Weimarer
Landesverfassungen. Die Verfassungsurkunden der deutschen Freistaaten 1918-1933.
Textausgabe mit Sachverzeichnis und einer Einführung v. Wittreck, Fabian.
Mohr (Siebeck), Tübingen 2004. XVIII, 1009 S.
Eduard Rosenthal hob in seiner Beschreibung der Verfassungsentwicklung der thüringischen Staaten in der Revolutionszeit den verfassungsmäßigen und somit auch legitimierten republikanischen Wandel in den Fürstentümern Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen hervor (Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Band 9 [1920], S. 226). Darin unterschieden sich diese beiden kleinen Fürstentümer wesentlich sowohl vom Reich als auch den übrigen im Reich vereinten Länder, deren Übergang von der Monarchie zur Republik im November 1918 durch Verfassungsbruch gekennzeichnet war. Quasi durch „Revolution von oben“ wurden durch den beide Staaten in Personalunion regierenden Fürsten in einer kurzen Episode Reformversuche unternommen, indem er die alte ständische Verfassung um die Möglichkeit der Volkssouveränität fortschrieb. Dokumentiert findet sich dieser für die Novemberrevolution wohl einmalige Vorgang in einer Edition der gliedstaatlichen Verfassungen der Weimarer Republik, die die textliche Entwicklung der einzelnen Landesverfassungen von den revolutionären Übergangsverfassungen über die endgültigen Landesgrundgesetze bis zur Gleichschaltung ab 1933 präsentiert. Die von Fabian Wittreck mit einer Einführung versehene Sammlung der Verfassungsurkunden sowie der verfassungsrechtlich relevanten Gesetze und Verträge dieser Zeitspanne schließt damit eine wichtige Quellenlücke für die wissenschaftliche Aufarbeitung zur gliedstaatlichen Verfassungstradition in Deutschland, datiert die bisher einzig vorliegende Sammlung doch noch aus dem Jahre 1926 und stellte zudem nur eine zeitgenössische Momentaufnahme dar.
Dass nicht nur die Reichsverfassung, sondern eben auch die Landesverfassungen lohnende Forschungsobjekte sein können, wird von Wittreck in seiner kurzen, aber quellenreich belegten Einleitung deutlich gemacht. Anhand ausgewählter verfassungsrechtlicher Regelungsmaterien wie Grundrechtskataloge, staatsorganisationsrechtliche Bestimmungen und direktdemokratische Elemente, aber auch staatskirchenrechtliche Übergangsbestimmungen oder Anfänge einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit stellt er die typischen Ausgestaltungsvarianten einzelner Landesverfassungsurkunden vor und weist auf Besonderheiten hin. Durch den direkten Vergleich der Verfassungsurkunden entsteht somit ein Eindruck von möglichen verfassungsgesetzlichen Regelungen, die die gesamte Bandbreite unterschiedlichster Regelungsnatur aufzeigen. Deutlich werden daher die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Ansätze jener Zeit, die sich sowohl aus der Reichsverfassung speisten wie an eigene Traditionen anknüpften oder verfassungsrechtliches Neuland betraten. Erwähnt sei hier nur die erstmalig kodifizierte Verfassungsbeschwerde und der dafür zuständige Staatsgerichtshof in Art. 93 Abs. 1, 70 Abs.1 Verfassung des Freistaates Bayern von 1919 (S. 126, 122), ein Element, das der Reichsverfassung unbekannt war und auch im Grundgesetz erst 1969 verfassungsrechtlich verbürgt wurde. Landesverfassungsrechtliche Unikate blieben dagegen die die Klöster in Mecklenburg-Schwerin betreffenden Übergangsregelungen – einschließlich der Hebungen der (landschaftlichen) Jungfrauen – (S. 402f.), handelte es sich dabei doch um die systembedingten Folgen des Übergangs von einer noch sehr stark ständisch geprägten Ordnung. Zu den textlichen Gestaltungsmöglichkeiten kamen jedoch auch Einengungen seitens der Reichsverfassung hinzu und beeinflussten ebenso die Verfassunggebungen sowie spätere Verfassungsänderungen in den Ländern, da die herrschende Lesart von Art. 13 Abs. 1 WRV (‚Reichsrecht bricht Landesrecht.’) auch inhalts- und wortgleiche Normierungen erfasste und somit beispielsweise für landesverfassungsmäßige Grundrechtsverbürgungen kaum Raum verblieb. Die Sammlung enthält aber nicht nur die Verfassungen der Anfangsjahre der Republik, sondern eben auch die verfassungstextliche Entwicklung bis zur Gleichschaltung unter dem nationalsozialistischen Regime. Die Anzahl der Textänderungen war in dieser Zeitspanne jedoch auffallend gering, was vor allem durch die herrschende Meinung gedeckt wurde, dass ein verfassungsdurchbrechendes Gesetz auch mit verfassungsändernder Mehrheit möglich war. Einzig Lübeck bildete in Art. 37 Abs. 2 der Lübeckschen Landesverfassung (S. 347) eine sinnfällige Ausnahme mit einem kodifizierten Verbot einer solchen Praxis und der Konsequenz, dass die Hansestadt die meisten verfassungsändernden Gesetze aufzuweisen hatte.
Komplettiert wird die detailreiche Edition darüber hinaus für die einzelnen Länder um eine Auflistung relevanter Entscheidungen der Obersten Landesgerichte oder des deutschen Staatsgerichtshofs, soweit sie das Land betrafen sowie der direktdemokratischen Entscheidungen. Hervorzuheben als besonders hilfreich für die weitere Forschungsarbeit ist die für jedes Land recherchierte Bibliographie, die von 27 Einträgen für den Freistaat Lippe bis zu einer mehrere Seiten umfassenden Auflistung für Preußen reicht. Abgerundet wird die Darstellung im Anhang mit einem Abdruck der Weimarer Reichsverfassung nebst einer allein das Reich-Länder Verhältnis betreffenden Literaturübersicht. Zudem sind im Anhang die Verfassungsurkunden für die Freie Stadt Danzig wiedergegeben, die aufgrund ihrer eigentümlichen völkerrechtlichen Stellung eine Sonderrolle einnahm, was sich nicht zuletzt in einem umfangreichen Literaturmaterial niederschlägt. Tabellen am Ende der Einleitung stellen zudem schwerpunktmäßig die wichtigsten Normierungen und verfassungsrechtlichen Strukturen der einzelnen Länder dar (S. 37ff.). Für Textvergleiche ist somit ein schnelles und gezieltes Auffinden der relevanten Artikel möglich.
Wittreck merkt in seiner Einleitung an, dass er keine inhaltliche Darstellung des Landesverfassungsrechts beabsichtigte, sondern in erster Linie dem (Verfassungs-)Historiker eine verlässliche Materialsammlung der wesentlichen gliedstaatlichen Dokumente dieser Zeitspanne bereitstellen wollte. Die verfassungsrechtlichen Diskussionen der Zwischenkriegszeit werden von ihm daher zwar berührt, der Schwerpunkt der Einleitung liegt aber im Vermitteln eines Überblicks über den Gestaltungsspielraum gliedstaatlicher Verfassungen der Weimarer Republik. Ihm gelingt es dabei, durch das Ansprechen verschiedener Regelungen die Aufmerksamkeit auf die verfassungsrechtlichen Problemlagen dieser Zeit zu lenken und damit vertiefende inhaltliche Auseinandersetzungen mit diesem Abschnitt deutscher Verfassungsgeschichte anzuregen bzw. Perspektiven möglicher Forschungsfelder zu benennen. Die Weimarer Republik wird in der verfassungshistorischen Forschung vor allem von ihrem Ende aus betrachtet und es wird in möglichen Konstruktionsfehlern der Verfassung die Schuld für ihr eigenes Versagen gesehen. Mit der vorliegenden Gesamtschau zeigt sich aber mehr als deutlich das Spektrum damals für möglich gehaltener verfassungsrechtlicher Regelungen, so dass für eine verantwortungsvolle wissenschaftshistorische „Aufarbeitung“ der Weimarer Verfassungswirklichkeit viel mehr der Blick auf die Anfänge zu richten ist, wofür mit der vorliegenden Edition ein profundes Material zur Verfügung gestellt wird.
Jena Stefan
Danz