Neugebauer,
Wolfgang, Die Hohenzollern. Band 2 Dynastie im
säkularen Wandel. Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert (= Urban-Taschenbuch
574). Kohlhammer, Stuttgart 2003. 233 S.
Biographien haben, nachdem sie auch
nach dem Zusammenbruch der totalitären Systeme noch lange im Abseits standen, wieder Konjunktur. Das von Hans Magnus Enzensberger
begründete „Kursbuch“ stand mit seinem im Juni 2002 erschienenen Heft 148 unter
dem Titel: ,Rückkehr der Biographien’.
In der von Wolfgang Neugebauer
vorgelegten Darstellung wird keine Biographienreihe im engen Sinne geboten. Es
werden Epochen, Entwicklungen und Problemfelder der Geschichte Preußens und der
Hohenzollerndynastie ausgeleuchtet, die nicht identisch, aber untrennbar
verbunden waren; dabei stehen die Dynastie und die Dynasten mit ihrem
persönlichen Regiment im Mittelpunkt. Das konzeptionell und methodisch komplexe
Problem ist mit einem flexiblen begrifflichen Instrumentarium überzeugend
gelöst. Die Darstellung folgt der Chronologie und ist in sieben Kapitel
gegliedert (I. Preußen unter Friedrich II., II. Die Jahrzehnte der
Revolutionen, III. Die relative Einheit der Hohenzollern im 18. Jahrhundert,
IV. Reform - Neoabsolutismus - Revolution, V. Konstitutionalismus und
Reichsgründung, Vl. Die Hohenzollern im Kaiserreich, VII. Exil - Restauration -
Resignation).
Auf einige der erörterten, besonders für die Verfassungsgeschichte wichtige
Themenfelder soll hingewiesen werden. Die Verschiedenheit König Friedrich
Wilhelm I. und des Kronprinzen Friedrich II. gab „Anlass zu einem der
schwersten Generationenkonflikte im Hause der Hohenzollern und war nicht
untypisch für die Zeit der großen Dynastien der Neuzeit“ (S. 10). Der
Aufklärung und der von ihr begleitete Rationalisierung der Herrschaft, als
deren Folge die Erosion des Gottesgnadentums wahrgenommen wird, entsprach noch
kein Macht- und Bedeutungsverlust der Dynastien, wie die noch lange wirksame
diplomatische Praxis eigenhändiger Dynastenkorrespondenz zeige. Die ritterliche
Art, mit der Kaiser Napolen III. nach seiner Gefangennahme am 2. September 1870
nach Deutschland geleitet wurde, markierte ein zu Ende gehendes Zeitalter
dynastischer Staatenbeziehungen.
Der Verfasser zeigt, dass die
Geschichte der Hohenzollern „auch nach 1740 nicht ohne Einbeziehung des
Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und seines differenzierten
Regionalismus von kaisernahen und kaiserfernen Zonen nicht verstanden werden
kann. Die These von Friedrich als ewigem Reichszerstörer greift zu kurz und
verallgemeinert ... Phasen antireichischer Aggression Preußens nach 1740. ...
Phasen der Reichsferne wechselten früh mit solchen, in denen Friedrich das
Reich respektierte - dies ist ein Grundzug seiner Politik von Anfang an. Das
habsburgische Kaisertum wollte er seit 1745 aber im Prinzip nicht antasten. Vor
allem in der Spätphase friderizianischer Reichspolitik wuchs in Berlin die
Sensibilität für den Wert des Alten Reiches. ... Die Behauptung, „dass das
Heilige Römische Reich deutscher Nation am preußisch-österreichischen Dualismus zerbrochen“ wäre, sei nicht aufrechtzuerhalten
(S. 45f.).
Auch das „persönliche Regiment“ des
Königs, seine sich verändernde Wirkungsweise, seine Reichweite und die
Einflüsse einer sich institutionalisierenden „Kamarilla“, schließlich die
Einflussmöglichkeiten und die Verwendung von Verwandten des Königs bilden
wichtige Themen des Buches.
Die denkbar unbestimmt gehaltene
Kaiseridee von 1870/71 hätte im Süden und Westen des Reiches nach
sechzigjährigem Traditionsbruch einer Wiederbelebung entgegensehen können. Dem
standen aber im altpreußischen Nordosten konservativ partikularistische
Traditionen entgegen, für die „das Nationale bestenfalls zweitrangig war, wenn nicht
politisch verdächtig“ (S. 162). Die politisch dominant werdenden Liberalen
hätten wie auch Wilhelm I. selbst jedem Kontinuitätsgedanken distanziert
gegenübergestanden. Den Titel „Deutscher Kaiser“ habe auch Bismarck
uninterpretiert gelassen. Gewiss wurde zur Eröffnung des Reichstages am 21.
März 1871 der Goslarer Kaiserstuhl aus dem 11. Jahrhundert herbeigeholt, auch
wurden Attribute des alten Kaisertums in das neue Wappen eingefügt, doch habe
das neue Reich sich damit nicht in die Tradition des alten gestellt. Auch
hätten partikularistische Interessen der Bundesfürsten ein mit einem
Großpreußen identisches Reich verhindert. Erst im Ersten Weltkrieg sei „die
preußische Hegemonie vom Eigengewicht der Reichsinteressen überlagert“ worden
(S. 164).
Zur Etablierung eines eigentlichen
Reichshofes mit einem kaiserlichen Hofstaat sei es nie gekommen. Der Berliner
Hof habe bis zum Tode Wilhelms I. im europäischen Vergleich nicht viel
hergemacht. Der Aufstieg des Bürgertums bei Positionsbehauptung adeliger
Eliten, die allgemeine politische Tendenz zum Konstitutionalismus im Verein mit dem aufkommenden Nationalismus hätten die Rahmenbedingungen
monarchischer Herrschaft nicht nur in Preußen verändert. Gegen
wachsende Ansprüche auf politische Partizipation hätten die Monarchen ihre
Regierungsrechte verteidigt, durch stärkere Betonung höfischer Repräsentation
und die eine größere Öffentlichkeit erreichende Hofkultur die Herrschaft in
einer Zeit sozialen Wandels stabilisiert. Die Frage, wer hoffähig sei, sei
wichtig geworden, besonders für gesellschaftliche Aufsteiger, zumal die
sozialen Distanzen durch den Einstieg neuer, plutokratischer Elemente eher
größer geworden wären.
Anders als sein Großvater habe erst
Wilhelm II. sein Amt als das eines Reichsmonarchen aufgefasst. Doch seine
Autokratie sei nur eine scheinbare gewesen. Viele der in den Geschichtsbüchern
oft traktierten „Fehler“ des Kaisers seien nachweislich „nicht Ausfluss seines
persönlichen Regimentes, sondern ganz im Gegenteil Resultat falscher Beratung“
gewesen (S. 180). Manchmal kommen wichtige Erkenntnisse beiläufig daher.
Das „trübe Kapitel der Jahre ab 1918“
wurde vom Verfasser angemessen miteinbezogen.
Stammtafeln, ein ballastfreies
Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Namensregister erleichtern die
Benützung des Buches, dessen ebenso sensible wie begrifflich präzise Sprache
auch einen in älteren Zeiten beheimateten Historiker zum Weiterlesen über das
Jahr 1806 hinaus veranlassen kann.
Erlangen Alfred
Wendehorst