Nuzzo, Luigi, Bibliographie der Werke Karl Josef Anton
Mittermaiers (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 172 = Juristische
Briefwechsel des 19. Jahrhunderts). Klostermann, Frankfurt am Main 2004. VI,
138 S.
Karl Josef Anton
Mittermaier (1787-1867) war ein Autor von geradezu überwältigender
Produktivität. Der Nachwelt hinterließ er über dreißig selbständig erschienene,
zum Teil mehrbändige Werke und eine Fülle von Beiträgen zu deutschen und
ausländischen Zeitschriften. Levin Goldschmidt (1829-1897), der bei
Mittermaiers Tod eine erste ausführliche Werkübersicht gab, schätzte die Zahl
der Aufsätze auf mindestens 600 (Archiv für die civilistische Praxis 50 [1867]
417ff.). „Seine Feder flog über das Papier“ - so berichtet der Enkel Wolfgang
Mittermaier (1867-1956) nach familiärer Überlieferung -, und wenn er
morgens zum Frühstück gerufen wurde, habe er oft bereits einen Aufsatz
geschrieben (bei W. Küper [Hg.], Heidelberger Strafrechtslehrer im 19.
und 20. Jahrhundert, 1986, S. 56ff.). Schon Zeitgenossen bewunderten die rasche
und vielseitige Produktion. So schrieb Rudolf von Gneist (1816-1895) am
24. 5. 1857 an Mittermaier: „Was ich aber ... kaum begreife, ist die
Schnelligkeit der Verarbeitung und die Fruchtbarkeit einer Tätigkeit, mit der
Sie stets fertig mitten in der Gegenwart stehen und alle jüngeren Arbeitskräfte
überflügeln und beschämen“ (E. J. Hahn [Hg.], Briefwechsel Karl Josef
Anton Mittermaier - Rudolf von Gneist, 2000, S. 111; dazu W. Küper, ZRG
Germ. Abt. 118 [2001] 750ff.).
Nach seiner -
beinahe missglückten - Heidelberger Dissertation „De nullitatibus in causis
criminalibus“ (1809) verfasste Mittermaier in kurzer Zeit zunächst eine Reihe
von Monographien, z. B. ein zweibändiges „Handbuch des peinlichen Prozesses“
(Bd. I, 1811; Bd. II, 1812), eine „Einleitung in das Studium der Geschichte des
germanischen Rechts“ (1812) und eine „Anleitung zur Verteidigungskunst im
Kriminalprozess“ (1814; 4. Aufl. 1845; italienische Übersetzung 1858). Sein erstes
Buch über die „Theorie des Beweises“ (1809) konnte freilich wegen Bankrotts des
Mannheimer Verlegers erst 1821 in einem Darmstädter Verlag erscheinen und
erhielt 1834 unter dem Titel „Die Lehre vom Beweise im deutschen Strafprozesse“
seine endgültige Fassung. Das Buch wurde ins Französische, Italienische und
Spanische übersetzt. Auch nach Mittermaiers Tod erschienen mehrere
Übersetzungen, die letzte (spanische) 1979. Goldschmidt hatte noch zwei
frühe Monographien aus den Jahren 1813 und 1814 in Erinnerung, die offenbar
verschollen sind.
1816 setzt dann,
mit einem Aufsatz in Savignys „Zeitschrift für geschichtliche
Rechtswissenschaft“, der breite Strom der Zeitschriftenbeiträge ein, der bald
die Grenzen der deutschsprachigen Periodika überschreitet. Mittermaier
publiziert - auch mit Übersetzungen deutscher Aufsätze - in französischen,
englischen, amerikanischen und
namentlich in italienischen Zeitschriften. Er wird bald zum bekanntesten
deutschen Juristen in der Welt, und er „inszeniert“ auch den wachsenden Ruhm im
Ausland. In den bedeutenden Rechtszeitschriften Deutschlands ist er als Autor,
Mitherausgeber oder Mitbegründer ohnehin nahezu überall präsent, etwa im
„Archiv für die civilistische Praxis“, in der „Kritischen Zeitschrift für
Rechtswissenschaft und Gesetzgebung“, der „Kritischen Vierteljahresschrift für
Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“, in den „Heidelberger Jahrbüchern“ und
nicht zuletzt in strafrechtlichen Organen: „Allgemeine deutsche
Strafrechtszeitung“, „Gerichtssaal“, „Hitzigs Annalen“, „Neues Archiv des
Criminalrechts“, „Zeitschrift für deutsches Strafverfahren“. Dies sind nur
einige Beispiele. Als der Berliner Obertribunalsrat Theodor Goltdammer
(1801-1872) sein „Archiv für preußisches Strafrecht“ gründet (1853), gehört
Mittermaier sogleich zu den Autoren des ersten Heftes; er veröffentlicht im
Archiv bis kurz vor seinem Tod dreizehn überwiegend mehrteilige Aufsätze (dazu W.
Küper, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 150 [2003], 517).
Und Mittermaier
reproduziert sein Aufsatzwerk in ausländischen Zeitschriften. Ein im „Archiv
des Criminalrechts“ veröffentlichter Artikel über den Einfluss der Trunkenheit
auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit erscheint in den toskanischen
„Annali di Giurisprudenza“, den belgischen „Archives de Droit“ und im Bostoner
„American Jurist“ - der Beginn eines weitreichenden Reproduktionsprozesses
seiner juristischen Texte. Mittermaier schreibt viel, gibt weitere Monographien
heraus, bearbeitet die drei letzten Ausgaben des Feuerbach’schen
Strafrechtslehrbuchs (12. Aufl. 1836 bis 14. Aufl. 1847). Doch sind es vor
allem die Zeitschriftenartikel, Rezensionen und Übersetzungen, die sich in
Europa und jenseits des Atlantik vermehren, seinen Ruhm in der westlichen Welt
verbreiten: die „Durchsetzung eines neuen Organisationsmodells des rechtlichen
Wissens“ (L. Nuzzo, Einleitung zu diesem Band, S. 5).
Die von Nuzzo
vorgelegte Bibliographie der Werke Mittermaiers ist Nebenprodukt eines Projekts
des Frankfurter Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, das der
Publikation von Mittermaiers erreichbarer Korrespondenz gilt. Zwischen seinem
veröffentlichten Werk und dieser Korrespondenz bestehen enge Beziehungen. Ein
weitverzweigtes, einzigartiges „Netzwerk“ von Briefpartnern - Theoretikern,
Praktikern, Politikern - im In- und Ausland nutzte Mittermaier zur Beschaffung
von Materialien: Gesetzen, Entwürfen, Parlamentaria, Statistiken,
Erfahrungsberichten, Büchern, Zeitschriftenartikeln, und er verarbeitete seine
briefliche Ausbeute wiederum in seinen Aufsätzen und eigenen Büchern. So
entstanden manche Beiträge mit den für Mittermaier charakteristischen
ausladenden Titeln, wie z. B. „Über die neuesten Fortschritte der
Strafgesetzgebung des Auslandes, mit einer prüfenden Darstellung des
Strafgesetzbuchs für Brasilien, des Strafgesetzbuchs für Griechenland, der
Entwürfe zu Strafgesetzbüchern für das Königreich Belgien und für das
Königreich Norwegen, sowie der amerikanischen Strafgesetzbücher für New-York
und New-Jersey, des Strafgesetzbuchs von Schaffhausen und des Entwurfs eines
Strafgesetzbuchs für die eidgenössischen Truppen“ (1835).
Eine verlässliche
Mittermaier-Bibliographie hat neben den monographischen Werken vor allem die
vielfältigen, kaum mehr überschaubaren Zeitschriftenbeiträge zu dokumentieren.
Dies ist in dem hier vorgelegten Buch - zum ersten Mal - mit außerordentlicher
Sorgfalt geschehen. Der Verfasser hat ungefähr 40 in- und ausländische
Zeitschriften nach den Spuren von Mittermaiers Publikationen durchforscht und
dabei nahezu alle in Betracht kommenden deutschen und italienischen Periodika
berücksichtigt. Gewisse Vorbehalte macht er namentlich für Frankreich, und
keinen Zugang hatte er zu russischen, holländischen und nordeuropäischen
Zeitschriften, die aufgrund der Korrespondenz Publikationen Mittermaiers
vermuten lassen. So konnte „absolute Vollständigkeit“, die bei Mittermaier
ohnedies eine Illusion wäre, nicht erreicht, aber die bisher umfassendste
Bibliographie erarbeitet werden.
Mittermaiers
Publikationen, einschließlich der Übersetzungen, postumen Veröffentlichungen,
Nach- und Neudrucke, sind ab 1809 in chronologischer Reihenfolge nach den
Erscheinungsjahren bibliographisch exakt verzeichnet. Auf spätere Auflagen wird
ebenso wie z. B. auf Übersetzungen schon bei der ersten Erwähnung hingewiesen;
der Leser findet sie dann genauer unter der jeweiligen Jahreszahl. Eine
instruktive publikationsgeschichtliche Einleitung, der weitere Details zum
Aufbau der Edition zu entnehmen sind, ein der Dokumentation vorangestelltes
Abkürzungsverzeichnis zu den recherchierten Zeitschriften, ein Personen- und
Ortsregister sowie ein Sachverzeichnis vervollständigen den Band. Damit liegt
nunmehr ein vielseitig nutzbarer, zuverlässiger „Cicerone“ durch das gewaltige
publizierte Lebenswerk Mittermaiers vor, der nahezu 1000 Veröffentlichungen
erfasst. Er kann mit relativ geringer Mühe auch in einen thematischen Führer zu
den von Mittermaier behandelten Gegenständen verwandelt werden. Die
Bibliographie verzeichnet zuletzt die 1988 erstmals veröffentlichte, in der
Landshuter Studienzeit 1807 entstandene, im Nachlass wiederentdeckte
Jugendschrift „Über die Prinzipien des sogenannten Naturrechts“ (in: W.
Küper [Hg.]. Carl Joseph Anton Mittermaier, Symposium 1987 in Heidelberg,
Vorträge und Materialien, 1988, S. 167ff., mit Beiträgen dazu von S. W. Neh,
S. 245ff., und M. Maiwald, S. 263ff.).
Heidelberg Wilfried
Küper