Reichhelm,
Nils,
Die marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie Karl Polaks (=
Rechtshistorische Reihe 266). Lang, Frankfurt am Main 2003. 270 S.
Vor kurzem wurde an dieser Stelle die Arbeit Marcus Howes
über Karl Polak, den „Kronjuristen der DDR“, besprochen[1].
Die Befürchtung, wieder einmal seien Doktoranden auf der Jagd nach
Dissertationsthemen auf den gleichen Gegenstand angesetzt worden, legt sich
schnell. Während Howe eine
Lebensbeschreibung Polaks liefert und dabei seine Publikationen nur so
weit wie in diesem Rahmen nötig einbezieht, konzentriert sich die vorliegende
Arbeit ganz auf das Werk Polaks. Dabei bietet auch das einführende
Kapitel über Leben und Werdegang Karl Polaks aufgrund einer Heranziehung
entlegener Quellen (so u. a. eines Befundberichts der Psychiatrischen und
Nervenklinik der Universität Leipzig vom 10. 7. 1951) viele interessante
zusätzliche Informationen gegenüber der Biographie Howes.
Auf seine erste Dissertation bei Erik Wolf „Studien
zu einer existentialen Rechtslehre“ ist Polak später nicht mehr
zurückgekommen. Sie enthält jedoch mit der Kritik an der Beschränkung des
Rechts auf die äußere Form, an der Konstruktion des Staates als vom einzelnen
Menschen unabhängig und an der isolierten Existenz der einzelnen deutliche
Vorläufer der späteren Hinwendung zum Marxismus-Leninismus. Übrigens entspricht
diese Terminologie zwar derjenigen Polaks, erscheint aber nicht ganz
sachgerecht, da Reichhelm mit
Recht darauf hinweist, dass der Beitrag Lenins zur marxistischen Rechtstheorie gering sei. Dass auch der
materiale Inhalt der stalinistischen Neupositionierung des Rechts minimal sei
(S. 71), steht im Widerspruch zu Reichhelms eigener These, dass Polak gerade die gestaltende Seite des Rechts
betont hat und damit direkt in der Tradition Stalins stand.
Das nächste Kapitel befaßt sich mit Polaks Kritik der
bürgerlichen Rechtswissenschaft und seinem Entwurf einer sozialistischen
Rechtswissenschaft. Die Kritik richtete sich besonders gegen den „Positivismus“
und den Neukantianismus, die er sich allerdings beide eigenständig zurechtlegte
und simplifizierte. Für die „sozialistische Rechtswissenschaft“ erklärte Polak
die dialektische Verbindung von Theorie und Praxis für charakteristisch. Die
Beschlüsse der Partei interpretierten verbindlich die gesellschaftliche Situation
der Basis, „Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit des Rechts sind identisch“.
Die Staats- und Rechtswissenschaft ist „konsequente Anwendung der marxistisch-leninistischen
Theorie“; sie hat gegenüber dem politischen Marxismus-Leninismus nichts Neues,
nichts Originelles zu erfinden. Nicht nur Richter und Staatsanwälte, sondern
auch die sozialistischen Rechtswissenschaftler müssten fest auf dem Boden der
Generallinie der Partei gründen und auf die Durchsetzung ihrer Politik
gerichtet sein. Polak wandte sich alsbald gegen bescheidenste Versuche
zu einer Liberalisierung der Rechtswissenschaft in der DDR wie die „Erbe“-These
und die These von der Spezifik des Rechts.
In zahlreichen Einzelaufsätzen, die später zu einer als
Lehrbuch verwendeten Aufsatzsammlung zusammengefasst wurden („Zur Dialektik in
der Staatslehre“), kritisierte Polak den bürgerlichen und entwickelte
seinen eigenen sozialistischen Staatsbegriff. Dessen Wesensmerkmale sind seine
Instrumentalität, die Identität mit dem Volk und die Ablehnung der Gewaltenteilung.
Die Grundrechte werden von Abwehr- zu Gestaltungsrechten. Nach Reichhelm ist Polaks Staatskonzeption
beispielhaft dafür, wie auf der Grundlage eines positiven Freiheitsbegriffs ein
despotischer Staat aufgebaut wird (S. 190).
Schwieriger noch als Polaks Staatsbegriff ist sein
Begriff des Rechts zu ermitteln, und zwar wegen der noch größeren Beiläufigkeit
seiner diesbezüglichen Äußerungen sowie der „dialektischen Einheit von Theorie
und Praxis“, die das materielle Recht und seine Anwendung und Auslegung
miteinander verknüpfen. Hinsichtlich der instrumentellen Funktion des Rechts
beruft sich Polak nach dem XX. Parteitag der KPdSU nicht mehr auf Stalin,
sondern bemüht einige schlecht passende Zitate Lenins. Der Zwang des
Rechts verwandelt sich in eine gesellschaftliche Verpflichtung, der jeder
einzelne freiwillig nachkommt, sobald er die Wahrheit des Marxismus-Leninismus
erkannt hat. Daher ist allein sein kapitalistisch-zurückgebliebener Verstand
daran schuld, wenn er das Recht als zwanghaft empfindet. Wenn Polak 1961 das Absterben des Staates und des
Rechts als Weg zur allseitigen Entfaltung der führenden Rolle der Partei
ansieht, so folgt er damit sehr schnell der sowjetischen Lehre[2].
Auch löste er sich schnell von der früher von ihm unterstützten Konzeption Wyschinskis.
Eine Einordnung des Polakschen Rechtsbegriffs unter die Kategorie des
Positivismus hält Reichhelm für unmöglich, da mit der Übereinstimmung
von Recht und Moral im sozialistischen Staat das Beurteilungskriterium nicht
mehr existiere (S. 223).
In einem abschließenden Kapitel stellt Reichhelm fest, dass Polaks Bedeutung für
die berüchtigte Babelsberger Konferenz enorm, deren Bedeutung für die
Rechtswissenschaft der DDR allerdings gering gewesen sei.
Insgesamt bestätigt Reichhelm, dass Polak in
der Sache nicht viel zu bieten gehabt habe; seine Überlegungen seien
vergleichsweise einfach strukturiert und wenig originell. Vermutlich ist es ihm
gerade dadurch gelungen, die gnadenlosen Verfolgungen der deutschen Emigranten
in der Sowjetunion und alle Wandlungen in der SBZ/DDR zu überstehen.
Regensburg Friedrich-Christian
Schroeder