Sagstetter,
Maria Rita, Hoch- und
Niedergerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Herzogtum Bayern (= Schriften
zur bayerischen Landesgeschichte 120). Beck, München 2000. XLIX, 621 S.
Das vorliegende
Werk der Historikerin Maria Rita Sagstetter stellt die überarbeitete
Fassung ihrer bereits 1993 von der philosophischen Fakultät III (Geschichte,
Gesellschaft und Geographie) der Universität Regensburg angenommenen
Dissertation dar.[1]
Sagstetter hat sich die Aufgabe gestellt, „das vielgestaltige
konkurrierende Neben- und Übereinander von herzoglicher, adeliger und
kirchlich-klösterlicher Herrschaftsausübung über Land und Leute“ im bayerischen
Herzogtum des 13. bis 16. Jahrhunderts darzustellen und zu analysieren (S. 4).
Den zentralen Aspekt ihrer Arbeit bildet die Frage nach der Kompetenzscheidung
zwischen landesherrlicher und landständischer Gerichtsbarkeit, nach der
Abgrenzung der Zuständigkeiten von Dorf-, Hofmarks- und Landgerichten. Eine
ähnliche Zielsetzung hatte bereits 1929 Eugen Wohlhaupter in seiner
Untersuchung „Hoch- und Niedergericht in der mittelalterlichen
Gerichtsverfassung Bayerns“ verfolgt. Wer in diesen Spuren nachfolgen will, muß
Außergewöhnliches leisten, und eben dies gelingt Sagstetter. Zu Recht
hebt sie die einseitige Perspektive älterer Forschungsansätze hervor, welche
sich auf eine Untersuchung der normativen Vorschriften des Privilegien- und
Gesetzesrechts beschränkten. Dabei gehört der Streit um die Kompetenz, d. h. die
sachliche Zuständigkeit eines Gerichts, zu den ebenso alltäglichen wie
gravierenden Problemen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Jurisdiktion, „mit der sich das Gerichtspersonal regelmäßig konfrontiert und
offenbar nicht selten sogar regelrecht überfordert sah“ (S. 11). Daher bezieht Sagstetter
in ihre Untersuchungen ein reiches Material an Textzeugnissen aus der
Rechtspraxis ein. Die von ihr gewählte doppelte Perspektive der Rechtsetzung
und Rechtsanwendung ermöglicht es, Effektivität und Wandel der Kompetenzbestimmungen
in lebensvollen Bildern darzustellen.
Gerade diese
Erkenntnisse aus der Rechtspraxis hätten freilich an einigen Stellen noch intensiver
eingesetzt werden können, so etwa im Hinblick auf die Auswirkung des
Oberbayerischen Landrechts von 1346 auf die Rechtsprechungspraxis. Sagstetter
geht – gegen Hans Schlosser[2] – davon aus, daß auch nach
der Wiederzulassung des Fünf-Mannen-Urteils unter Ludwig dem Brandenburger der
Spruch des selbständig nach dem Buch urteilenden Richters in der Praxis der
Regelfall war, während das Fünfer-Urteil nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gekommen
sei (S. 193). An dieser Stelle hätte man sich genauere Auskunft über die
Quellen gewünscht, auf welche sich eine solche Einschätzung des
Regel-Ausnahme-Verhältnisses in der Gerichtspraxis stützt. Dagegen überzeugt
besonders die Darstellung der Kompetenzerweiterungen, welche die Niedergerichte
mancherorts durch die Verleihung oder freiwillige Einführung des Landrechts
erlangen konnten. Die Schlußfolgerung, wo
das buch ligt, darinn hat man weytter ze richten (S. 223), war so nicht vom
Gesetzgeber beabsichtigt und stellt ein schönes Beispiel dar nicht nur für die
Eigendynamik, die jeder Eingriff in die Rechtslage entfalten kann, sondern auch
für die spezifische Flexibilität des spätmittelalterlichen Gerichtswesens.
Besonders
positiv hervorzuheben ist auch die detaillierte und eindringliche Untersuchung
der Vitztumshändel. Insbesondere die Verwertung der Landschreiberrechnungen,
die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts vorliegen, erlaubt einen Einblick in
die spätmittelalterliche „Subsumtion“, d. h. ermöglicht Antworten auf die
Frage, welche konkreten Tatbestände die Zeitgenossen den in den
Vitztumskatalogen genannten Delikten zugeordnet haben. Daß die Vitztume die
Neigung hatten, ihre Aufgaben und Befugnisse extensiv zu verstehen und
auszuüben, kann kaum überraschen. Der Katalog der drei hohen Fälle der
Blutgerichtsbarkeit, die im 15. Jahrhundert zunächst als Vitztumshändel
bezeichnet werden (S. 242 Anm. 65) wurde immer stärker ausgeweitet, bis er
schließlich über zwanzig verschiedene Delikte umfaßte. Sämtliche mit peinlichen
Strafen bedrohten Missetaten, dazu alle Delikte, deren Verfolgung mit der
Wahrung des Landfriedens und der allgemeinen Rechtsordnung in Verbindung
gebracht werden konnten, sollen so der niederen Gerichtsbarkeit entzogen
werden. Diese Tendenz zur Erweiterung der landesherrlichen Gerichtsbarkeit, die
nicht auf das Herzogtum Bayern beschränkt ist, sondern sich ebenso etwa im
frühneuzeitlichen Franken findet, leitet über zur „guten Policey“ des 16. und
17. Jahrhunderts. Das Gegenstück zu dem Blick in die praktische Umsetzung der
Vitztumshändel bildet der letzte Teil der Arbeit, in dem Sagstetter
einen Blick in die Rechtspraxis der Niedergerichte wirft. Das Verzeichnis der
Hofmarks- und Dorfgerichte im Vitztumamt München von 1442, der
Rentmeisterbericht über die Dorfgerichte und Hofmarken im ehemaligen
Ingolstädter Oberland von 1469 sowie die Gravamina und Amtberichte aus dem
Ingolstädter Oberland aus den Jahren 1471/72 bieten reiches
Anschauungsmaterial. Erwartungsgemäß löst sich die auf der normativen Ebene
noch relativ durchschaubare Zuständigkeitsverteilung in der alltäglichen
Gerichtspraxis auf in ein Gewirr von einander widersprechenden
Zuständigkeitsbehauptungen. Ambitionierten Niedergerichtsherren gelingt es
immer wieder, ihre Jurisdiktionsgewalt durch Einsatz von Machtmitteln gegenüber
den eigenen Hintersassen auszuweiten; solche Zuständigkeitsverschiebungen
können, müssen aber nicht von Dauer sein. Dementsprechend prägen Konflikte um
Jurisdiktionsrechte das Bild der bayerischen Gerichtslandschaft bis in die
Neuzeit hinein.
Erfreulicherweise
wird der gehaltvolle Band durch ein Orts- und Namenregister erschlossen und
damit auch als Nachschlagewerk nutzbar gemacht. Das ist dankenswert nicht
zuletzt wegen des reichen Archivmaterials, das Sagstetter in
aufbereiteter Form an mehreren Stellen ihrer Arbeit zur Verfügung stellt.
Überhaupt beeindruckt die umfangreiche und gut lesbare Arbeit durch eine
umfassenden Quellenkenntnis, auf welcher die fundierten Urteile der Autorin
aufbauen. Mit dieser Arbeit ist Sagstetter eine bedeutende Leistung
nicht nur auf dem Gebiet der bayerischen Landesgeschichte, sondern auch auf dem
Feld der Forschung zur spätmittelalterlichen Gerichtsbarkeit gelungen.
Würzburg Christiane
Birr
[1] Maria Rita Sagstetter, Hoch- und
Niedergerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Herzogtum Bayern als
Ausdrucksformen herzoglicher, adeliger und kirchlich-klösterlicher
Herrschaftsausübung. Diss. phil. Regensburg 1997 (Maschschr.).
[2] Hans Schlosser,
Spätmittelalterlicher Zivilprozeß nach bayerischen Rechtsquellen.
Gerichtsverfassung und Rechtsgang. Köln-Wien 1971, S. 410f.