Arndt, Johannes, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg (= Münsterische Historische Forschungen 13). Böhlau, Köln – Weimar – Wien 1998. VIII, 364 S.

 

Mit dieser bei Heinz Duchhardt in Münster angefertigten und von ihm betreuten Habilitationsschrift wird ein Thema behandelt, das in der deutschen wie in der niederländischen Geschichtsschreibung immer wieder erörtert worden ist, wenn auch unter verschiedenen, nicht selten politischen und ideologischen Gesichtspunkten: das Thema der Ablösung der Niederlande vom Heiligen Römischen Reich. Anders jedoch als die bisherigen Darstellungen versucht Johannes Arndt in seiner Arbeit nicht nur die Frage nach der Ablösung zu beantworten, sondern untersucht die Gesamtheit der Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich und den nördlichen Provinzen der Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert, in die der Vorgang der Ablösung eingebettet war.

 

Was die Ablösung der Niederlande betrifft, so stand in der bisherigen Forschungsliteratur stets die Frage nach dem Zeitpunkt im Vordergrund. Einig war man sich, daß ein fixer Zeitpunkt nicht angegeben werden kann, ferner daß es einen formellen Austritt aus dem Verband des Heiligen Römischen Reich nie gegeben hat. Einigkeit herrschte auch darüber, daß diese Ablösung in Etappen stattfand, es sich also um einen historischen Prozeß handelt, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckte und erst mit dem spanisch-niederländischen Friedensvertrag vom 30. Januar 1648 zu seinem Ende kam. Uneinig war man dagegen darüber, welcher Zeitpunkt innerhalb dieses Prozesses als entscheidend für die Ablösung angesehen werden muß. Im Westfälischen Frieden etwa wurde die Ablösung im Gegensatz zum Ausscheiden der schweizerischen Eidgenossenschaft mit keinem Wort erwähnt, wohl aber sind die Vereinigten Generalstaaten der Niederlande im Art. XVII des Osnabrücker Friedensvertrags neben vielen anderen als Beteiligte auf Seiten des Kaisers genannt. Die neuere Forschung hat mehrfach den Versuch gemacht, als entscheidenden Zeitpunkt die Zeit zwischen 1590 und 1605 anzunehmen, auf deutscher Seite namentlich Franz Petri und auf niederländischer Seite Robert Feenstra. Im Jahre 1590, so diese Ansicht, hätten die Provinzen der nördlichen Niederlande zum letzten Mal die Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich ausdrücklich anerkannt, im Jahre 1605 diese schon nicht mehr erwähnt und 1623 die Anrede als „Unsere Getreue“ bereits offen zurückgewiesen. Diese Ansicht zu überprüfen und womöglich zu korrigieren ist eines der Ziele, die Arndt mit seiner Untersuchung der Gesamtbeziehungen zwischen den nördlichen Provinzen der Niederlande und dem Heiligen Römischen Reich verfolgt.

 

Arndt beginnt mit der Schilderung der Beziehungen zwischen den burgundisch-niederländischen Erblanden auf der einen und dem Heiligen Römischen Reich auf der anderen Seite, zunächst bis zum Kölner Pazifikationstag von 1579 und danach ab der Konstituierung der nördlichen Provinzen als unabhängige Teile der Niederlande bis zum Jahre 1648. Er ist der Meinung, daß bereits 1609 die nördlichen Provinzen bei den Verhandlungen über den Waffenstillstand als vertragswürdig anerkannt worden seien, indem man bei diesen trotz einer kaiserlichen Warnung alle Bezugnahmen auf das Reich unterlassen habe. Die nichtkatholischen Mächte einschließlich der Hohen Pforte hätten daraufhin diplomatische Beziehungen zu den Generalstaaten aufgenommen, wie dies den damaligen internationalen Gepflogenheiten entsprochen hätte. Im Westfälischen Frieden schließlich sei durch den dauerhaften Herrschaftsverzicht Spaniens der Schlußpunkt gesetzt und die volle internationale Anerkennung der Generalstaaten als Völkerrechtssubjekt vollendet worden.

 

Ob diese Deutung zutrifft, scheint zweifelhaft. Zunächst wird zu bezweifeln sein, ob für das 17. Jahrhundert bereits von einer Völkerrechtsubjektivität im Sinne des modernen Völkerrechts gesprochen werden kann. Eher wird man von einer Anerkennung als selbständiger ständischer Herrschaft sprechen können. Zum zweiten bedeutet diese Anerkennung als selbständige ständische Herrschaft noch keine Separation vom Heiligen Römischen Reich, sondern lediglich die Bildung eines neuen ständischen Gebildes innerhalb des Reiches. Für die volle Anerkennung als einer Herrschaft außerhalb des Heiligen Römischen Reiches hätte es zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall der Zustimmung von Kaiser und Reichsständen bedurft, die nicht erteilt wurde und übrigens auch nicht verlangt worden war. Wenn sich dennoch die Generalstaaten im Verlauf der folgenden Zeit faktisch immer mehr vom Reich entfernten und schließlich tatsächlich zu einem eigenen Staat wurden, so kann dies nur mit einer Derogation der Reichsrechte erklärt werden. Das scheint im übrigen auch die Ansicht der Reichspublizisten im 18. Jahrhundert gewesen zu sein, die für das 18. Jahrhundert von einem „zerrissenen Band“ zwischen den Generalstaaten und dem Heiligen Römischen Reich sprechen, ohne allerdings eine genaue rechtliche Würdigung vorzunehmen und vor allem einen Zeitpunkt oder einen Zeitraum anzugeben, ab dem das „Zerreißen“ des Bandes anzunehmen ist.

 

Im zweiten Teil seiner Arbeit untersucht Arndt die Auswirkungen des niederländischen Aufstandes auf den Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis und dessen Funktionieren. Er tritt hierbei überzeugend der verbreiteten Meinung entgegen, daß der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis ein Bild der mangelnden Entschlußkraft, Entschlußunfähigkeit und allgemeiner Schwäche abgegeben habe. Tatsächlich sei der Kreis durchaus funktionstüchtig gewesen, jedoch wegen der Kompliziertheit der politischen, wirtschaftlichen, militärischen und vor allem der religiösen Situation immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten gestoßen. Es dürfe nicht vergessen werden, daß der Kreis der größten Militärmacht Europas gegenübergestanden habe, der wirksam entgegenzutreten die notwendigen Ressourcen gefehlt hätten. Zudem habe es dem Kreis an einem substantiellen Rückhalt durch den Kaiser gefehlt, der allerdings seinerseits wegen seiner verwandtschaftlichen Bindungen an das spanische Königshaus und wegen seiner Glaubensbindungen in einer Zwangslage gewesen sei, die ihn zu einer vorsichtigen Haltung veranlaßt hätte. Immerhin habe der Kreis erreicht, daß größere territoriale Verluste vom Reich abgewendet worden seien. Angesichts der bestehenden Antagonismen hätte sich der Kreis, meint Arndt, stets pragmatisch verhalten und Lösungen ermöglicht, die nach den gegebenen Umständen durchaus akzeptabel gewesen seien. Dem kann nur zugestimmt werden. Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis hat sich in der Tat als eine durchaus funktionsfähige Institution der Reichsverfassung erwiesen, deren einzelne Organe nach den reichsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Reichsexekutionsordnung, tätig geworden sind, auch wenn der militärische Erfolg begrenzt war und vieles nur auf dem Wege über Verhandlungen erreicht werden konnte.

 

Im dritten Teil behandelt Arndt das Beziehungsgeflecht zwischen dem protestantischen, vor allem calvinistischen Deutschland auf der einen und den niederländischen Aufständischen auf der anderen Seite. Anschaulich beschreibt er die vielfältigen konfessionellen Verbindungen, aber auch die Verwicklungen, die sich aus den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der protestantischen Glaubensanhänger ergaben. Die Unterstützung der Aufständischen durch die protestantischen Reichsfürsten hielt sich – auch und nicht zuletzt wegen der Rivalität zum lutherischen Bekenntnis - durchaus in Grenzen. Außerdem waren sie als Reichsfürsten selbst Landesherren, für die es problematisch erschien, einen Aufstand gegen einen anderen Landesherren zu unterstützen, auch wenn dieser katholisch war und die protestantischen Glaubensanhänger unterdrückte. Umgekehrt zeigte man auch auf niederländischer Seite Zurückhaltung gegenüber den protestantischen Reichsfürsten und deren Unterstützung. Hier wollte man bei allen Handlungen Augenmaß behalten und war in erster Linie daran interessiert, die eigenen Grenzen zu sichern. Arndt weist in seiner Darstellung zutreffend darauf hin, daß trotz aller Spannungen innerhalb des niederländischen Calvinismus nach außen Vorsicht und Wahrnehmung der eigenen territorialen Interessen überwogen. Ausführlich geht er auch auf die Situation der Städte im Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis ein, die durch vielfältige konfessionelle Auseinandersetzungen gekennzeichnet war, in deren Verlauf es weder bei der Verteidigung des katholischen Glaubens noch bei der Einführung des calvinistischen Bekenntnisses an Rigidität, um nicht zu sagen: an rabiater Verfolgung, im letzteren Falle übrigens auch im Verhältnis zu den Angehörigen des lutherischen Bekenntnisses, fehlte. In den angewandten Methoden der Machterhaltung und Machterlangung standen die calivinistischen den gegenreformatorisch orientierten katholischen Städten in nichts nach. Macht war schon immer ein naher Verwandter des Glaubens.

 

Den letzten Teil seiner Arbeit widmet Arndt einem Gegenstand, der in der bisherigen Forschung eher stiefmütterlich behandelt worden ist, für das Verständnis des Vorganges der Ablösung jedoch von besonderem Interesse ist, nämlich die Publizistik und hier vor allem die Flugschriftenpropaganda. Beide waren als solche Kinder des Buchdrucks und der Reformation und wurden in der Auseinandersetzung mit der spanischen Krone sowohl für politische wie für religiöse Ziele eingesetzt. Wie sich aus Arndts Schilderung entnehmen läßt, diente die Flugschriftenpropaganda politisch zum einen der persönlichen und politischen Diffamierung des Gegners, zum anderen aber auch der Vermittlung der rechtlichen Positionen, mit denen die jeweiligen politischen und militärischen Aktionen begründet wurden. Religiös waren sie dazu bestimmt, die Glaubenslehren dem Volk nahe zu bringen, wie dies bereits in der Reformation mit Erfolg praktiziert worden war. Zentren der Produktion waren die Städte des Reichskreises und hier neben anderen vor allem Emden und Köln. In Köln wurden trotz des herrschenden katholischen Bekenntnisses auch evangelische Schriften gedruckt und über ein gut funktionierendes Netz von Geschäftsbeziehungen vertrieben, nicht selten übrigens illegal.

 

Aus der Lektüre dieser Flugschriften läßt sich im übrigen ein Bild gewinnen nicht nur von den politischen und rechtlichen Vorstellungen der Streitparteien, sondern auch von den Details der militärischen Ereignisse und vor allem von den Übergriffen und Grausamkeiten des Kriegsvolks, die nach der uns Heutigen durchaus bekannten Manier als Wesensmerkmale des jeweiligen Gegners emporstilisiert wurden. Nüchtern betrachtet zeigt sich, daß sich beide Kriegsparteien in der Begehung von Verbrechen und Greueltaten nichts vorzuwerfen hatten. Herzog Alba ließ die niederländischen Grafen Egmont und Horn nach einem spektakulären Schauprozeß öffentlich hinrichten, Moritz von Oranien hatte keine Bedenken, das Gleiche mit seinem Kritiker, dem Ratspensionär Johan Oldenbarnevelt, zu tun. Schließlich handelte es sich ja um einen Glaubenskrieg, in dem bekanntlich jedes Mittel recht ist, um den Gegner in die Knie zu zwingen. Wie schrieb doch Schiller in seiner Geschichte des Abfalls der Niederlande unter Hinweis auf Tacitus’ Schilderung des Bataveraufstandes: „Die Römer und Batavier kriegen menschlich, denn sie kriegen nicht für die Religion“.

 

Größter Vorzug der Arbeit Arndts ist die Darstellung der Gesamtheit des komplizierten politischen, religiösen und nicht zuletzt militärischen Geschehens, in das der historische Prozeß der Ablösung der Niederlande vom Heiligen Römischen Reich eingebettet ist. Wohltuend ist die nüchterne Darstellungsweise, mit der Arndt dieses Geschehen schildert und analysiert, an der es in der bisherigen Forschungsliteratur nicht selten fehlte, die aber als Voraussetzung jeder seriösen geschichtswissenschaftliche Darstellung angesehen werden muß. Alles andere gehört in das Reich des historischen Feuilletons oder der politischen Propaganda. Als Fazit ist festzuhalten: Arndt hat ein Werk geschaffen, das nach Materialfülle wie nach Darstellungsweise alle Aussicht hat, ein Standardwerk über die Geschichte der Beziehungen zwischen den Niederlanden und dem Heiligen Römischen Reich im 16. und 17. Jahrhundert und des in diesem Zeitraum begonnenen Ablösungsprozesses der Niederlande vom Reich zu werden.

 

Salzburg                                                                                                                                 Arno Buschmann