Wiedemann, Andreas Wolfgang, Preußische Justizreformen und die Entwicklung zum Anwaltsnotariat in Altpreußen (1700-1849) (= Schriften der deutschen notarrechtlichen Vereinigung 17). Otto Schmidt, Köln 2003. XXXIX, 369 S.
Das ältere preußische Notarrecht ist von der knappen
Darstellung bei Adolf Weißler, Zur Geschichte des Preußischen Notariats
(Freiburg im Breisgau 1914) abgesehen, bisher nicht Gegenstand einer eigenen
Darstellung gewesen. Das Werk Wiedemanns füllt
diese Lücke der Justizgeschichte Preußens in vollem Umfang aus, da der
Verfasser neben der wenig übersichtlichen Gesetzgebungsgeschichte des 18.
Jahrhunderts auch die reichhaltige archivalische Überlieferung in seine
Untersuchungen mit einbezogen hat. Da das Notariat grundsätzlich mit der
Advokatur verbunden war, geht der Verfasser durchgehend auch auf die
Entwicklung der Rechtsanwaltschaft (Justizkommissariat) ein, die für die
friderizianische Zeit präziser als in den bisherigen Darstellungen beschrieben
wird. Wie die meisten anderen deutschen Staaten versuchte auch Preußen seit
Ende des 17. Jahrhunderts den Einfluss der vom Kaiser bestellten
Hofpfalzgrafen, in deren Händen die Ernennung der Notare lag, zurück zu
drängen. Seit 1708 musste jeder kaiserliche Notar, der in Preußen tätig werden
wollte, sich examinieren und an einem preußischen Justizkollegium
immatrikulieren lassen. Allerdings war weiterhin die Erlangung des kaiserlichen
Notariatsdiploms regelmäßig Voraussetzung dafür, dass man überhaupt geprüft und
schließlich nach erfolgter Immatrikulation seine Praxis in Preußen aufnehmen
durfte. Die Anordnung von 1708 blieb aus Furcht vor einer kaiserlichen Reaktion
allerdings unveröffentlicht. Erst 1748 legte Preußen im Codex Fridericianus die
1708 begründete Praxis offen. 1771 erging dann eine Notariatsinstruktion, nach
der für die Immatrikulation nicht mehr vorausgesetzt wurde, dass der Bewerber
ein kaiserliches Notariatsdiplom erhalten hatte. Von da an gab es in Preußen
zunehmend nur königlich preußische Notare, so dass man insgesamt von einer
„endgültigen Abkehr vom kaiserlich beherrschten Notar“ (S. 216) sprechen kann.
Der Grund für die Zurückdrängung bzw. Verdrängung des kaiserlichen Notariats
ist nach dem Verfasser weniger in tatsächlichen, aus den Archivalien kaum
ersichtlichen Missständen als in dem Wunsch des Königs zu sehen, die
landesherrliche Justizhoheit auszubauen. Die Notariatsinstruktion von 1771 ging
von einem Dienstleistungszwang aus und verlangte, dass zur Beurkundung zwei Zeugen
hinzugezogen wurden. § 15 der Instruktion führte eine Aufklärungs- und
Beratungspflicht ein, die dann – im Gegensatz zum französischen Recht – die
rheinpreußische Notariatsordnung von 1822 übernahm. Da bei vielen
Rechtsgeschäften die gerichtliche Beurkundung oder Bestätigung notwendig war,
war der Tätigkeitsbereich der preußischen Notare nicht sehr umfangreich. Die
Zahl der Notare war im übrigen mit der Entlassung der Advokaten bereits seit
Beginn des 18. Jahrhunderts zurückgegangen.
Mit der Abschaffung
der Advokatur durch die Carmersche Justizreform übertrug man 1780/81 Advokaten,
für die keine Assistenzratstelle vorhanden war, das Notariat als Entschädigung
für den Verlust ihres Amtes. Als im Verlauf der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts
die Justizkommissare auch zur Prozesspraxis zugelassen wurden, kam es in
Preußen erstmals zu einer notwendigen Verbindung von rechtsberatendem Beruf und
beurkundendem Beruf mit gemeinsamem Dienstrecht. Allerdings erhielt nicht jeder
Justizrat gleichzeitig das Notariat. Das Allgemeine Landrecht und die
Allgemeine Gerichtsordnung schränkten den Geschäftskreis der Notare weiter ein:
Testamente und Erbverträge waren grundsätzlich durch die Gerichte aufzunehmen,
ebenso Grundstücksveräußerungen, die zusätzlich beim Richter der Sache nach
verlautbart werden mussten (geändert erst durch ein Gesetz von 1821). Der
Gesetzrevisions-Entwurf zu einem Gesetz über die Justiz-Einrichtung von 1833
sah die Trennung des Notariats von der Advokatur vor. Während der Vorarbeiten
zu dem Gesetz über das Verfahren bei Aufnahme von Notariats-Instrumenten vom
11. 7. 1845 sprach sich Savigny vergeblich für die teilweise Trennung beider
Ämter aus; auch der spätere Justizminister Kisker scheiterte 1848 mit einem
ähnlichen Plan. Das Gesetz über die Form einiger Rechtsgeschäfte vom 11. 7.
1845 erweiterte die Kompetenzen des Notars nur unerheblich. Mit der Umbenennung
des Justizkommissars in „Anwalt“ war nach Wiedemann der „letzte Schritt zur
nominellen Schaffung des ,Anwaltsnotariats’ getan“ worden (S. 219). Allerdings
bedurfte es noch weiterer 85 Jahre, bis 1934 die preußischen Notare auch die
Möglichkeit zur Aufnahme der Auflassung erhielten, und weiterer 35 Jahre, bis
die Anwaltsnotare der ehemaligen preußischen Gebiete der alten Bundesrepublik
die ausschließliche Beurkundungszuständigkeit erhielten.
Die Arbeit wird
abgeschlossen mit einem Quellenanhang, der Teile des Inhalts der vom Verfasser
herangezogenen Akten des Geheimen Staatsarchivs Berlin-Dahlem zum Notariat
wörtlich wiedergibt. Auf diese Weise werden auch die Praxis des Notariats
zumindest bis zum Erlass der Allgemeinen Gerichtsordnung und die
Gesetzgebungsvorhaben bis 1845 erschlossen. Das Werk behandelt für das
preußische Notariat die Zeit bis 1795 nahezu vollständig, für die Zeit bis 1845
überwiegend die Gesetzgebungsgeschichte. Wenn für den Verfasser die
„dogmengeschichtliche Analyse“ mit Recht nur in zweiter Linie in Betracht kam,
so ist doch zu bedauern, dass er auf die Entwicklung der Zuständigkeiten des
Notars nicht etwas ausführlicher eingegangen ist. Auch die
französischrechtlichen Einflüsse auf die Notariatsordnung von 1845 dürften
etwas zu kurz gekommen sein, wie insgesamt auch die bahnbrechende Bedeutung des
Ventôse-Gesetzes von 1803 für die preußische und deutsche Rechtsentwicklung
nicht deutlich genug herausgestellt wird. Mit der detailreichen, von
ausführlichen Quellenzitaten begleiteten Darstellung Wiedemanns liegt nunmehr ein gut lesbares Standardwerk zum
preußischen Anwaltsnotariat vor, das teilweise auch noch für das heutige deutsche
Notariatsrecht maßgebend ist.
Kiel Werner
Schubert