The
Experience of Crusading. Bd. 1 Western Approaches, hg. v. Bull,
Marcus/Housley, Norman. Bd. 2 Defining the Crusader Kingdom, hg. v. Edbury,
Peter/Phillips, Jonathan. Cambridge University Press, Cambridge 2003. XVI,
307 S., XV, 311 S., Abb., 2 Kart., 1 Kart.
Wenn
ein renommierter Gelehrter wie Jonathan Riley-Smith mit einer Festschrift
geehrt wird, darf die Fachwelt mit einer außergewöhnlichen Blütenlese
wissenschaftlicher Erkenntnisse rechnen. Und in der Tat werden die Erwartungen
nicht enttäuscht: Schüler und Kollegen des Jubilars haben in insgesamt
vierunddreißig, auf zwei Bände verteilten Aufsätzen zahlreiche Mosaiksteinchen
zusammengetragen, die ein noch lange nicht vollständig rekonstruiertes Bild
ergänzen helfen. Die Beiträge spiegeln die jeweils in den einleitenden
Berichten resümierten und gewürdigten Forschungsschwerpunkte und -interessen
des ausgewiesenen Kreuzzugsexperten wider und beschäftigen sich folglich mit
dem Kreuzzugsphänomen allgemein, mit der Prosopographie der Kreuzritter, der
Haltung der Kirche, den Ritterorden, den Strukturen der Kreuzfahrerstaaten, der
Rückwirkung auf den Handel, der Historiographie und mit der Rezipierung in der
Modernen. Die Abhandlung dieser Themenkomplexe erfolgte dabei unter
Heranziehung bislang vernachlässigter Quellengattungen oder Neuauswertung oft
zitierter historiographischer Zeugnisse.
So
untersucht Marcus Bull Beweggründe für eine Kreuzzugsteilnahme anhand
von das geistige Umfeld der Zeit reflektierenden Wunderberichten mit den
Schlüsselbegriffen „Jerusalem“ und „Muslime“ als Wegweiser und macht Giles
Constable auf drei Berichte über die Translation des Heiligen Vincentius
aufmerksam, die zahlreiche Informationen über die Vertreibung der Sarazenen aus
Lissabon im Jahre 1143 durch die Kreuzfahrer liefern. Daß angesichts horrender
Kosten bei geringen Aussichten auf Gewinn finanzielle Überlegungen die letzten
Kapetinger und ersten Könige aus dem Hause Valois von der Durchführung eines
Kreuzzugs Abstand nehmen ließen, schließt Norman Housely aus
Kostenaufstellungen für Transporte zur See, verzeichnet bei Marino Sanuto, und
dem Rechnungsbuch Marschall Boucicauts, während John H. Pryor aus der
dank terminologischer Untersuchung rekonstruierten Zusammenstellung der
venetianischen Flotte Ägypten statt Konstantinopel als ursprüngliches Ziel der
1203/04 unter wirtschaftlichen Aspekten geführten Unternehmung ableitet.
Handelsrivalitäten in den lateinischen Staaten mit Genua, die ihren
Niederschlag in einem von David Jacoby ausgewerteten Urkundencorpus mit
Notariatsakten fanden, waren es dann, die 1256 in den zwei Jahre währenden
St.-Sabas-Krieg mündeten und den Fall Akkons mitbegünstigten. Daß das
Engagement der italienischen Stadtrepubliken durchaus auch spirituellen
Motiven, päpstlichem Einfluß und einer weitverbreiteten Pilgerfrömmigkeit
entsprang, betont Christopher Marshall, der in diesem Zusammenhang auf
Caffor von Caschifelones Annalenwerk hinweist.
Neue
diplomatiegeschichtliche Ansätze wagen James M. Powell, der abweichend
von der herkömmlichen Beurteilung der Negotiationen zwischen Innozenz III. und
Alexius III. dem Papst aufrichtige Bemühungen um einen Kreuzzug und eine
Kirchenunion nicht abspricht und den Grund für den Abbruch der Verhandlungen in
der Forderung des Basileus nach Auslieferung Zyperns sieht, und Peter
Jackson, der vor dem Hintergrund des gegen die Mamluken gerichteten
Bündnisangebots Hülägü Khans an Ludwig IX. die in der zeitgenössischen
Historiographie gepriesene Bevorzugung des Christentums durch den
Mongolenherrscher bis hin zur Konvertierung mit seiner gesamter Familie stark
relativiert und die gute Zusammenarbeit mit christlichen und muslimischen
Würdenträgern als Komponente des mongolischen Herrschaftssystems hervorhebt.
Einen
ungleich breiteren Raum nehmen Abhandlungen ein, die auf die Komparsen des
politischen und militärischen Geschehens eingehen: So zeichnet Jonathan Shepard
das Leben des Vizegrafen Odo Arpin von Bourges nach, der seinen Besitz durch
König Philipp I. beleihen ließ, um am Kreuzzug teilnehmen zu können und als
Gefangener in Ramla von Alexios Komnenos, in dessen Diensten er stand,
ausgelöst wurde, und identifiziert ihn mit dem späteren Prior der
cluniazensischen Abtei La-Charité-sur-Loire, der dort gleichsam als
byzantinischer Interessenvertreter wirkte und diverse Kontakte zu
Konstantinopel und zum Heiligen Land pflegte. Thomas Asbridge begnügt
sich nicht damit, in Abkehr von der verfälschenden Historiographie die
letztendlich scheiternden Versuche der Witwe Boemunds I., Alix von Antiochia,
inmitten der Wirren, politischen Auseinandersetzungen im Kampf um die Macht und
wiederholten Frontenwechsel, die Regentschaft zu sichern, zu analysieren,
sondern rekonstruiert darüber hinaus das Entstehen eines gut verwalteten, quasi
autonomen Wittums mit eigener Kanzlei. Zwei diplomatische Missionen 1142/43 und
1158/59 nach Byzanz stellt Rudolf Hiestand in den Mittelpunkt seiner
Rekonstruktion der Biographie Gottfrieds, des ersten Abtes des Templum domini. Dem gleichfalls als
Emissär wirkenden Philipp von Nablus, der eine nicht unbedeutende politische
und militärische Rolle im Königreich Jerusalem gespielt und sich durch den
Tausch sämtlichen Grundbesitzes gegen die Herrschaft in Transjordanien einen
beeindruckenden Einflußbereich geschaffen hatte, bevor er Großmeister des
Tempels wurde, widmet Malcolm Barber eine ausführliche Studie. Am
Beispiel des abenteuerlichen Lebens Johannes Gales, eines Ritters aus Tyros,
das Jean Richard nacherzählt, läßt sich die ethische Problematik des
Söldnerwesens ausmachen, und unter diesem Gesichtspunkt kann man nur bedauern,
daß dieser Beitrag so kurz ausgefallen ist. Wie leicht aufschlußreiche
Zeugnisse nicht nur für biographische, sondern auch für kulturhistorische
Untersuchungen übersehen werden können, belegt Benjamin Z. Kedar, der
die Viten Ranieris, des Schutzpatrons von Pisa, der einst als Kaufmann das
Heilige Land bereiste, vorstellt.
In
dieser Hinsicht als ergänzend zu berücksichtigen sind bildliche Darstellungen,
die Anschauungsmaterial über Alltagsleben und Architektur im Heiligen Land
liefern. Zwei Kunsthistoriker, Christoph T. Maier, der die Beschreibung
einer in Wien aufbewahrten, zwischen 1220 und 1225 in Frankreich entstandenen
kommentierten Bibel, und Jaroslav Folda, der eine Deskription der in die
Zeit von 1198 bis 1230 zu datierenden Freiburger Musterblätter beisteuert,
machen auf diese etwas vernachlässigte Gruppe von Zeitdokumenten aufmerksam.
Quellenkundlich
rascher faßbar sind Zeugnisse zur Haltung der Kirche, deren Aufruf zu
kriegerischen Handlungen zwangsläufig mit dem neutestamentalischen Prinzip der
Gewaltlosigkeit in Konflikt trat. H. E. J. Cawdrey untersucht in diesem
Zusammenhang unter Rückgriff auch auf das Alte Testament und die augustinische
Lehre vom gerechten Krieg die beginnende Neubeurteilung des in den Dekretalen
als malitia stigmatisierten Krieges bei Anselm von Lucca und in der
Urban-Rede, während in kritischer Auseinandersetzung mit Carl Erdmanns
kanonistischer Deutungsweise des Begriffs vom Heiligen Krieg als Produkt des
Investiturstreits John France Tendenzen von Gewaltbereitschaft der
Kirche und ihrer Amtsträger bereits in der Karolingerzeit nachweist. Gemeinsame
Merkmale - ungeachtet des Gewaltlosigkeitsgebots für Mönche - einer
Kreuzfahrerarmee mit einer Klostergemeinschaft, die James A. Brundage
feststellt, sollten schließlich in die Gründung der Ritterorden münden. Das
geistige Klima vor dem Hintergrund dieses Widerspruchs filtert Penny J. Cole
aus der Kreuzzugspredigt des Humbert von Romans heraus, einem antimuslimischen
Traktat, das die Theorie verfocht, daß die Sarazenen nicht bekehrbar seien, da
sie in der Bibel keinerlei Erwähnung finden. Anders verhielt es sich mit den
Juden, deren Konversion Joachim von Fiore in seiner Schrift Adverus Judeos,
wie Anna Sapir Abulafia überzeugend referiert, das anzustrebende Ziel
nennt.
Zu
den Aufgaben der Ritterorden gehörte sie freilich nicht, deren karitative,
administrative und wirtschaftliche Institutionen die Aufmerksamkeit der
Herrscher weckten. So erfuhren unter Kaiser Manuel Komnenos die Einrichtungen
der Johanniter in Konstantinopel, wie Anthony Luttrell ausführt, reiche
Förderung seitens des Basileus und konnten sich bis zum Untergang des
lateinischen Kaisertums dort halten. Seit 1220 standen Johanniter zudem als
besonders vertrauenswürdige und loyale Verwalter und Kämpfer gegen Rebellen in
königlichem Dienst in Irland. Ihrem Wirken als Statthalter herrscherlicher
Macht, das jedoch ihre Marginalisierung in einem zu diesem Zeitpunkt noch
hauptsächlich im Heiligen Land engagierten Orden zur Folge hatte, widmet Helen
Nicholson einen ausführlichen Beitrag. Nach dem Fall Akkons wandten sich
Johanniter und Templer von Zypern aus der Errichtung von ausgedehnten
Handelsbeziehungen vornehmlich mit der Provence, Spanien und Genua zu und
gewannen außer einem beträchtlichen wirtschaftlichen Einfluß auch ein hohes
gesellschaftliches Ansehen, das seinen Niederschlag besonders deutlich in den
von Nicholas Coureas abschließend vorgestellten Aussagen ihrer
Geschäftspartner zugunsten der verfolgten Templer fand.
Zu
diesem Zeitpunkt trotz des vielschichtigen Engagements dieses aktivsten
Ritterordens definitiv verloren waren die so unterschiedlich strukturierten
lateinischen Staaten in Palästina mit ihren segmentierten autochthonen,
theologisch und sprachlich überaus heterogenen christlichen Siedlungen, deren
Spuren Denys Pringle anhand der Kirchenverteilung nachgegangen ist.
Diese interessante Vorstudie verdeutlicht auch die Schwierigkeit, angesichts
dieser Gegebenheiten europäische Verhältnisse zu etablieren. Einen Versuch,
königliche Gerichtsbarkeit zu bewahren, stellt Hans Eberhard Mayer in
einer Uminterpretation von Urkunden Fulkos von Jerusalem aus dem Jahre 1138
vor, die bei Übertragung von Immobilien an Kanoniker der Grabeskirche lediglich
ein Nießbrauchsrecht statt einer Schenkung festschrieben.
Immerhin
führten das wirtschaftliche Interesse an diesen Territorien und die
Notwendigkeit, sie zu versorgen, zu der von Michel Balard analysierten
Veränderung von Handelsrouten, der Verleihung von Handelsprivilegien, einer
Belebung des Warenverkehrs und nicht zuletzt zu einem intensivierten
Flottenbau. Inwiefern das Entstehen und Verschwinden der sogenannten
Kreuzfahrerstaaten einerseits den Aufstieg einer kleinen Stadtrepublik wie
Piombino zu einer Handelsmacht und andererseits das Piratenwesen im
Tyrrhenischen Meer begünstigten, beantwortet David Abulafia nicht,
dessen Abhandlung über die piombinische Rivalität 1397-1472 in Mailänder
Fahrwasser zu Pisa und die Auseinandersetzung mit Tunis ein wenig den
thematischen Rahmen sprengt.
Auf
das Gebiet der Historiographie führen den Leser Jonathan Phillips, der
sich mit dem von der älteren Kreuzzugsgeschichtsschreibung inspirierten Bericht
Odos von Deuil über den Kreuzzug Ludwigs VII. beschäftigt, in dem jedoch die
Gestalt Kaiser Konrads dominiert und der ein differenziertes Griechenbild,
militärhistorische Betrachtungen und kritische Bemerkungen über das Verhalten
der Heerführer enthält, Bernard Hamilton, der die französische Übersetzung
der Chronik des Wilhelm von Tyrus mit dem Originalwerk vergleicht sowie die
Abweichungen, Ergänzungen, Kommentierungen, Umarbeitungen und Aktualisierungen
festhält, und Peter Edbury, der eine quellenkundliche Einführung zu der
von ihm erstellten Neuedierung der Jerusalemer Assisen des Johann von Jaffa
präsentiert.
Abgerundet
wird diese Auslese wissenschaftlichen Forschens durch eine Einführung aus der
Feder Robert Irwins in die Wissenschaftsgeschichte von der rein
philologisch orientierten Edierungs- und Übersetzungsarbeit der frühen
Orientalistik, ausgehend von der Benediktinerabtei Saint-Germain-des-Prés in
Paris im ausgehenden 17. Jahrhundert, bis zur Auswertung der Kreuzzugsquellen
im späten 19. Jahrhundert unter Vernachlässigung der arabischen und persischen
Zeugnisse. Elizabeth Siberry gibt einen Überblick über die
Kreuzzugsdarstellungen in der bildenden und der Bühnenkunst sowie der Literatur
im England des 19. Jahrhunderts, und Susan Edgington hat (mehrheitlich
in England, den Vereinigten Staaten und Frankreich erschienene) historische
Romane aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die den ersten Kreuzzug zum
Gegenstand haben, untersucht. Dem Nichtfachmann, so ihr Fazit, kann diese Art
Literatur den Weg zur Geschichte weisen und dem Forscher Ideen und Einsichten
geben. Damit hat die Verfasserin dieses arbeitsintensiven Beitrags
unabsichtlich den Rezensenten eine Schlußbewertung vorliegender Aufsatzsammlung
geliefert.
Die
sorgfältig gestaltete und gut lektorierte Festschrift bietet neben abgeschlossenen,
in Gestalt einer Zusammenfassung präsentierten Untersuchungen eine Reihe
beachtenswerter Vorstudien, auf deren Ausarbeitung in einer Monographie man
gespannt sein darf. Ihr größtes Verdienst liegt jedoch darin, den Weg zu neuen
Erschließungsfeldern zu weisen.
Saarbrücken Petra Roscheck