschaftlichen Erschütterungen in Europa vor der
Französischen Revolution. Von den oberrheinischen Bundschuh-Verschwörungen war
die von Untergrombach die radikalste und folgenreichste. Als Rädelsführer
wirkte je und je der – trotz obrigkeitlichen Steckbriefs nie gefaßte – Bauer
Joß Fritz aus Untergrombach, ein Leibeigener des Speyrer Bischofs (vgl. Thomas
Adam, Joß Fritz – das verborgene Feuer der Revolution. Bundschuhbewegung und
Bauernkrieg am Oberrhein im frühen 16. Jahrhundert, 2002). Die Stoßrichtung von
1502 kam in programmatischen Sprüchen zum Ausdruck. „Was ist nun für ein
Wesen?“, fragte man den Nachbarn, um zu erkennen, ob er zum Geheimbund gehörte.
Die bejahende Antwort hieß: „Wir mögen von den Pfaffen nit gewesen“. Die Bundschuher
verlangten „göttliche Gerechtigkeit“. Auf ihrer Fahne stand geschrieben:
„Nichts dann die Gerechtigkeit Gottes“.
Der vorliegende
Band vereinigt die ausgearbeiteten Referate einer wissenschaftlichen Tagung,
die im April 2002 im Rahmen der Bruchsaler Gedenkfeier stattfand. Im ersten der
zwölf Beiträge erläutert Peter Blickle auf gewohnt meisterliche Weise das
ausgreifende Thema des Buches. Er kommt zu dem Schluß, daß die geistlichen und
weltlichen Fürsten im Verein mit Kaiser Maximilian I. eine „Erfindung gemacht“
hätten: den Hochverrat als gewaltsamen, vorsätzlichen Angriff auf die
Verfassung eines Staates. Diesen Tatbestand habe das kaiserliche Strafmandat
von 1502 mit der Formulierung geschaffen, der Bundschuh führe „zu einem
usdilgen alles frides, aller ordnung, zerstörung gemeins nutz und ... aller
oberkeit, regiment, der fursten, adels, stette und ander“. Kaiser und Fürsten
hätten sich die Auslegungshoheit über das göttliche Recht mit der Wendung
zurückerobert, die Bundschuher seien Zerstörer „aller göttlichen, menschlichen,
geistlichen und weltlichen rechten“. Freilich bleiben die rechtshistorischen
Zusammenhänge im einzelnen unausgeführt. Insbesondere die Rechtstradition der
Carolina-Artikel 124 (Straff der verreterey) und 127 (Straff der jhenen, so
auffrur des volcks machen) gilt es im Bezug zum Strafmandat Maximilians „wider
daz furnemen des newen puntschuchs“ zu sehen. Claudia Ulbrich gibt dazu in
ihrem Beitrag über den Untergrombacher Bundschuh einige Fingerzeige (S. 37).
Von den
Aufsätzen im ersten – oberrheinischen - Kapitel des Bandes sei der
kenntnisreiche Aufsatz Klaus H. Lauterbachs hervorgehoben. Der Verfasser zeigt
in seiner Studie über den „Oberrheinischen Revolutionär“, „welches Maß an
politischem Veränderungswillen mittelalterliche Intellektualität hervorbringen
konnte, sobald sie sich der Verantwortung <göttlicher Gerechtigkeit>
stellte“. Der in auffallender Weise juristisch argumentierende Oberrheiner
nimmt über den lokalgemeindlichen Horizont hinaus das Reich in den Blick, wofür
seine Herkunft und berufliche Position ausschlaggebend gewesen sein dürften.
Gleichwohl beruht seine Kritik an den sozialen und politischen Bedingungen der
Existenz des „gemeinen mans“ auf unmittelbarer Erfahrung und löst die
produktive Unruhe des Intellektuellen aus. Eindrucksvoll arbeitet Lauterbach
die Begrifflichkeit des Widerstands in ihrer langen Tradition heraus mit den
latent herrschaftskritischen theologischen Zügen.
Der zweite Teil
des Buches wendet sich den Bauern in Oberdeutschland zu. Der Aufstand des Armen
Konrad stellte das Herzogtum Württemberg vor eine überaus harte
Belastungsprobe, die im Tübinger Vertrag von 1514 mit seiner „Empörerordnung“
ein vorläufiges Ende fand (Andreas Schmauder referiert dazu seine einschlägige
Monographie von 1998). Reizvoll die Episode aus der spätmittelalterlichen
Schweizer Geschichte, über die Andreas Würgler berichtet: die
historiographische Entpolitisierung eines anarchopolitischen Protests aus den
Innerschweizer Orten 1477. Beim Rumoren in den eidgenössischen Stadtstaaten
handelte es sich nicht um Aufstände, die eine neue Gesellschaftsordnung
durchsetzen wollten, wie Claudius Sieber-Lehmann zeigt, „sondern um
Verteilungskämpfe innerhalb eines zunehmend geschlossenen eidgenössischen
Spielfelds mit eigenen Verhandlungsregeln“.
Die Rede von der
Revolutionierbarkeit Europas macht durchaus Sinn: Revolten, Rebellionen,
Aufstände des Gemeinen Mannes ereigneten sich europaweit. Viele gemeinsame Züge
ergaben sich aus den mittelalterlichen Herrschaftsgefügen einerseits, aus
gesellschaftlichen Prozessen, die Europa seit dem 14. Jahrhundert erfaßten,
andererseits. Die Verhältnisse in Frankreich und England und in der
Eidgenossenschaft treten dem Leser auch mit ihren psychologischen
Bewandtnissen, ihren Visionen und ihren Metaphern im dritten Teil des Bandes
vor Augen.
Über den
Gegenstand des Buches können wir seit den Forschungen von Albert Rosenkranz,
Günther Franz, Peter Blickle und anderen schon viel wissen. Der Wert und der
Reiz des neuen Bandes liegt im Zugewinn an Interpretationen bekannter
historischer Ereignisse, auch in bisher nicht gesuchten Zugängen zu den Quellen
und in originellen Beleuchtungen vermeintlich vertrauter Gegenstände. Etliche
Abbildungen und ein breiter Saum von Belegen erhöhen den Nutzen dieses
Gemeinschaftswerkes deutscher und ausländischer Autoren.
Heidelberg Adolf Laufs