Briefe deutscher Strafrechtler an Karl Josef Anton Mittermaier 1832-1866, hg. v. Jelowik, Lieselotte (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 188, Juristische Briefwechsel des 19. Jahrhunderts). Klostermann, Frankfurt am Main 2005. X, 420 S.

 

Die vorliegende Publikation erfolgt im Gesamtrahmen des von Barbara Dölemeyer und Aldo Mazzacane geleiteten MPI-Editionsprojekts betreffend die Korrespondenz des Juristen und Politikers Karl Josef Anton Mittermaier (1787–1867), welche insgesamt aus etwa 12.000 Briefen besteht, die im Nachlass Mittermaiers in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt werden. Im vorliegenden Band werden 214 an Mittermaier gerichtete Briefe der deutschen Strafrechtler Julius Friedrich Heinrich Abegg, Albert Friedrich Berner, August Wilhelm Heffter, Karl Ferdinand Theodor Hepp, Christian Reinhold Köstlin und Karl Joseph Georg Wächter publiziert. Die Korrespondenzen werden im Rahmen einer Einleitung zu Beginn des Bandes unter Berücksichtigung besonders aussagekräftiger und im Schriftwechsel häufig wiederkehrender Aspekte charakterisiert und wissenschaftlich kontextualisiert. Sorgfältige biographische Einführungen anfangs der jeweiligen Korrespondenzsammlungen vermitteln wichtige Grundlagen. Sodann gelingt es der Bearbeiterin in einem ausführlichen wissenschaftlichen Apparat mit zahlreichen Erklärungen und Verweisungen, eine dem Verständnis hilfreiche Vernetzung der in den Briefen erwähnten Personen und Ereignisse herzustellen. Da der Band mit einem Personenregister ausgestattet ist, wird er auch bei der Erschließung weiterer Juristenbiographien und –netzwerke gute Dienste leisten.

 

Man kann über den Erkenntniswert von Briefwechseleditionen verblichener Juristen für die Rechtsgeschichte geteilter Meinung sein. Zweifellos eignen sich Briefwechsel grundsätzlich durchaus, um persönliche Einflüsse, Informationen und Meinungen, welche auf die jeweiligen Wissenschafter wirkten, zu präparieren. Manche Anliegen und Stoßrichtungen ihrer Werke gewinnen an Klarheit, wenn die Wege des Wissenstransfers offenbart werden. Mitunter verliert scheinbare Innovation an Originalität, bisweilen offenbaren sich werkimmanent entwickelte Folgerungen zu einem wesentlichen Teil als biographisches Resultat geistigen Austauschs und zwischenmenschlicher Befindlichkeit. Juristenbriefwechsel und biographische Hintergründe dürften für das Verständnis rechtswissenschaftlicher Theorien und Darstellungen im Allgemeinen weniger essentiell sein als das Wissen über den Autor der Analyse künstlerischer Literatur zu dienen vermag. Dennoch verhilft die Berücksichtigung von Korrespondenzen zu mehr Nähe und verschafft einen unmittelbareren, persönlicheren Zugang zu den Juristen vergangener Epoche, die man sonst meist nur ihrer Kurzbiographie nach kennt. Über die menschliche Begegnung hinaus ermöglicht die Kenntnis der zeitgenössischen juristischen Netzwerke und Kommunikation ein tieferes Verständnis genetischer Zusammenhänge in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft.

 

Der vorliegende Briefwechsel wirft tatsächlich den einen oder anderen Lichtstrahl auf das Leben und Wirken der juristischen Akteure. Da die Sammlung fast ausschliesslich Briefe an Mittermaier enthält, die Antwortschreiben indessen meistens fehlen, erscheint die Perspektive etwas einseitig. Tatsächlich lässt sich aus den Briefen höchstens ansatzweise entnehmen, inwiefern Mittermaier von seinen Korrespondenzpartnern Einflüsse empfangen hat, was freilich nicht besonders erstaunt, zumal es jüngere Kollegen – teilweise Schüler – sind, welche dem Meister ihre brieflichen Aufwartungen machen. Immerhin lässt sich ein zentrales Anliegen von Mittermaiers zahlreichen Schreiben anhand der Antworten zweifellos rekonstruieren: Er ist ständig auf der Suche nach Beiträgen für sein „Archiv des Criminalrechts“. Viele Briefe beginnen mit Entschuldigungen und Rechtfertigungen dafür, dass der in Aussicht gestellte Aufsatz noch nicht eingereicht werden konnte. Auch der Austausch von Aufsätzen, Lehrbüchern und Gesetzesmaterialien wird öfters dokumentiert, woraus sich immerhin gewisse netzwerkbedingte Einflüsse ableiten lassen. Bisweilen scheint es auch vorgekommen zu sein, dass eingereichte Beiträge auf dem Postweg – häufig erfüllten auch reisende Familien- oder Universitätsangehörige Kurierdienste – oder bei Mittermaier selbst verschwunden sind. Mittermaier war ein sehr fordernder, eigenwilliger und eigendynamischer Herausgeber, der trotz im Allgemeinen freundlicher Wesensart auch vor Brüskierungen seiner Freunde nicht zurückschreckte. Dies bekam Julius Abegg 1857 zu spüren, als er als Mitherausgeber des „Archivs“ erst durch Dritte von dessen Einstellung durch Mittermaier erfuhr, sodass ein von diesem verlangter und eingereichter Beitrag gar nicht mehr erscheinen konnte.

 

Im Übrigen sagt der vorliegende Briefwechsel jedoch mehr aus über die Absender als über den Empfänger. Besondere Verbundenheit und Loyalität – mitunter geradezu Unterwürfigkeit – charakterisieren den Mittermaier-Schüler Abegg, dessen 69 meist lange Briefe fast die Hälfte der Edition ausfüllen. Er verwendet gegenüber seinem ehemaligen Lehrer öfters und in würdigem Ernst, sogar noch 1865, die Anrede „Rectore Magnifico“ (S. 190). Seine Briefe sind während über dreißig Jahren bis 1865 von einer konstanten pessimistisch-resignierten Grundhaltung geprägt. Abegg fühlte sich auf seinem Breslauer Lehrstuhl an der „russisch-polnischen Grenze“ weit weg von den Werkstätten der Strafrechtswissenschaft und den die Zukunft gestaltenden politischen Ereignissen. Er sah sich durch leere Versprechungen, welche eine wunschgemäße Berufung nach Heidelberg verhindert haben sollen, betrogen und verraten. Er klagt in seinen Briefen immer wieder über zahlreiche, ihn von der Wissenschaft ablenkende Tätigkeiten, welche Universität und Stadt von ihm forderten (Dekanat, Rektorat, diverse Kommissionen). Fleißig und produktiv heischt er nach Mittermaiers Lob und ist untröstlich über jede Kritik und jeden Vorwurf. Schon das längere Ausbleiben eines Schreibens des Lehrers macht ihn nervös. Die seltenen Reisen nach Heidelberg erscheinen in diesem Gelehrtenleben als absolute Höhepunkte. Umso schlimmer, wenn der verehrte Meister dann gerade selbst verreist ist. Abegg fühlte sich Mittermaier Zeit seines Lebens fachlich unterlegen, obschon ihn dieser – so jedenfalls die vielleicht diskutable Einschätzung der Herausgeberin – als „gleichrangigen Partner anerkannte“ (S. 3). Einzig die Reaktion auf die eigenmächtige Einstellung des „Archivs“ durch Mittermaier, bringt in den zahlreichen Briefen eine gewisse, allerdings höflich verkleidete Empörung Abeggs zum Ausdruck (S. 169f.). In einem Brief vom 13. September 1849 schreibt Abegg immerhin, er hätte, sofern er in die Frankfurter Nationalversammlung berufen worden wäre, woran ihn eine Intrige gehindert habe, oft anders als Mittermaier gestimmt (S. 133).

 

Soweit von criminalia die Rede ist, geht es hauptsächlich um Bemerkungen betreffend gegenseitig zugestellter Bücher und Aufsätze. Im Vordergrund steht immer wieder Mittermaiers Aufruf an Abegg, Beiträge für das „Archiv“ zu liefern, wobei Mittermaier weniger an historischen als vielmehr an aktuellen, praxisorientierten Aufsätzen interessiert war. Daneben findet ein allerdings wenig substantieller Austausch statt über strafrechtliche Kodifikationsarbeiten, insbesondere im Großherzogtum Baden, an deren Fortgang Mittermaier wesentlichen Anteil hatte. Die Korrespondenz enthält jedoch kaum dogmatische Auseinandersetzungen. Stattdessen liefern die Briefe Informationen über manche historisch anderweitig interessanten Ereignisse. Abegg berichtet beispielsweise regelmäßig über die häufigen Todesfälle in seinem Breslauer Umfeld, welche insbesondere durch Epidemien (Cholera, Diphtherie) verursacht wurden. Er lebte in ständiger schwerer Angst, seine Familie könnte durch Krankheit oder Tod Schaden nehmen.

 

Weniger aussagekräftig ist der kurze und weitgehend förmliche Briefwechsel mit Albert Friedrich Berner, der Mittermaiers Eitelkeit auf subtile Weise karikiert, wenn er schreibt: „Den Kampf für Abschaffung der Todesstrafe mögen Sie bis zum sicheren, wenn auch vielleicht noch zögernden Siege fortführen. Schlingen Sie diese Sache, für die [Sie] so lange das Schwert geführt haben, wie einen Lorbeer so fest um Ihren Namen, dass man auf alle Zeiten der abgeschafften Todesstrafe und Mittermaiers zugleich denken müsse.“ (S. 206).

 

Auch die Briefwechsel mit Heffter, Hepp und Köstlin zeugen von einem Umgang auf gleicher, kollegialer Ebene. Man tauscht sich aus über Strafgesetzesentwürfe, Lehrbücher und andere Gelehrte. Stets liegt Mittermaiers Erwartung neuer Beiträge für das „Archiv“ mahnend in der Luft. Deutlich zum Ausdruck kommt in allen Korrespondenzen die starke zeitliche Belastung durch Lehre und Kommissionsarbeit, welche an den Kräften der Strafrechtler zehrte und dem Forschungsdrang Grenzen setzte; ein Phänomen, das den heutigen Lehrstuhlinhabern trotz elektronischer Datenverarbeitung und Internet ebenso vertraut ist. Entsprechend dem meist sehr höflichen Umgangston kommen relativ selten eindeutige Meinungsäußerungen oder -unterschiede zum Ausdruck: In einem Schreiben vom 6. Dezember 1845 schimpft Hepp aus Tübingen: „Die Hegelei wird immer kecker“ und – indem er Köstlin, der zu dieser Zeit auch bereit mit Mittermaier korrespondierte, ins Visier nimmt – man habe nun damit begonnen, das Kriminalrecht „in den Hegel'schen Teig einzukneten“ und „aus dem ganzen, schönen lebendigen Stoffe einen ununterbrochenen Begriffsprocess“ zu bilden (S. 255).

 

Ausführlicher präsentiert sich der Schriftwechsel mit Wächter (88 meist kurze Briefe). Mitte der 1830er Jahre entschuldigt sich dieser fast in jedem Brief ausführlich dafür, dass er Mittermaier keinen Beitrag für das „Archiv“ liefern könne. Die Angehörigen der Leipziger Juristenfakultät hatten damals neben Forschung und Lehre als Spruchdikasterium jährlich bis zu 4000 Rechtsfälle zu beurteilen. Mitte Mai 1835 teilte er Mittermaier mit, er wolle ferienhalber verreisen, um sich „vor dem Anfange der Vorlesungen (29 Mai) von den Arbeits- und Geselligkeits-Strapazen des Wintersemester noch Etwas zu erhohlen.“ (S. 315). Nach seinem Eintritt in den württembergischen Landtag 1836 wurde er zunehmend durch die politische Arbeit in Anspruch genommen. Obgleich Mittermaier und Wächter in ihrem politischen Engagement Ähnlichkeiten aufwiesen, bildet der rechtspolitische Austausch etwa mit Bezug auf die Arbeiten an der württembergischen Strafprozessordnung kein Charakteristikum dieses Briefwechsels. Wächter äußerte gegenüber Mittermaier recht unverblümte Kritik über die von diesem 1836 neu besorgte 12. Auflage des Feuerbachschen Lehrbuchs: „So sehr es mich jedoch von der einen Seite freute, das Buch des verdienten Mannes mit reicher zeitgemäßer Ausstattung wieder aufgelegt zu sehen: so hätte ich mich doch mehr gefreut, wenn Sie uns aus Einem Gusse ein Lehrbuch gegeben hätten, wie Sie es in der Vorrede beschreiben.“ (S. 323f.). 1851 bricht die Korrespondenz mit Wächter ohne erkennbaren Grund gänzlich ab. Vermutlich führte Wächters Austritt aus der Redaktion sowohl des „Archivs für Criminalrecht“ als auch des „Archivs für civilistische Praxis“ 1849 zur Einstellung des Kontakts.

Der vorliegende Briefwechsel wird der kriminalrechtlichen Wissenschaftsgeschichte größere Dienste erweisen als der historisch-dogmatisch ausgerichteten Strafrechtsgeschichte. Er erweist sich insbesondere unter dem Interessenfokus strafjuristischer Kommunikation im 19. Jahrhundert als (ge)wichtiger Forschungsgegenstand, der die Editionsreihe der Mittermaierschen Korrespondenzen, welche Barbara Dölemeyer und Aldo Mazzacane auf so gelungene Weise seit Jahren realisieren, wertvoll ergänzt. Es gebührt Lieselotte Jelowik großes Lob und aufrichtiger Dank für ihre sorgfältige und wissenschaftlich hochstehende, aufwändige Editionsarbeit.

 

Sankt Gallen                                                                                                  Lukas Gschwend