Briefwechsel Karl Josef Anton Mittermaier, Robert von Mohl, hg. v. Mußgnug, Dorothee (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 179, Juristische Briefwechsel des 19. Jahrhunderts). Klostermann, Frankfurt am Main 2005. X, 312 S.
Die im Jahre 2000 begonnene Edition der Korrespondenz Karl Josef Anton Mittermaiers (1787-1867) schreitet voran. Ziel des Frankfurt/Neapolitanischen Gemeinschaftsprojekts ist es, wesentliche Teile des umfassenden Schriftwechsels Mittermaiers – allein die Heidelberger Universitätsbibliothek verwahrt ca. 12.000 Briefe – zugänglich zu machen. Nach den Briefwechseln mit Rudolf v. Gneist (2000) und Hermann Fitting (2000), Briefen deutscher und Schweizer Germanisten (2001), Briefen von Mitgliedern der badischen Gesetzgebungskommissionen (2002) sowie dem Briefwechsel mit europäischen Strafvollzugsexperten (2005) liegt nunmehr als sechster Band der Briefwechsel mit Robert v. Mohl (1799-1875) vor.
Der 1826 einsetzende Briefwechsel, der aus insgesamt 216 Schreiben besteht, bleibt zunächst kollegial-förmlich und gelangt inhaltlich über wechselseitige Rezensionsanfragen kaum hinaus. Zwischen 1839 und 1847 intensiviert sich der Kontakt zunehmend. Auf Betreiben Mittermaiers wird v. Mohl Mitherausgeber der „Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslands“ und Mitarbeiter der „Deutschen Zeitung“. Vor allem aber erhält er durch Mittermaiers tatkräftige Unterstützung den lang ersehnten Ruf nach Heidelberg.
Leitmotiv des Briefwechsels ist das rastlose Bemühen um die Beschaffung ausländischer Literatur („Leider ist die Kiste mit 200 Büchern aus Neapel noch immer nicht da“, Brief Mittermaiers vom 18. 3. 1844) sowie das Herstellen und Vermitteln persönlicher Kontakte. Auch Privates findet während der Jahre freundschaftlichen Umgangs seinen Platz. Dass selbst schwerste Schicksalsschläge das Tagesgeschäft kaum in den Hintergrund treten lassen, offenbart Mittermaiers Brief nach dem Tod seines ältesten Sohnes:
„ (…) Niemand
kann die Größe des Verlustes fühlen. Mein Leben ist farblos. Meine körperliche
u geistige Kraft sind gebrochen. Gott bewahre Sie vor ähnlichen Leiden.
Ich wollte Ihnen schon früher schreiben, daß eine recht schöne Rezens. Ihres Werkes über Präventivgeseze in der englischen Zeitschrift law magazine vorkommt. Von Lieber, political ethic, ist der 2te Band erschienen – er ist noch interessanter als der Erste – darf ich Ihnen das Buch schicken, um für die Zeitschrift eine Anzeige darum zu machen? Ich bitte um Antwort. (…)“. (Brief vom 20. 11. 1840).
Nach 1848 kommt der Briefwechsel fast vollständig zum Erliegen, um wenige Jahre vor Mittermaiers Tod erneut, wenn auch nicht in früherer Intensität, aufzuleben. Anreden und Grußformel dokumentieren das abgekühlte Verhältnis. Mittermaier wechselt von „Mein verehrter Freund“ und „mit inniger Liebe“ zu „hochverehrter Herr Kollege“ bzw. „mit bekannter Hochachtung“. Über die Gründe des Zerwürfnisses erfährt man wenig. Vielleicht bildet ein Disput in der Frankfurter Nationalversammlung über das Spielbankenverbot den Ausgangspunkt. „Armseliges Gerede von Mittermaier“ hatte dem Verbotsbefürworter v. Mohl „die Galle gereizt“ (R. v. Mohl, Lebenserinnerungen, Bd. 2, 1902, S. 97). Gewiss aber beförderte die räumliche Nähe der nunmehrigen Fakultätskollegen die persönliche Distanz. Schon zuvor offenbarte der Briefwechsel die unterschiedlichen Temperamente der Korrespondenten. Während sich der stets um Ausgleich bemühte Mittermaier zu keinerlei abfälligen Urteilen hinreißen lässt, liefert v. Mohl zahlreiche Kostproben seiner Meinungsfreude: Die juristische Fakultät der Universität Tübingen ist ihm ein „Eselsstall“ (Brief vom 22. 5. 1844), seine dortigen Kollegen sind wahlweise „stupide Menschen“ (über Reyscher, Brief vom 23. 2. 1842), in ihrer „Gesinnung (…) höchst verächtlich“ (über Wächter, Brief vom 31. 12. 1843) oder gar von „fabelhaftester Unfähigkeit, welche man sich denken kann“ (über Hepp, Brief vom 30. 12. 1842). Jahrzehnte später, in v. Mohls posthum veröffentlichten Memoiren, wurde auch Mittermaier zur Zielscheibe des Spotts:
„(…) Aus Schwankungen, Berichtigungen und Zurücknahmen kam er nicht heraus. Sein Verdienst als Lehrer bestand unter diesen Umständen nicht in der Erziehung zu streng logischem Denken und zu juristischem Sinne, sondern in einer Bekanntmachung mit Büchern, Meinungen, Tendenzen, von denen die jungen Leute niemals etwas gehört hatten und ohne ihn niemals etwas gehört haben würden, freilich oft genug ohne daß eine Unkenntnis ihnen Schaden gebracht hätte“ (R. v. Mohl, Lebenserinnerungen, Bd. 1, 1902, S. 230).
Nicht allein unterschiedliche Charaktere, auch unüberbrückbare Gegensätze in Sachfragen standen einer dauerhaften Freundschaft entgegen. Anders als Mittermaier hielt v. Mohl beispielsweise an der Todesstrafe fest:
„Ich gehöre zB zu den Barbaren, welche für strenge Strafen sind, und ich finde in der größeren Milde unserer Zeit nicht immer einen Vortheil oder Vorschritt. Nicht etwa der Abschreckung wegen, (obgleich auch hier ein Rest Sauerteig in mir liegen mag) sondern aus – vielleicht falschem – Gerechtigkeitsgefühl, daß den Kerls mehr gehört. „Hängt die Bestie“ sagte der seel. Wallenstein; und so möchte ich auch hier und da sagen dürfen“ (Brief vom 26.7.1841).
Der sechste Band des groß angelegten Editionsvorhabens bestätigt erneut die Bewertung der Mittermaier-Korrespondenz als „Quelle ersten Ranges für die europäische Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts“ (B. Dölemeyer, Ius Commune, Bd. 24, 1997, S. 285); zugleich erinnert der Briefwechsel daran, dass neben „networking“ wohl auch Kollegenhäme zu den überzeitlichen Phänomenen des Universitätsbetriebs gehört. Anerkennung verdient die Herausgeberin schließlich für ihre kenntnisreiche Einleitung sowie minutiös recherchierte Erläuterungen.
Jena Arnd Koch