Bechstein, Eberhard, Die Tierberger Fehde zwischen den Grafen von Hohenlohe und den Herren von Stetten (1475-1495). Ein Streit zwischen Rittern, Grafen, Fürsten und dem Kaiser am Vorabend der Reichsreform. Böhlau, Köln 2004. XVI, 262 S., 36 Abb., 2 Kart.

 

In seiner verdienstvollen Fallstudie zur Fehde im späten 15. Jahrhundert beschäftigt sich Bechstein mit den archivalisch gut dokumentierten Auseinandersetzungen um die Burg Tierberg sowie um umliegende Ländereien und Rechte. Innerhalb der neueren Literatur zum Fehdewesen gehört sein Werk zu denjenigen Beiträgen, die nicht das Fehderecht oder die Fehdepraxis insgesamt analysieren, sondern sich speziell mit einem ausgewählten Einzelfall beschäftigen. Bechstein hat diese Dokumentation in der Zeit nach Abschluss seines Berufslebens erarbeitet. Er wurde 1924 geboren und war von 1953 bis 1995 als Wirtschaftsjurist bzw. Rechtsanwalt tätig. Seit 1989 ist er Miteigentümer der Burg Tierberg und in der Eigenschaft als Schlossherr sozusagen persönlicher Nachfolger einiger der Fehdebeteiligten. Dies ist für die Dokumentationsarbeit und Interpretation durchaus förderlich, denn er kann immer wieder detaillierte persönliche Ortskenntnisse in die Beschreibung der Vorgänge einbringen und vor diesem Hintergrund gezielt Fragestellungen zum Fehdeverlauf entwickeln, vgl. hierzu nur S. 21f.

 

Willoweit, der an der wissenschaftlichen Betreuung der Arbeit beteiligt war (vgl. S. XVI), verweist in seinem Geleitwort (S. XI) zu recht auf die akribische Quellenarbeit. Alle verfügbaren archivalischen Quellen (vgl. Auflistung S. 249) wurden herangezogen und mit großer Detailtreue bis in kleinste Einzelheiten ausgewertet. Hinzu kommt die mit Erläuterungen und Übersetzungen versehene Edition von insgesamt 15 zeitgenössischen Dokumenten aus den Jahren 1402-1495 (S. 183-248) sowie die sehr ansprechende photographische Wiedergabe einer ansehnlichen Reihe von Urkunden und Archivalien (Abbildungen 20-36).

 

Der Inhalt folgt im wesentlichen einer chronologischen Gliederung und berichtet vom Verlauf der Vorgänge 1387-1508 ohne gesonderte Anfangs- und Schlussteile mit generellen Erwägungen zur Fehdeforschung (ansatzweise finden sich solche Gedanken im Vorwort, hier S. XIIIf., das Nachwort, S. 181f., referiert hingegen nur kurz die Fehdeergebnisse und berichtet vom weiteren Schicksal der Burg). Solche generellen Betrachtungen sind wohl bewusst nicht zum Ziel einer Studie wie der vorliegenden gemacht worden, die ja in erster Linie den konkreten Fall einer - recht langen und umfangreichen - Fehde dokumentieren will und damit auch ausgelastet ist. Der Bericht des Fehdeverlaufs selbst ist allerdings keinesfalls als eine rein deskriptive Angelegenheit zu verstehen: immer wieder finden sich hier eingehende rechtshistorische Einordnungen, Erläuterungen und Interpretationen der berichteten Vorgänge, oft als kurze und präzise Subsumtion, bisweilen auch in Form längerer Abschnitte (z. B. S. 104-110). Der Schwerpunkt der Interpretation liegt dabei eindeutig in der rechtshistorischen Betrachtung, ergänzt durch einige territorialgeschichtliche Aspekte, die sozialhistorische Auswertung ist demgegenüber sekundär. Im einzelnen ist die Arbeit in 54 meist quellenbezogene Teilabschnitte, ein Vorwort, ein kurzes Nachwort und den bereits angesprochenen Anhang mit Quelleneditionen gegliedert. Die 54 Abschnitte im Hauptteil sind zu neun Kapiteln zusammengefasst.

 

Im Vorwort wird auf Begleitumstände der Tierberger Fehde verwiesen. Diese sei (S. XIII) von rechtshistorischem Interesse, weil unter dem Einfluss der Rezeption römischen Rechts bei den Beteiligten unterschiedliche Rechtsüberzeugungen zutage getreten seien: römisches Recht sei bei den hohenlohischen Räten als professionellen Juristen praktiziert worden, germanisch-fränkische Rechtsvorstellungen seien bei den Rittern von Stetten erkennbar gewesen (vgl. auch S. 6-9). Ferner sei das Ende der Tierberger Fehde beherrscht gewesen durch den historischen Kampf der Kurfürsten gegen Kaiser Friedrich III. um die Reichsreform (S. XIV). Dies werde deutlich, als die kurfürstlichen Gerichtsräte einen kaiserlichen Befehl zur vorzeitigen Prozessbeendigung geschickt umgangen hätten (vgl. auch S. 152-155).

 

Im fortlaufenden Bericht der Ereignisse behandeln die ersten zwei Kapitel (S. 1-16; 17-58) die Vorgeschichte der Fehde sowie ihre ersten Jahre bis 1483. Nach einem ersten misslungenen Verkaufsversuch 1387 wird die Burg Tierberg mit Zubehör sowie zugeordneten Rechten und Leuten 1402 von Hohenlohe zum Preis von 1.900 Gulden an Stetten verkauft. Vereinbart wird ein Rückkaufsrecht zum gleichen Preis, und 1474 will Hohenlohe davon Gebrauch machen. Allerdings versuchen dabei die durch rechtskundige Räte beratenen Hohenloher die Herren von Stetten zu übervorteilen und fühlen sich anfangs durch die nachgiebige Haltung Stettens bestärkt: sie setzen eine vertragswidrig kurze Räumungsfrist, sie wollen anfangs vertragswidrig in verschlechterter Münze bezahlen und später das Geld nicht in bar übergeben, sondern hinterlegen, sie weigern sich, über die Gegenforderung Stettens nach einer Entschädigung für auf die Burg verwendete Baukosten zu verhandeln. Als Stetten die Burg nicht sofort übergeben will, räumen und besetzen die Hohenloher die Burg im April 1475 eigenmächtig und gewaltsam und vertreiben die Stettener. Dies ist nach Bechstein (S. 17) ein kriegerischer Akt, mit welchem die Auseinandersetzung beginnt, die als „Tierberger Fehde“ bezeichnet wird. Er wertet dies (S. 19) als eine zu diesem Zeitpunkt verbotene „Heimsuchung“ und als Verletzung der Burgimmunität. Ab 1475 führen die Stettener den Kampf von ihrer nicht weit entfernt gelegenen Stammburg Stetten aus fort. Anfangs sind nur Teile der beiden Familien in die Fehdehandlungen verwickelt, später werden weitere Beteiligte in die Auseinandersetzungen einbezogen werden. Doch zunächst - in den Jahren bis zum Tierberger Vertrag von 1483 - kommt es nur zu sporadischen Auseinandersetzungen und Verhandlungen, wobei eine gewisse Tendenz zur Verschärfung erkennbar ist. Die Hohenloher suchen nach zusätzlichen juristischen Streitpunkten, wie Herausgabe von Nutzungsrechten und bäuerlichen Hintersassen, wollen 1478 den Stettenern - auch den nicht Fehdebeteiligten - sämtliche Jagdrechte rechtswidrig entziehen (S. 33-35) und bezichtigen Simon und Kilian von Stetten 1481 eines Bruches der Lehenstreue, wollen dabei das Lehensverhältnis beenden (S. 42f.). Simon von Stetten versucht zweimal vergeblich eine gewaltsame Rückeroberung der Burg, die Knechte Kilians von Stetten überfallen und berauben 1483 einen Reisewagen auf öffentlicher Strasse, die Stettener versuchen, Kurfürsten in den Streit einzuschalten. Schließlich kommt es zu einer vorläufigen Einigung im Tierberger Vertrag (31. 3. 1483; eingehend analysiert auf S. 53-58).

 

Doch dieser Vertrag beendet die Feindseligkeiten nicht dauerhaft. Im zweiten Teil der Fehde (1483-1488; S. 59-99) verhängt Hohenlohe Sanktionen für den Überfall von 1483, es kommt 1483/84 zu einem Kampf der Beteiligten um die Macht im Ort Künzelsau, und das im Tierberger Vetrag eingerichtete Schiedsgericht wird wiederholt bemüht (1484-1486, S. 65-69). Ab 1487 kommt es zu einer Zuspitzung der Ereignisse, zu sich stetig verschärfenden gewaltsamen Übergriffen. Die Fehde treibt nun auf ihren Höhepunkt zu, wobei die Zeit massiver gewaltsamer Auseinandersetzungen auf 1487 bis Anfang 1489 datiert. Ab Februar 1487 kommt es zu einer Reihe fehdeähnlicher Überfälle Simon von Stettens und seiner Helfer auf hohenlohische Ortschaften und Bauern (S. 69-75). Von der Einhaltung der formalen Fehderegeln, insbesondere von vorherigen Fehdebriefen ist allerdings nichts bekannt. Die Bevölkerung auf Hohenloher Seite wird ausgeplündert, schon früh ist von Tötungen, Entführungen und Zerstörungen zu berichten. Am 3. 7. 1487 versucht Kilian von Stetten vergeblich mit einigen Begleitern, Tierberg im Handstreich zurückzuerobern (S. 75f.). Im August wird er - vermutlich nur aufgrund eines prozessualen Versäumnisses - geächtet (S. 77). Dennoch kann er am 14. 10. in Ellwangen als Kläger einen Prozess gegen die Hohenloher als Beklagte führen. Die bayerischen Herzöge amtieren als Richter, aber fällen  keine abschließende Entscheidung (S. 78-80). Nachdem die Ereignisse bis Ende 1488 von sich zuspitzenden juristischen und handgreiflichen Auseinandersetzungen geprägt sind, wie vermeintlicher Aufkündigung des Lehens, Abgabe eines - von Hohenlohe zunächst nicht akzeptierten - Fehdebriefs (S. 93) etc., kommt es Ende Dezember 1488 zur schwerwiegendsten Aktion der Fehde (vgl. S. 100-122). Hohenlohe überfällt die Burg Stetten. Der Fehdebrief Hohenlohes freilich wird erst einige Tage später nachgereicht. Der Angriff gelingt nur teilweise. Der äußere Teil der Burg wird besetzt und einige der Herren von Stetten gefangengenommen, der stark befestigte innere Teil widersteht dem Ansturm. Bechstein betrachtet den Handstreich mit gut nachvollziehbarer Argumentation als zumindest formell fehderechtswidrig (S. 104-110) und als Straftat. Innerhalb weniger Tage werden die Hohenloher Belagerer nun selber zu Belagerten: drei Kurfürsten, Graf Eberhard im Barte von Württemberg und einige weitere Entsender rücken mit etwa 3000 Bewaffneten vor die Burg, teils als Verbündete Stettens, teils als Verbündete Hohenlohes. Spätestens an dieser Stelle wäre von Interesse gewesen, wo genau hier die Grenze zwischen Fehde und Krieg zu ziehen ist, falls es eine solche Grenze denn überhaupt gab. Die versammelten Truppen nehmen nicht den Kampf gegeneinander auf, sondern zwingen gemeinsam Hohenlohe und Stetten umgehend zum Waffenstillstand (8. 1. 1489, S. 123-125). Zudem formieren sie ein mit ihrem Räten (S. 128) besetztes Sondergericht, das über den Streit zwischen Hohenlohe und Stetten entscheiden und diesen endgültig und umfassend bereinigen soll.Der dortige Prozess (S. 127-167) beginnt am 30. 3. 1489 und muss nach Einmischung des Kaisers am 31. 8. 1489 von den Richtern überstürzt beendet werden. Die schriftliche Ausfertigung des Urteils freilich ist erst auf den 21. 9. 1489 datiert.

 

Hohenlohe versucht am 31. August, durch Vorlage eines kaiserlichen Befehls zum sofortigen Prozessabbruch den Prozess zu stoppen. Doch die Richter unterlaufen dieses Verbot geschickt (S. 152-155). Sie erklären, es trete erst dann in Kraft, wenn ihre Herren, die Fürsten und Kurfürsten selber, es erhielten. Sodann nutzen sie die verbleibende Frist, um zum Missvergnügen Hohenlohes möglichst schnell ein Urteil zu fällen. Im Urteil wird über 35 der 36 streitigen Punkte einhellig entschieden, allein in der Frage der Jagdrechte wird mit knapper Stimmenmehrheit geurteilt. Das Urteil hat den Charakter eines im Interesse des Friedens von übergeordneten Verbündeten ohne und teilweise gegen den Willen der Streithähne verordneten Kompromisses. Obwohl nun Stetten und Hohenlohe sowie der Kaiser auf unterschiedliche Weise gegen das Urteil vorgehen wollen (vgl. S. 168-174), sind die bewaffneten Auseinandersetzungen jetzt beendet. Formal wird der Streit mit einer Berufungsentscheidung des Mainzer Erzbischofs 1495 abgeschlossen (S. 176f.), und die nachrückende junge Generation der Familien schließt Frieden (S. 177-179) und akzeptiert eine markgräfliche Entscheidung über die Jagdrechte (S. 179f.).

 

Am Ende haben die Herren von Stetten zwar die Burg Tierberg verloren, aber sie behalten die Burg Stetten und die Jagdrechte. Auch bleiben ihre Missbräuche und Überschreitungen des Fehderechts ungestraft. Es erscheint frappierend, dass auf beiden Seiten massive Verletzungen zumindest des formalen Fehderechts stattgefunden haben, die nach damaliger Rechtslage eigentlich als kriminell einzustufen sind, aber dann, um des Friedens, der politischen Opportunität und vielleicht auch der Adelsehre wegen, ungeahndet bleiben. Dass die getöteten, misshandelten und beraubten Bauern keine Rolle als Rechtssubjekte spielten, ist nach damaligem Recht im übrigen naheliegend, wenngleich es aus sozialhistorischer und landfriedensgeschichtlicher Sicht Anlass für eine kritische Zwischenbetrachtung hätte sein können.

 

Ergänzt wird die Arbeit Bechsteins durch den bereits angesprochenen sehr informativen Quellenanhang (S. 183-246) sowie eine hervorragende und sicher sehr aufwendige Zusammenstellung von insgesamt 36 Abbildungen (Bilderteil zwischen S. 120 und 121: enthält zwei Stammbäume, fünf zeitgenössische Bilder der Beteiligten, elf Bilder der Fehdeschauplätze, eine Landkarte und 17 Blatt aus dem handschriftlichen Archivmaterial). Die Bilder und abgedruckten Quellen werden immer wieder in den Gang der Hauptuntersuchung eingebunden - vgl. z. B. die Fußnoten 11, 75, 393 - und stellen so eine äußerst sinnvolle Ergänzung dar. Leider fehlt ein Sach- und Personenverzeichnis. Die verwendete Literatur (verzeichnet auf S. 250-260) umfasst vor allem Untersuchungen zur Regionalgeschichte, einschließlich einiger vorheriger Arbeiten zur Tierberger Fehde, und daneben einige Werke zu Grundfragen des Fehderechts, zur Burgenkunde und zu weiteren Materien. Hier wäre es noch wünschenswert gewesen, wenigstens einige andere der reichhaltig vorhandenen Fallstudien zu Fehden in anderen deutschen Gebieten - wie Dortmund, Frankfurt am Main, Brandenburg, Nürnberg oder Göttingen - einzubeziehen, gerade weil diese oft mit ähnlichen Mitteln und unter Verwendung einschlägiger Archivalien einen ähnlichen Erkenntnisgegenstand wie Bechstein verfolgen. Zur Frage des Raubrittertums hätte im übrigen noch Görner (1987) herangezogen werden können.

 

Insgesamt handelt es sich bei Bechsteins Werk um eine sehr gewissenhafte, hervorragend aus den Quellen erarbeitete, logisch und sprachlich klar strukturierte und sehr gut lesbare Untersuchung, die nachhaltig empfohlen werden kann. Sie ist nicht nur eine wesentliche Bereicherung für die Regionalgeschichte, sondern zugleich ein wertvolles Quellenwerk zur Geschichte des Fehdewesens, das in zukünftigen Untersuchungen zum Fehderecht - und teilweise auch zur Burgenkunde - einen Bezugspunkt bilden kann und auch sollte.

 

Hannover                                                                                                         Arne Duncker