Bethkenhagen, Kathrin, Die Entwicklung des Luftrechts
bis zum Luftverkehrsgesetz von 1922 (= Rechtshistorische Reihe 286). Lang,
Frankfurt am Main 2004. 454 S.
Diese von Werner Schubert betreute
Dissertation schließt eine Forschungslücke in der Geschichte der Gesetzgebung
des 20. Jahrhunderts. Der Name des Doktorvaters bürgt für eine sorgfältige
Edition der Gesetzgebungsvorlagen und Parlamentsberatungen sowie detailgetreue
Informationen zu den Personen und Institutionen im Anhang der Arbeit.
Die Arbeit selbst gliedert sich in einen ersten kurzen Teil zur technischen Entwicklung der Luftfahrt bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, einen ebenso kurzen Teil zu den allgemeinen Fragestellungen des Luftrechts, einen dritten Teil zur Entwicklung luftrechtlicher Regelungen bis zum ersten Weltkrieg, einen vierten für die Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg und eine „Zusammenfassung“. Man erfährt etwas über die Gefahren der Luftfahrt zu Beginn des Jahrhunderts, die ersten luftrechtlichen Regelungen 1910 in Preußen, den 1914 in den Reichstag eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Luftfahrzeugen und die nach dem 1. Weltkrieg wieder aufgenommenen Gesetzgebungsarbeiten, die dann in das Luftverkehrsgesetz von 1922 münden. In der Sache geht es vor allem um das Recht am Luftraum, Lande-, Führungs- und Betriebserlaubnisse sowie Haftungsfragen. Es wird deutlich, dass man einerseits die rasante technische Entwicklung in der Luftfahrt, deren militärische Bedeutung spätestens im 1. Weltkrieg deutlich wurde, nicht zu sehr behindern, andererseits aber auch einen angemessenen Schutz der Bürger vor den nicht unerheblichen Gefahren sicherstellen wollte. Die einschlägige Rechtsprechung des Reichsgerichts, das 1919/20 bereits vor einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung Opfern von Fluglärm und Abstürzen Entschädigungen zusprach, wird mit herangezogen.
Leider bleibt die Arbeit insgesamt ein
Nachschlagewerk und wird kein Buch zum Lesen. Das akribisch aufbereitete
Material wird detailliert, aber emotionslos und ermüdend nacherzählt. Auch
Wiederholungen bleiben nicht aus. An oder in jedem Satz findet sich mindestens
eine Fußnote mit Belegstelle, was spätestens nach Überschreitung der 1000er
Grenze auch optisch unschön wird. Die in den Anhang verbannten Biographien und
Informationen über Institutionen hätten, eingesetzt an geeigneter Stelle im
Text, diesem Leben einhauchen können. So bleibt selbst die illustre Figur des
Radrennfahrers, Luftfahrtpioniers und späteren Leiters des Reichsamtes für
Luft- und Kraftfahrwesen August Euler, der das Luftverkehrsgesetz maßgeblich
auf den Weg gebracht hat, blass.
Ein roter Faden kann schon wegen des streng
chronologischen Aufbaus, der die einzelnen Sachfragen auseinanderreißt, kaum
gefunden werden. Verwundert ist man, in den „allgemeinen Fragestellungen des
Luftrechts“ nur Erwägungen zum Recht am Luftraum zu finden, dem später bei den
Gesetzgebungsarbeiten neben den hochumkämpften Haftungsfragen nur noch eine
Statistenrolle bleibt. Mit einer Beschränkung auf dieses Haftungsrecht hätte
man eine spannende Arbeit schreiben können. Das Interesse des Staates als
zunächst vorrangigem Luftfahrzeughalter und der anfänglich defizitären
Flugunternehmen an weitgehender Haftungsfreiheit und engen Haftungshöchstsummen
ist deutlich, wird aber vom Parlament so nicht hingenommen. Das für und wider
einer bloßen Übernahme der Regelung zur Kraftfahrzeughaftpflicht fördert ebenso
interessante Argumentationsansätze zu Tage wie die Erwägungen zur
Versicherbarkeit der Schäden. Die differenzierten wirtschaftlichen Erwägungen
in der Phase 1912-1914 spiegeln den von der sog. Jenaer Schule und der
Zeitschrift Recht und Wirtschaft zu dieser Zeit in die deutsche
Rechtwissenschaft getragenen ökonomisch-analytischen Ansatz beispielhaft wider.
Auch die Problematik der Genehmigungserteilung
hätte mehr als eine nur zwischen den Zeilen erkennbare Analyse und Einordnung
in den historischen Kontext verdient. Die Anfänge waren hier noch von großer
staatlicher Zurückhaltung und verbandsautonomen Regelungen geprägt, da die
staatlichen Stellen schon zur Vermeidung einer eigenen Haftung und aus Mangel
an fachlicher Kompetenz Genehmigungsverfahren möglichst vermeiden wollten.
Später nahm der Staat immer stärker das Heft in die Hand, was sich tendenziell
auch noch im Fortschreiten der Entwürfe nach dem 1. Weltkrieg bis zur
Verabschiedung des Gesetzes zeigt. Neben sachspezifischen Gründen liegt hier
auch eine Verbindung zur zunehmenden Verdrängung liberaler Ansätze in der
Weimarer Zeit nahe.
Die Autorin hat alle Fäden in der Hand, verknüpft
sie aber zu wenig und bindet sie vor allem nicht in das gesellschafts- und
rechtspolitische Bild der Zeit ein. Rechtsdogmatische Bezüge kommen ohnehin nur
am Rande vor oder wirken wie die Verbindung der Gefährdungshaftung zur
„archaischen Erfolgshaftung“ etwas gesucht. Die „Zusammenfassung“ als
Schlussteil ist dann auch eine solche und leider kein Resümee. Erst auf den
letzten 1 ½ Seiten bricht die Autorin mit ihrem Erzählstil und wagt eine
positive Bewertung der Haftungsregelungen, die leider dann ein wenig in der
Luft hängt.
Der Würdigung der fleißigen Pionierarbeit der
Autorin soll diese Kritik keinen Abbruch tun. Sie soll vielmehr anreizen, auf
der Grundlage der nunmehr verfügbaren Informationen und Materialien an dieser
spannenden Thematik weiter zu arbeiten.
Frankfurt am Main André
Depping