Schöler, Claudia, Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung (1780-1866) (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 22). Böhlau, Köln 2004. LIII, 320 S.

 

Nach Schöler soll das Werk zeigen, dass in der „gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine lebhafte Diskussion über die Frage der deutschen Rechtseinheit geführt wurde und dass sich zahlreiche Autoren auch nach der Kontroverse zwischen Thibaut und Savigny für gesamtdeutsche Kodifikationen aussprachen“ (S. 2). Die Arbeit zielt auf die Erforschung bestimmter Aspekte der Gesetzgebungs- und Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der zeitgenössischen Diskussionen über die Frage der deutschen Rechtseinheit. Bereits in der Spätphase des Alten Reichs befassten sich mehrere Autoren (J. G. Pietsch, Chr. G. Biener, J. F. Reitemeier) mit der Idee eines Reichsgesetzbuchs, das vor allem den Reichsverband festigen und die deutschen Territorien stärker an das Reich binden sollte (S. 44). Die Verfasserin sieht hierin einen „weiteren Beleg für ein frühes deutsches Nationalgefühl, das sich nicht auf einen deutschen Nationalstaat, sondern auf das Alte Reich bezog“ (S. 44). An diese Diskussionen knüpften, wenn auch angepasst an die neue politische Lage, die Wünsche nach Rechtsvereinheitlichung unter den Rheinbundstaaten an auf der Basis des Code Napoléon, dessen Grundentscheidungen nach Meinung einiger Autoren teilweise modifiziert werden sollten. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Argumentation des nassauischen Juristen Harscher von Almendingen, der allerdings eine von Frankreich erzwungene Übernahme des Code Napoléon verhindern wollte. Auch einige wenige Autoren, die gegen den Code Napoléon Widerstand leisteten, kamen, auch wenn sie die Rechtseinheit nicht ablehnten, in der Rheinbundzeit zu Wort. Bevor die Verfasserin die Kontroverse zwischen Savigny und Thibault behandelt, geht sie zunächst auf die Forderungen nach Herstellung der Rechtseinheit noch vor Erscheinen der Schrift Thibauts ein (S. 88ff.). Thibauts Forderung nach einem Nationalgesetzbuch, welche die deutsche Nationaleinheit stärken und symbolisieren sollte, stieß – anders als die Ablehnung einer Zivilrechtskodifikation durch Savigny – auf breite Zustimmung. Der sog. Kodifikationsstreit war kein bloßer Gelehrtenstreit, sondern eine rechts- und verfassungspolitische Kontroverse, aus der Savigny keineswegs, so die Verfasserin mit Recht, als Sieger hervorging.

 

Das Vorhaben einer deutschen Nationalgesetzgebung scheiterte vielmehr an den Regierungen der deutschen Einzelstaaten, die in der Stärkung des deutschen Nationalgefühls durch einheitliche Kodifikationen eine Gefahr für ihre neu errungene Souveränität sahen. Allerdings trug Savignys Schrift dazu bei, dass die Diskussion über die Herstellung der nationalen Rechtseinheit auf dem Gebiete des Zivilrechts nach der vollen Etablierung des Deutschen Bundes für einige Zeit in den Hintergrund trat. Angesichts der zahlreichen, von der Verfasserin herangezogenen nicht wenigen Stimmen für eine gesamtdeutsche Kodifikation lässt sich jedoch, entgegen einiger Stimmen in der bisherigen Literatur (vgl. S. 181) nicht sagen, dass die öffentliche Meinung bis zur Revolution von 1848 gegen Kodifikationen, mithin auch gegen eine deutsche Nationalkodifikation eingestellt gewesen sei. Besonders verdienstvoll ist es, dass die Verfasserin in diesem Zusammenhang auch auf die naturrechtliche Gesetzgebungswissenschaft, die Savignys Standpunkt nicht teilte, näher eingeht (S. 134ff.). Neben wirtschafts- und nationalpolitischen Argumenten für die deutsche Rechtseinheit spielten in der Zeit zwischen 1820 und 1847 zunehmend auch die Forderungen nach liberalen Rechtsreformen nach dem Muster des französischen Rechts eine wichtige Rolle. Die Mehrzahl der Autoren wollte die Gesetzgebungskompetenz der Einzelstaaten jedoch nicht einschränken, die Rechtseinheit also in Übereinstimmung mit ihren Souveränitätsinteressen herbeiführen. Für die Rechtseinheit auf der Grundlage einer liberalen Kodifikation setzte sich insbesondere in den 40er Jahren die Anwaltschaft ein, die sich davon eine Aufwertung ihres Berufsstandes versprach (S. 185ff.). Im übrigen war die gesamte Vormärzzeit keine kodifikationslose Zeit, wie die von der Verfasserin besprochenen Strafrechtskodifikationen und zivilrechtlichen Kodifikationspläne (insbesondere Hessen-Darmstadts) zeigen. Etwas knapp ist in diesem Zusammenhang Preußen behandelt, das mit der Gesetzrevision (ab 1825) eine groß angelegte Kodifikationsreform anstrebte, an der auch Savigny u. a. für das Ehescheidungs-, Straf- und Zivilprozessrecht als Gesetzgebungsminister mitwirkte. Dies widersprach allerdings nicht seiner Programmschrift von 1814, die eine Kodifizierung dieser und weiterer rechts- und gesellschaftspolitisch relevanter Rechtsmaterien nicht ausgeschlossen hatte. Die Frankfurter Reichsverfassung (wie auch die Erfurter Unionsverfassung) kam den Forderungen zahlreicher Autoren nach gesamtdeutschen Kodifikationen entgegen und verankerte die Herstellung der Rechtseinheit in § 64 der Verfassung als Verfassungsauftrag. Im abschließenden Kapitel: „Der Deutsche Bund und die deutsche Rechtseinheit (1850-1866)“ (S. 287ff.) geht die Verfasserin auf die Forderungen nach gesamtdeutschen Kodifikationen ein. Ausführlich behandelt sie die Kodifikationspläne des Deutschen Bundes, die gegen den Widerstand Preußens zur Stärkung des Bundes betrieben wurden und nur für das Handelsrecht erfolgreich waren. Die Debatten über die Rechtseinheit unter dem Norddeutschen Bund und dem Deutschen Reich sind nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Arbeit (S. 315f.).

 

Die Arbeit Schölers, die allerdings inhaltlich nicht näher auf die zahlreichen Gesetzesprojekte des 19. Jahrhunderts eingeht, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Sie berücksichtigt die rechtspolitischen und gesetzgebungstheoretischen Schriften einschließlich der z. T. umfangreichen Rezensionen in den Literaturzeitschriften (für die Jenaische Allgemeine Literaturzeitung vgl. Karl Bulling, Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung, Weimar 1962) in einem bisher nicht gekannten Umfang. Ferner geht die Verfasserin erstmals detailliert auf die Diskussionen über die Rechtsvereinheitlichung in Deutschland in der Spätphase des Alten Reichs und in der Rheinbundzeit ein. Für den Deutschen Bund fehlt der Hinweis darauf, dass einige der frühen Verfassungspläne von 1814 die Schaffung einer einheitlichen Bundeskodifikation vorsahen (vgl. dazu die Quellenedition von Eckardt Treichel, Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815, München 2000). Die Arbeit Schölers verdeutlicht, dass die Forderung nach einem deutschen Nationalgesetzbuch bis 1866 – abgesehen von der Revolutionszeit 1848/1849 – ein Spezifikum der deutschen rechtspolitischen Diskussion war. Eine solche Kodifikation stellte bei dem Fehlen staatlicher Einheit ein „sichtbares Symbol der nationalen Zusammengehörigkeit“, ein „Verbindungsmittel aller Deutschen“ (S. 317) dar, hatte also vor allem eine ideelle Bedeutung ungeachtet der wirtschafts- und reformpolitischen Wünsche, die zunehmend mit der Forderung nach Rechtseinheit verbunden wurden. Bedeutsam erscheint, dass bis in die 60er Jahre von der Mehrzahl der Autoren der Wunsch nach Herstellung der Rechtseinheit – wiederum von der Revolutionszeit abgesehen – nicht mit verfassungspolitischen Forderungen verknüpft wurde. Insgesamt eröffnet die Arbeit Schölers einen umfassenderen Blick auf die Forderungen in der Zeit zwischen 1780 und 1866 nach einem deutschen Nationalgesetzbuch und nach partikularen Kodifikationen, als dies bisher möglich war (hierzu die Werke von H. Getz, Die deutsche Rechtseinheit des 19. Jahrhunderts als rechtspolitisches Problem, von H. Wrobel, Die Kontroverse Thibaut/Savigny im Jahre 1814 und ihre Deutung in der Gegenwart, Bremen 1975 und von M. Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung. Bedeutungen einer juristischen Formel in der Rechtstheorie, Berlin 1995), so dass mit dem hervorragend geschriebenen und übersichtlich gegliederten Werk ein weiterer wichtiger Baustein zur „langen“ deutschen Kodifikationsgeschichte des 19. Jahrhunderts vorliegt.

 

Kiel

Werner Schubert