Valente, Claire, The Theory and Practice of Revolt in Medieval England. Ashgate, Aldershot/ Hampshire 2003. VIII, 276 S.
Das auf einer Harvard-Dissertation von 1997 beruhende Buch ist eine vergleichende Studie der in Revolten kulminierenden Auseinandersetzungen zwischen Teilen der Aristokratie und dem Monarchen im Königreich England in der Zeit von 1215 bis 1415. Die Verfasserin will zum einen die Ursachen, Verläufe und Ergebnisse der von Baronen geführten Aufstände gegen den König analysieren und Verhaltensmuster herausarbeiten und zum anderen untersuchen, in welchen Regionen und Bevölkerungsschichten die Aufständischen Unterstützung fanden und warum.
In den ersten beiden Kapiteln werden der zeitliche und thematische Rahmen der Arbeit abgesteckt (Why Study Revolt?, S. 1-11) und die theoretischen Grundlagen des Widerstandsrechts erörtert (Theories of Resistance, 1215-1399, S. 12-48), wobei staatsrechtliche und rechtstheoretische Werke recht knapp, zwei literarische Schriften („Fouke le fitz Warin“ und „Havelok the Dane“) dagegen ausführlicher behandelt werden, da „chivalric nobles were more likely to look to romances than to mirrors for princes for their ideas“ (S. 22). Das Widerstandsrecht, dessen Grundpfeiler die „supremacy of the law“ und das „right to counsel“ sind, wird durch den Gebrauch von „strategic violence“ umgesetzt, da die Nobilität – nach Valente – das Recht zu haben glaubte, gewaltsam gegen den König vorzugehen, um diesen zu veranlassen, die akzeptierten Herrschaftsnormen zu beachten. Im sieben Kapitel umfassenden Hauptteil werden einzelne „periods of resistance“ (1215-17, 1258-67, 1297-1301, 1308-22/27, 1381, 1386-88/99, 1400-1415) untersucht und miteinander verglichen. Anfang des 15. Jahrhunderts zeichnet sich ein Wandel ab, denn „the final displacement of the theory of revolt to reinforce reform by the practice of revolt to seize power“ (S. 214) wird jetzt sichtbar. Für die Revolten 1264/5, 1321/2, 1387/8 1403, 1405, 1408 wird die Beteiligung der Bevölkerung nach geographischen und sozialen Gesichtspunkten nach einer statistischen Methode analysiert, die im Appendix erläutert wird. Sobald Revolten nicht mehr deutlich mit Reformvorhaben verknüpft wurden, nahm der Grad der freiwilligen Unterstützung im Volk für die rebellierenden Barone ab: „participation in revolt overall had decreased and was more influenced by lordship“ (S. 237). Das Kapitel „Conclusions“ fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und stellt sie in einen größeren Kontext, und eine Auswahlbibliographie sowie ein Register schließen das Buch ab.
Um es vorweg zu nehmen: Die Revolten aus einer anderen, vermeintlich neuen Perspektive - nämlich der der Barone - zu betrachten, fördert kein wirklich neues Ergebnis zutage. Die Analyse der geographischen und sozialen Herkunft und lehnsrechtlichen Abhängigkeiten der Anhänger der Rebellion dagegen könnte tatsächlich neue Erkenntnisse hervorbringen, wenn man sich auf die vorgelegten Statistiken verlassen könnte. Doch genau dies trifft hier leider nicht zu. Valente bedient sich für ihre soziale Analyse eines „samples“, was in Ordnung wäre, wenn dieses „sample“ nach statistisch einwandfreien Methoden erstellt worden wäre, d. h. jeder Rebell die gleiche Chance gehabt hätte, ausgewählt zu werden. Dies ist allerdings offenkundig nicht der Fall. Es werden nur Rebellen berücksichtigt, deren Nachnamen mit A, B oder C beginnen. Somit fallen also prominente Personen wie Simon Montfort, Earl of Leicester, durch das Raster. Für das 15. Jahrhundert wurden weitere Buchstaben hinzugenommen, „because of difficulties with identification“, wobei offen bleibt, welche. Mehr noch: Dass ihr „sample“ nicht repräsentativ ist, beweist Valente selbst. So waren zum Beispiel unter den Rebellen 1321/2 – nach ihrer Statistik - 0 % Earls und 2 % Barone. Da dies dem widerspricht, was über die Beteiligung an der Revolte aus anderen Studien bekannt ist, geht Valente auf ihre eigenen Zahlen in bezug auf diese beiden Gruppen in der Analyse nicht ein. Dort liest man vielmehr, dass 25 % der Earls und 17 % der Barone rebellierten (S. 144-145). In Bezug auf die übrigen sozialen Gruppen stützt sich Valente dagegen auf ihre eigenen Prozentzahlen. Und wenn man sich die Statistiken über die anderen „baronial revolts“ anschaut, hat man den Eindruck, dass sich Barone und Earls kaum an den Aufständen beteiligten. Allerdings verweist die Verfasserin selbst im Appendix darauf, dass die Schlussfolgerungen aus den statistischen Analysen bestenfalls „suggestive“ sein können, insbesondere da zumeist „apples with oranges“ verglichen werden (S. 254).
Für die geographische Analyse wird England in sieben Regionen eingeteilt. Wieder werden – diesmal nicht näher erläuterte - „random samples“ herangezogen. So wurden zum Beispiel für die Revolte 1321/2 aus 898 identifizierten Rebellen 205 ausgewählt, von denen 143 Personen geographisch zugeordnet werden konnten (S. 142-3). Die geographische Verteilung der Rebellen wird mit der Verteilung der Gesamtbevölkerung verglichen, um auf diese Weise zu erfahren, welche Region die Rebellen über- bzw. unterproportional unterstützte. Allerdings arbeitet Valente für die gesamte von ihr untersuchte Zeit mit den von Russell auf der Grundlage der Poll Tax von 1377 ermittelten Zahlen. Probleme, die sich durch Bevölkerungsentwicklungen ergeben, werden marginalisiert (S. 255), was gewagt ist, wenn man bedenkt, dass andere von einem Bevölkerungsrückgang von 1/3 bis 1/2 infolge der Pest ausgehen (vgl. Robert C. Palmer, English Law in the Age of the Black Death, 1348-1381. A Transformation of Governance and Law. University of North Carolina Press, Chapell Hill und London 1993, S. 4, ein Buch, das Valente zitiert). Sie rechtfertigt die Benutzung der Zahlen damit, dass Russell „is the only one to have attempted a distribution“ (S. 255). Es ist sicherlich richtig, dass es in der Tat keine Zusammenstellung der Bevölkerungszahlen für ganz England in einem englischsprachigen Buch seit Russell gibt, doch wäre es durchaus möglich gewesen, die Bevölkerungszahlen auf der Grundlage der demographischen Literatur der letzten Jahre zu korrigieren. Zumindest wäre die Heranziehung des ersten von Carolyn C. Fenwick herausgegebenen Bandes der „Poll Taxes of 1377, 1378 and 1381“ (Part I: Bedfordshire – Leicestershire, Records of Social and Economic History, New Series 27, Oxford 1998) zumutbar und wünschenswert gewesen, insbesondere da Fenwicks Zahlen bei einigen Grafschaften (Cambridgeshire, Devon, Dorset, Hereford) erheblich von den Zahlen Russells abweichen.
Zudem geht Valente von einer über 200 Jahre währenden konstanten Bevölkerungsdistribution aus, was offenkundig problematisch ist. Rutlegde hat gezeigt, dass die Bevölkerung von Norwich zum Beispiel von 17.000 Einwohnern im Jahr 1311 auf 25.000 im Jahr 1333 wuchs, während Valente mit Russel von konstant ca. 6000 Personen ausgeht. Nach den Studien Derek Keenes hatte London (exklusive der Grafschaft Middlesex) vor der Pest (1348) ca. 80.000-100.000, nach der Pest aber nur noch ca. 40.000-50.000 Einwohner. Hier geht Valente von konstant rund 52.000 Personen für London und Middlesex aus. Somit liegt es auf der Hand, dass die Distribution der Bevölkerung in den sieben Regionen erheblichen Schwankungen unterworfen war, womit die Basis für Vergleiche der Revolten untereinander eigentlich fehlt.
Um die Zuverlässigkeit ihrer statistischen Ergebnisse zu überprüfen, verwendet Valente „standard Chi-square testing“. Diese Methode wird nicht näher erläutert, was ärgerlich ist, da man in statistischen Handbüchern vergeblich nach einer Standardform des Chi-square testing sucht. Da Valente ihre Methode nicht transparent macht, entzieht sie ihre Ergebnisse dem wissenschaftlichen Diskurs.
Ungereimtheiten in der Argumentation sind zudem ärgerlich. Eines der Hauptanliegen von Valente ist, „to recover the viewpoint of the medieval English nobility“ (S. 4). Hierzu zieht sie „surviving romances, documents, and chronicles, as well as .... baronial actions“ heran (S. 5). Einige Seiten später ist dann aber zu lesen, dass die englischen Barone „framed their demands and characterized their actions to comport with mainstream ideas on the reciprocal rights and duties of kings and subjects“ (S. 32). Hat die „medieval English nobility“ die vorgetragenen Ansichten nun selbst vertreten oder nur vorgeschoben, um Akzeptanz für ihre Vorgehensweise in der Bevölkerung zu erzielen? Beide Interpretationen sind im Buch zu finden. In den Darstellungen der Revolten haben sich außerdem einige unnötige Fehler eingeschlichen. So wurde zum Beispiel Walter Langton zum Bischof von Exeter gemacht (richtig: Coventry und Lichfield); die Frist für Begnadigungsschreiben endete nicht am 31. Oktober 1398, sondern wurde bis zum 11. November 1399 verlängert (S. 188 Anm. 79; Calendar of Close Rolls 1396-99, S. 438) und Richard II. nahm – neben den 50 ungenannten Personen – zusätzlich die Earls of Warwick, Gloucester und Arundel sowie deren Anhänger von der allgemeinen Begnadigung aus (S. 187).
Auch der Hinweis der Verfasserin, alle „the legal records of each reign“ für ihre Datenbank von Fällen und Rebellen durchgegangen zu sein (S. 9), scheint übertrieben, insbesondere wenn man bedenkt, dass nur bei den Revolten 1258-67, 1308-27, 1386-1399 und 1400-1415 auf eigene Quellenstudien zurückgegriffen wird. Ihr Anspruch, neue Rechtsquellen zu benutzen, ist nicht ganz nachvollziehbar, da – wie sie selbst sagt – die wichtigsten neuen Quellen seit mindestens 50 Jahren in anderen Studien zu Revolten benutzt wurden (S. 9).
Einige Flüchtigkeitsfehler wie falsche Schreibweise von Autorennamen (S. 15 Anm. 17; S. 17 Anm. 24, S. 251), falsche oder unterschiedliche Erscheinungsdaten von Büchern (S. 14 mit Anm. 8 und S. 266; S. 69 Anm. 4, S. 19 Anm. 32 und S. 263) und unvollständige Quellenangaben (S. 152 Anm. 137) hätten nicht sein müssen, zumal die Verfasserin ein „editorial assistant“ zur Seite stand. Auch ist unklar, nach welchen Kriterien Quellen in die Auswahlbibliographie aufgenommen wurden. Die KB 145 (bei denen es sich übrigens nicht um die King´s Bench, Miscellanea handelt, sondern um die Recorda), sind enthalten, obwohl kein Hinweis auf diese Quellen in den Fußnoten vorkommt. Dagegen fehlen die C 67, die in mehreren Fußnoten auftauchen (S. 187-8 Anm. 78, 79, 81).
Als Einstiegs- und Hintergrundlektüre für die Revolten ist das Buch nur bedingt zu empfehlen, da es einige Fehler enthält und zudem einiges Grundwissen über die „periods of resistance“ voraussetzt. Die Schlussfolgerungen, die die Autorin aus ihren statistischen Analysen zieht, können durchaus richtig sein, doch klar bewiesen sind sie nicht und sollten daher besser als Hypothesen denn als gesicherte Erkenntnisse behandelt werden.
Fürth Susanne Jenks