Przyrembel, Alexandra, „Rassenschande“. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 190). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 568 S., 13 Abb., 13 Tab., Dokumentenanh.

 

Obwohl bereits eine Vielzahl von Untersuchungen zu den Nürnberger Gesetzen vorliegt, fehlt bislang eine Gesamtdarstellung der Vorgeschichte dieser Gesetze und der „Rassenschande“-Verfolgung durch die Polizei und die Justiz. Das Werk Przyrembels versucht, alle Aspekte dieser Thematik zu erfassen. Im ersten Teil zeichnet die Verfasserin die historischen Entwicklungslinien, die zur Herausbildung des Straftatbestandes der „Rassenschande“ geführt haben. Die Begriffe „Rassenschande“, „Rassenehre“ und „Bastardisierung“ hatten bereits aufgrund der Arbeiten von Houston Stewart Chamberlain zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine „denunziatorische Qualität“ (S. 36) und erweckten die „Vorstellung von der ,Unreinheit’ des jüdischen Körpers“, verbunden mit der „Sexualisierung des jüdischen Mannes“ (S. 23). Die Debatten im Reichstag über die Möglichkeiten eines Verbots von Mischehen in den Kolonien (1912) machten die Forderung eines „Reinheitsgebots“ für die „Deutsche Rasse“ akzeptabel, obwohl jüdische Mischehen in diesem Zusammenhang noch keine Rolle spielten. Eine weitere Dynamisierung erfuhr, so die Verfasserin S. 24, 48ff., die Diskussion über Rasse und Sexualität im Zusammenhang mit der Stationierung „farbiger“ Soldaten durch die französische Besatzungsmacht im Rheinland als Folge des Ersten Weltkriegs. Die weitere Popularisierung und Institutionalisierung des „Rassenschande“-Begriffs erfolgte mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Der Disziplinierung und Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung dienten die öffentlichen Anprangerungen von jüdischen „Rassenschändern“ (1933-1935), die in Breslau einen traurigen Höhepunkt erreichten (S. 65ff.). Der allgemeinen Auflösbarkeit von deutsch-jüdischen Ehen durch Anfechtungsklage schob das Reichsgericht mit seiner Entscheidung vom 12. 7. 1934 (RGZ 145, 1) zunächst einen Riegel vor. Detaillierter, als dies bisher geschehen ist, geht die Verfasserin auf die Vorgeschichte der Nürnberger Gesetze von 1933 bis Mitte 1935 ein. Sie weist nach, dass die Gesetze keineswegs nur auf die radikalen Teile der NSDAP zurückgehen, sondern auf einer breiten innerparteilichen und interministeriellen Diskussion beruhen. Grundlegend in diesem Zusammenhang waren nach der Verfasserin die Beratungen der Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums am 5. 6. 1934[1] über die mögliche Konzeption einer „Rassengesetzgebung“. Das „Blutschutzgesetz“ von 1935, das ein Ehe- und Sexualverbot für Juden und „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ brachte und insoweit für das Zusammenleben von Deutschen und Juden eine stark repressive Wirkung entfaltete, warf zahlreiche Probleme auf (Feststellung der jüdischen Identität; Bestimmung des Begriffs „Geschlechtsverkehr“ im Sinne des Blutschutzgesetzes [hierzu RGZ 70, 375 vom 9.12.1936] und der Leitsatz bei W. Schubert/H. P. Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts zum Strafrecht, Bd. 4, 1999, S. 695). Entgegen der bisher in der Literatur vertretenen Auffassung, dass die Radikalisierung der Rechtspraxis durch das Reichsjustizministerium (RJM) und das Reichsgericht forciert wurde, vertritt die Verfasserin die Position, „dass die Impulse einer extensiveren Auslegung des Blutschutzgesetzes mit den Anregungen von ,unten’ korrespondierte“ (S. 158), die rückwirkend vom Gesetzgeber, wenn auch nicht vollständig, sanktioniert wurden. Nach einer verhältnismäßig milden Strafpraxis verhängten die Gerichte ab Mitte 1936 zunehmend höhere Strafen, insbesondere auch Zuchthaus, seit Kriegsbeginn gegen Juden auch die Todesstrafe (in Verbindung mit anderen Delikten). Leider sind hierzu die Angaben der Verfasserin nicht immer hinreichend detailliert. Die seit 1938 zulässige Abstammungsklage eröffnete Beschuldigten wenigstens die Chance, als „Arier“ eingestuft zu werden (S. 161ff.). Eine Bestrafung der an der „Rassenschande“ beteiligten Frau wegen Begünstigung oder Beihilfe hinsichtlich der „Rassenschande“ war auf ausdrückliche Anordnung Hitlers im Jahre 1937 nach einer Verordnung vom 16. 2. 1940 ausgeschlossen. Dies bedeutete nicht, dass die Frau nicht zumindest wegen Meineids bestraft werden konnte, abgesehen davon, dass die jüdischen Frauen grundsätzlich mit einer Einweisung in ein Konzentrationslager und später mit der Deportation rechnen mussten.

 

Der zweite Teil des Werkes (S. 185ff.) befasst sich mit der Verfolgungspraxis wegen „Rassenschande“ unter folgenden Aspekten: Denunziation, doppelter Angriff durch Kriminalpolizei und Gestapo (seit 1943 für Juden ausschließlich durch die Gestapo), Heterogenität der „Rassenschänder“, Akteure des Rechts, Strafe und Vollstreckung, Reaktionen und Proteste sowie die Umsetzung des Sexualverbots (Diskurs der Obzönität; Kriminalisierung der Unterschichten sowie individuelle Strategien der Selbstbehauptung; Zerstörung der unehelichen Beziehungen; „Rassenschande“ als Ausdruck antisemitischer Gewalt). Besonderes Augenmerk richtete die Verfasserin auf die Rechtsstellung der „Mischlinge“, die nur dann als solche galten, wenn sie nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde waren, und auf die „Mischehen“, von denen 1939 noch etwa 15.000 bestanden (gegenüber 35.000 Ehen 1933; S. 86f.). 1938 erfolgte dann eine Unterteilung in privilegierte und nicht privilegierte deutsch-jüdische Ehen. Eheschließungen zwischen einem „Mischling“ ersten Grades und einem nichtjüdischen Partner waren so gut wie ausgeschlossen, da die Anträge auf eine gesetzlich mögliche Aussagegenehmigung abgelehnt wurden (S. 309ff.). Zu dem Abschnitt über die Justiz stellt die Verfasserin zunächst fest, dass von 16.000 von den Staatsanwaltschaften der Landgerichte eingeleiteten Ermittlungen gegen „Rassenschänder“ es nur in 16% der Fälle zu einer Anklage kam. Insgesamt wurden bis Mitte 1943 mehr als 2.000 Männer wegen Verstoßes gegen das Blutschutzgesetz verurteilt. Die Verfasserin geht detailliert auf die Rolle der Staatsanwaltschaft ein, die der Kontrolle des Reichsjustizministers unterlag, anschließend auf die äußerst eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten insbesondere für jüdische Angeklagte und auf die „Experten vor Gericht“ (Sachverständige zur Feststellung der jüdischen Identität des Angeklagten oder der beteiligten Partner). Besonderes Interesse kann der Abschnitt über die Revisionsentscheidungen des Reichsgerichts beanspruchen. Über die 33 in der Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen enthaltenen Entscheidungen hinaus zieht die Verfasserin erstmals auch die unveröffentlichten Urteile des Reichsgerichts aus der vom Bundesarchiv Berlin verwahrten Urteilssammlung[2] (in Einzelfällen auch Heranziehung der Revisionsakten mit evtl. Voten der Berichterstatter) heran. Von den von der Verfasserin ausgemachten 328 Revisionen sind 165 verworfen worden, 163 führten zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils. Die Verfasserin hat insgesamt für ihre Untersuchungen 79 Fälle berücksichtigt, bei denen in 29 Verfahren die Angeschuldigten ihre Revisionsanträge durchsetzen konnten. Die Urteile werden nach folgenden Gesichtspunkten besprochen: Feststellung der rassischen Identität der Opfer (insbesondere von „Mischlingen“), Strafmaß, Definition des Geschlechtsverkehrs (hier Erörterung einer Entscheidung des 2. Strafsenats vom 14. 9. 1938[3], die zur Korrektur eines Freispruchs führte: „Dass es zu keiner Berührung des Körpers gekommen ist, schließt die Annahme eines Geschlechtsverkehrs nicht aus“). Mit dem Verzicht auf die genaue Fixierung des „Geschlechtsverkehrs“ hat das Reichsgericht, so die Verfasserin (S. 387) „einer umfassenden Kriminalisierung der privaten Kontakte von Deutschen mit der jüdischen Minderheit Vorschub geleistet und der nach Erlass der Nürnberger Gesetze florierenden Denunziationspraxis Tür und Tor geöffnet“. Der letzte Abschnitt des Justizkapitels befasst sich mit den verhängten Strafen und der Strafvollstreckung. Ab 1937 wurden fast alle aus der Strafhaft entlassenen Juden der Gestapo überwiesen.

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einer Schlussbetrachtung („Rassenschande“ – Vom Reinheitsmythos zum Vernichtungsantisemitismus) und mit einem Tabellen- und Dokumentenanhang (u. a. Wiedergabe von zwei Urteilen; Tabelle über die Zahl der Revisionsentscheidungen des Reichsgerichts in „Rassenschande“-Fällen). Leider fehlt dem Werk ein Namens-, Sach- und Entscheidungsregister (besonders für die benutzten Reichsgerichtsentscheidungen), das zur Erschließung der von der Verfasserin herangezogenen Materialien sehr nützlich gewesen wäre[4]. Mitunter geht die Verfasserin – aus rechtshistorischer Sicht – wenig präzise auf den Tatbestand und die rechtlichen Grundlagen der zitierten Urteile näher ein. Insbesondere bei den Todesurteilen wäre dies angebracht gewesen. Auch vermisst der Leser vor allem für die Reichsgerichtsentscheidungen Hinweise darüber, inwieweit die behandelten Urteile veröffentlicht worden sind. Auf S. 99f. wird nicht klar zwischen Eheanfechtung bzw. Eheaufhebung und Ehescheidung im rechtstechnischen Sinne unterschieden. Insgesamt dürften sich sozialhistorische Fragestellungen und juristische Detailgenauigkeit, worunter nicht Einzelfragen der Rechtsdogmatik zu verstehen sind, nicht ausschließen, sondern noch aussagekräftigere Ergebnisse ermöglichen. Trotz dieser Einschränkungen liegt mit dem Werk Przyrembels eine erste zusammenfassende sozial- und mentalitätsgeschichtliche Analyse der zahlreichen Facetten der strafgerichtlichen und polizeilichen Verfolgung des Straftatbestandes der „Rassenschande“ vor, die eines der bedrückendsten Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte darstellt.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert



[1] Die Erst- und Zweitfassung des Protokolls der genannten Sitzung findet sich bei J. Regge/W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abt. Bd. 2, 2, Berlin, New York 1988, 219 ff., 223 ff.

 

[2] Eine weitere, nach Senaten geordnete Urteilssammlung befindet sich in der Bibliothek des Bundesgerichts in Karlsruhe; hier auch die von der Verf. im BA vermissten Urteile des 6. Strafsenats (für Österreich); Veröffentlichungsnachweise bei D. Bahrenfuss in: Schubert/Glöckner, Nachschlagewerk des Reichsgerichts zum Strafrecht, Bd. 3, 1997, S. 994 ff.

 

[3] Veröffentlicht in „Höchstrichterliche Rechtsprechung“ 1939 Nr. 1326 (vgl. hierzu Schubert/Glöckner, a.a.O. [o. Anm. 2], S. 709 ff.).

 

[4] z.B. ist das S. 371 zitierte Urteil vom 31.5.1937 in RGSt 71, 244 abgedruckt.