Winzen, Kristina, Handwerk – Städte – Reich. Die
städtische Kurie des immerwährenden Reichstags und die Anfänge der
Reichshandwerksordnung (= Vierteljahresschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte Beiheft 160). Steiner, Stuttgart 2002. 206 S.
Die
hier anzuzeigende Studie analysiert die Rolle, welche das städtische Kollegium
des Reichstages während der Beratungen zum
Handwerksrecht in den Jahren 1665 bis 1672 spielte. Die Verhandlungen zwischen 1726 und 1731, die dem
Inkrafttreten der Reichshandwerkordnung unmittelbar vorausgingen, werden dagegen nur in einem kurzen
Ausblick dargestellt. Der Gegenstand der
Untersuchung ist demnach, anders als deren Titel vermuten lässt, durchaus eng begrenzt. Der Bemerkung wert sein dürfte der
Umstand, dass die Verfasserin hier einen genuin juristischen Forschungsgegenstand bearbeitet hat, den
gleichwohl die Philosophische Fakultät
der Universität Bonn als Dissertation angenommen hat. So verdient die Studie die besondere Aufmerksamkeit der Rechtshistoriker -
stellt die Reichshandwerksordnung des Jahres
1731 doch eines der bedeutendsten Gesetzgebungswerke des Immerwährenden Reichstages dar. Das
Forschungsvorhaben lässt sich folgendermaßen umreißen: Zum einen sucht die Verfasserin das Meinungsspektrum in der
dritten Kurie des Reichstages zu Inhalten und Zielen der
Handwerksgesetzgebung transparent zu machen, wobei auch die innere Struktur des Kollegiums sichtbar werden soll; zum
anderen untersucht sie am Beispiel der Entstehung des Gesetzentwurfs die
Einflussmöglichkeiten der Reichsstädte und
deren Verhältnis zu den Kollegien der Kurfürsten und Fürsten. Die günstige
Quellenlage erlaubt es, die Interessen der beteiligten Stände herauszuarbeiten
und die Durchsetzungsmöglichkeiten,
welche die Städte gegenüber den höheren Kollegien besaßen, aufzuzeigen. Gerade
letzterer Umstand erweist sich als besonders aufschlussreich, da die
diesbezügliche rechtliche Lage bis zum Ende des Alten Reiches letztlich
ungeklärt blieb.
Einleitend erläutert die Verfasserin den langwährenden
Kampf der Reichsstädte um die Reichsstandschaft,
das Abstimmungsverhalten in der Städtekurie und die so wichtigen Vertretungsregelungen
der Städte untereinander. Die meisten Städte unterhielten nämlich keine eigenen
Gesandtschaften, sondern ließen sich durch die Gesandten anderer Städte
vertreten, was dazu führte, dass die selbst
verhandelnden Städte gelegentlich die Stimmen der von ihnen Mitvertretenen für ihre eigenen Zwecke nutzten.
1665 begannen die
Beratungen über den Erlass eines Reichsgesetzes zur Abstellung sog. „Handwerksmissbräuche", doch wurden diese
immer wieder, für Monate oder Jahre, unterbrochen. Erst 1669 gelang es den Städten, die höheren Kollegien mit dem
Thema zu befassen; 1671 wurde der Gegenstand erneut diskutiert und 1672 war der
Gesetzentwurf endlich formuliert. Doch wurde er vom Kaiser nicht ratifiziert.
Merkwürdigerweise nahm sich die Verfasserin der naheliegenden Frage,
weshalb das gesetzgeberische Verfahren derartig schwerfällig und zeitraubend war, nicht an.
Anlass für die Initiative der Städte zum Erlass eines
Reichsgesetzes zum Handwerksrecht waren die
immer wiederkehrenden Ausstände der Handwerksgesellen. Die Gesellen erklärten sich zu Hütern des alten Handwerksrechts und
vermochten die Meister mittels Streiks immer wieder zu zwingen, ihre
Forderungen zu akzeptieren. Folgerichtig waren die Gerichtsbarkeit und die
Ausstände der Gesellen, aber auch Fragen der Ehrlichkeit einzelner
Berufsgruppen sowie die Rechtsprechung der
Hauptladen bevorzugte Themen der Verhandlungen des städtischen Kollegiums.
Keineswegs aber waren die Städte sich bei der Formulierung
ihrer Ziele immer einig. Während einige von
ihnen die jurisdiktionelle Tätigkeit der sog. Hauptladen beseitigt wissen wollten, suchten Nürnberg und die elsässischen Städte
eben diese zu erhalten. Sehr zu recht erkennt die Verfasserin in dem Streit um die Existenz der Hauptladen, dass
die unterschiedliche Verfassung der
Reichsstädte und die je eigene Stellung der Handwerker in diesen die Diskussion
um die Formulierung eines reichseinheitlichen Handwerksrechts nachhaltig
beeinflussten. In jedem Fall schwächte die
Auseinandersetzung um die Hauptladen aber die Stellung der Städtekurie
gegenüber den höheren Kollegien.
Der Durchbruch zu weiteren Verhandlungen wurde erst im
Jahre 1671 durch einen Entwurf des Ulmer Magistrats, den das städtische
Kollegium zur Grundlage seiner Beratungen machte, erreicht. Dieser Entwurf zielte, den Intentionen der Städte
entsprechend, darauf ab, die Reichsstände
zu verpflichten, sich in den eigenen Satzungen und Ordnungen an die Reichsabschiede
zu halten.
Auf diesen städtischen
„Aufsatz" hin wurden Monita der Kollegien der Fürsten und Kurfürsten
verfasst. Nach mehreren wechselseitigen Repliken stellte das kurmainzische
Reichsdirektorium ein Conclusum trium Collegiorum auf der Basis dieser Re- und
Correlationen vor. Im Ergebnis
orientierte man sich weitgehend an den Vorschlägen der Städte, doch verlangten
die höheren Stände die Möglichkeit zur Kontrolle der Handwerksversammlungen und
eine Reduzierung der Strafgewalt der Handwerker auf solche Bereiche,
die den Meistern in den Innungsbriefen
ausdrücklich zugestanden worden waren. Inzident wurde hier erstmals bestimmt, dass die Territorien für die Erteilung
der Handwerksordnungen zuständig sein sollten. Keinerlei Entgegenkommen zeigten die höheren Stände immer dann, wenn sie
eine Einschränkung ihrer Landeshoheit befürchteten. Dieser Umstand fügt
sich zu der zusammenfassenden Feststellung
der Verfasserin, dass die Reichsstädte der Rechtseinheitlichkeit im Reich und
der allgemeinen Beachtung des Reichsgesetzes sehr viel größeres Gewicht
beimaßen als die Territorialherren, die kein sonderliches Interesse an der
Beseitigung der Handwerksmissbräuche besaßen
und deshalb auch darauf verzichteten, durch eigene Entwürfe bestimmenden
Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren zu nehmen. Im Konfliktfall allerdings
ignorierten die höheren Kurien den Willen der Städte vollständig.
Erst nachdem 1726 der Ausstand der Gesellen das Augsburger
Schuhmachergewerbe lahm gelegt hatte,
entwickelten die höheren Reichsstände und der Kaiser selbst wirkliches
Interesse an den ungelösten Fragen des Handwerksrechts. Der Entwurf des Jahres
1672 wurde nunmehr zur Grundlage neuerlicher Beratungen gemacht. Den zwischen
Februar und Juni 1731 entstandenen Entwurf
ratifizierte Kaiser Karl Vl. - mit gewissen Modifizierungen - am 4. 9. 1731. Die Reichsstädte konnten ihre Ziele
darin weitgehend durchsetzen und fanden sich deshalb damit ab, dass das Gesetz die von ihnen in diesem
Regelungsbereich erstrebte Rechtseinheit im Reich nicht herstellte.
Winzen hat jeden Schritt des komplexen
Gesetzgebungsverfahrens während des 17. Jahrhunderts mit der größten
Gründlichkeit nachgezeichnet. Damit kommt ihr das Verdienst zu, nicht nur einen - über das Erkenntnisinteresse der
Handwerksrechtsgeschichtsforschung hinausgreifenden - tiefen Einblick in die Verfahrensweise des Reichsgesetzgebers ermöglicht,
sondern auch die Machtverhältnisse der Kurien des Reichstages
untereinander erhellt zu haben.
Bernau-Schönow Gerhard
Deter