Nawotki, Kathrin, Die schleswigsche
Deichstavengerechtigkeit. Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart: Eine
gewohnheitsrechtliche Superfizies an nordfriesischen Deichgrundstücken und ihre
Entwicklung (= Rechtshistorische Reihe 282). Lang, Frankfurt am Main 2004. 236
S.
Die von Jörn Eckert betreute
Kieler rechtswissenschaftliche Dissertation befasst sich mit einer bis dahin
– außerhalb Nordfrieslands – völlig
unbekannten und vor allem unerforschten Einrichtung, die seit der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts in Gebrauch gekommen ist und im Rahmen von Art. 184
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896 bis in die Gegenwart
fortlebt. Die Stavengerechtigkeit, die sich in den Deichkögen nördlich von
Husum bis Hoyer (Dänemark) findet (S. 51-56), ist das dingliche Nutzungsrecht
an einem Deichgrundstück, das auf einem hinter dem Seedeich gelegenen, alten
Mitteldeich liegt und das im Eigentum der Deichkorporation, des Kooges, steht.
Das Stavenrecht gewährt das vererbbare, übertragbare, teilbare und belastbare
Recht, auf einem bestimmten Deichstück ein Gebäude errichten und unterhalten zu
dürfen (S. 61). Die Bezeichnung leitet sich von dem sowohl im Nordfriesischen
und im Dänischen als auch im Mittelniederdeutschen vorkommenden stave oder stove ab und meint das mit einem Haus bebaute Grundstück (S. 47f.).
Die Stavengerechtigkeit ist eine Superficies (S. 102f., Anhang: S. 228), die
sich allerdings von der gemeinrechtlichen dadurch unterscheidet, dass der
Stavenberechtigte Eigentümer des von ihm oder seinem Vorgänger errichteten
Gebäudes ist (S. 49, 114f.).
Die Deichstavengerechtigkeit ist als
Gewohnheitsrecht überliefert und nicht in einem der nordfriesischen Landrechte
(S. 27f.) oder der allgemeinen Deichordnung (Spade-Landesrecht) behandelt und auch nicht zum Gegenstand der
herzoglichen oder königlichen Deichgesetzgebungen (S. 28f.) gemacht worden (S.
49ff.). Über den Inhalt des Stavenrechts geben (bis heute) die Stavenbriefe
Auskunft, die vom Eigentümer des Deiches nach der Bestellung der Gerechtigkeit
und sodann nach jedem Wechsel des Inhabers infolge Erbfolge oder Veräußerung
ausgestellt wurden (S. 56f., 61, 79f., 136f., 141ff., Quellenanhang: 214-227).
Der älteste überlieferte Stavenbrief stammt aus dem Jahre 1687 (S. 50, 214).
Auf Grund der eingehenden Untersuchung
der archivalisch überlieferten Stavenbriefe ist die Verfasserin in der Lage,
erstmals ein umfassendes und genaues Bild über die rechtliche Ausgestaltung der
nordfriesischen Deichstavengerechtigkeit als superficiarisches Nutzungsrecht zu
geben (S. 49-80).
Die Stavengerechtigkeit ist
gekennzeichnet durch die untrennbare rechtliche Verbindung von Stavenrecht und
dem auf dem Deichgrundstück errichteten Bauwerk. Die Gerechtigkeit erlischt mit
dem Untergang des Gebäudes (S. 61, 62, 95). Davon abgesehen wird das
Stavenrecht ohne jede zeitliche Begrenzung bestellt. Nur in seltenen Fällen
findet sich eine Beschränkung auf die Lebenszeit des Stavenrechtsinhabers mit
der rechtlichen Aussicht auf Rechtserneuerung für den Erben. Dahinter steht das
Interesse des Kooges als Deicheigentümer, auf die Rechtsnachfolge im Erbfall Einfluss
nehmen zu können (S. 62f.). Für den Fall der Veräußerung des Stavenrechts wird
nicht selten ein Näherkaufs- oder Beispruchsrecht, später ein Vorkaufsrecht des
Koogs als Grundstückseigentümer festgelegt (S. 62f.). Diese Beschränkungen der
Vererblichkeit und Veräußerbarkeit der Stavengerechtigkeit bestehen vor allem
im Interesse der dem Staveninhaber obliegenden wichtigen Deich- sowie
Wegeunterhaltungspflicht (S. 65f., 66). Für das dingliche Nutzungsrecht war vom
Stavenrechtsinhaber eine jährliche Rekognition oder ein Stavengeld an den Koog
als Eigentümer des Deiches zu entrichten (S. 67, 71-79). Die Höhe des
Nutzungsentgelts, die in Folge der unterschiedlichen Währungsangaben und der
unvollständigen Maßangaben in den Stavenbriefen von der Verfasserin nur unter
Überwindung von Schwierigkeiten ermittelt werden konnte (S. 68f., 70f.), ist
unterschiedlich in den einzelnen Kögen. Sie reicht im 18. Jahrhundert von 2 2/3
bis 4 Reichstaler jährlich für etwa einen Hektar (ca. 10.000 Quadratmeter)
Deichland (S. 72, 74; 232). Der Kaufpreis für Haus- und Ackergrundstücke lag
demgegenüber im 17. und 18. Jahrhundert in den Kögen Nordfrieslands zwischen
200 und 400 Reichstaler für einen Hektar (S. 59 Fn. 299). Im 19. Jahrhundert
wurde das Stavengeld gelegentlich erhöht oder überhaupt erst erhoben, wenn die
Wegeunterhaltungspflicht durch den Bau von Chausseen in Fortfall gekommen war
(S. 75f.). In Notfällen wurde die Zahlung des Stavengeldes zeitweilig reduziert
oder erlassen (S. 79). Als Freistaven werden Deichgrundstücke bezeichnet, deren
Staveninhaber kein Stavengeld zu entrichten hatte, da er eine Mühle oder eine
Gastwirtschaft betrieb (S. 78f.). Über die durchschnittliche Größe der
Stavengrundstücke kann die Verfasserin keine Angaben machen (vgl. S. 71).
Aus den Stavenbriefen ergibt sich, dass
vornehmlich Handwerker, nämlich Zimmerleute, Tischler, Maler, Schmiede und
Schuhmacher, ferner Müller und Gastwirte und schließlich auch Tagelöhner und
Arbeiter Deichstavengerechtigkeiten erworben hatten. Daneben wurden auch
Pastorate, Schulen und Armenhäuser auf Deichstaven errichtet (S. 58). Die Verfasserin
hebt zutreffend hervor, dass die Bestellung von Deichstavenrechten in etwa
parallel verläuft zur Landgewinnung und -sicherung durch die Anlage neuer,
immer weiter vorgeschobener Seedeiche. Der dadurch erfolgte Landausbau
erforderte auch die Schaffung einer gewerblichen und einer gemeinnützigen Infrastruktur
für die neu angesiedelten oder erweiterten landwirtschaftlichen Hofstellen. Für
die Ansiedlung von Handwerkern und Tagelöhnern, für die Errichtung von
Pastoraten, Schulen oder Armenhäusern war das eingedeichte Acker- und Weideland
zu kostbar. Infolgedessen bot es sich an, die zu Mitteldeichen gewordenen
ehemaligen Seedeiche, die im Eigentum des Kooges standen (S. 43, 45) und die
weiterhin zum Schutze von Menschen und Vieh in Haus und Hof notwendig waren,
als mit der Deich- und Wegeunterhaltungspflicht belastete Bau- und
Hausgrundstücke im Rahmen eines dinglichen Nutzungsrechts zur Verfügung zu
stellen (S. 59f.).
Deichstavengerechtigkeiten wurden auch
während des 19. Jahrhunderts neu bestellt (S. 95, 97). Das führt die Verfasserin
zu der Frage, wie diese Praxis mit der Regelung im Allgemeinen Deichreglement für die sämtlichen Marschkommünen, adelichen
Marschgüter und octroyirten Koege in den Herzogtümern vom 6. April 1803
(Anhang: S. 180-194) zu vereinbaren war (S. 84-97). Das Deichreglement bestimmte,
dass Häuser, Katen und sonstige Gebäude auf
und unter dem Deiche künftig nicht errichtet werden dürfen, dass aber
bereits errichtete Gebäude bis weiter stehen bleiben mögen (§ 36). Aus den
untersuchten Akten ergibt sich, dass die Deichgrafen als untere Deichbehörden
darin nur ein Verbot für die Bebauung von Seedeichen erblickten (S. 86), so
dass neue Stavengerechtigkeiten an Mitteldeichen weiterhin bestellt werden
konnten. Die teilweise anscheinend abweichenden generellen Auffassungen der
übergeordneten Deichbehörden (S. 87ff.) beeinflussten diese Praxis indes nicht
(S. 95, 97). Die in diesem Zusammenhang von der Verfasserin breit vorgetragenen
Überlegungen zur historischen, systematischen und teleologischen Auslegung von
§ 36 des Deichreglements von 1803 sind nur als ein Exkurs zu betrachten (S.
91-94), auch wenn das Deichreglement bis 1960 in Schleswig-Holstein gegolten
hat (S. 30-34, 97ff.). Für die Anwendung der Regelungen im Deichreglement
während des 19. Jahrhunderts sind allein die Auffassungen der Zeitgenossen, wie
sie sich in der Praxis niedergeschlagen haben, Maß gebend und zwar auch dann,
wenn sie auf Irrtümer zurückzuführen sein sollten. Im Übrigen ist auch zu
bedenken, dass in Anbetracht von Art. 55, 184 Einführungsgesetz zum
Bürgerlichen Gesetzbuch seit dem 1. Januar 1900 neue Deichstavengerechtigkeiten
ohnehin nicht mehr begründet werden können (S. 109, 111, 123), so dass eine auf
die Gegenwart bezogene Auslegung des Deichreglements sich in diesem
Zusammenhang erübrigt.
Überzeugend arbeitet die Verfasserin
heraus, dass unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896 die vorher begründeten
Deichstavenrechte im Rahmen von Art. 184 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen
Gesetzbuch als fortbestehende Erbbaurechte anzusehen sind, für welche die
Bestimmung des § 1017 Bürgerliches Gesetzbuch gilt (S. 111-123). Allerdings
hätte noch ein wenig mehr dazu gesagt werden können, welche Bedeutung es für
die Einordnung des Stavenrechts als altrechtliches Erbbaurecht im Rahmen von
Art. 184 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch hat, dass die
Deichstavengerechtigkeit, anders als es § 1016 Bürgerliches Gesetzbuch
vorschreibt, mit dem Untergang des Gebäudes erlischt und folglich unter einer
auflösenden Bedingung (vgl. § 1 Abs. 4 Erbbaurechts-Verordnung von 1919) bestellt
wird (S. 119 u. Fn. 721).
Auf die über 170 bis heute
fortbestehenden Stavenrechte (S. 55, 131) finden ergänzend zum Inhalt der
Stavenbriefe, die bei jeder Rechtsnachfolge neu ausgestellt werden (S. 135, 142f.),
die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über Erbbaurechte (§§ 1012-1017)
Anwendung (S. 116-120, 133f.). Wie für Erbbaurechte wird für
Deichstavengerechtigkeiten – wie bereits bei Anlegung der Grundbücher im Jahre
1879 – ein besonderes Grundbuchblatt angelegt (S. 101ff., 121f., 126). „Neue
Stavenrechte“ können nur als Erbbaurechte bestellt werden, für die, wenn sie
nach 1919 eingeräumt wurden, die Verordnung über das Erbbaurecht gilt (S. 119,
vgl. auch S. 134).
In der Gegenwart beträgt das jährliche
Stavengeld für fortgeltende Stavengerechtigkeiten zwischen 75,- und 165,-
Deutsche Mark, in einem Koog seit 1998 sogar 500,- Deutsche Mark pro Hektar
Land (S. 72, 74, 76 ff.). Überzeugend weist die Verfasserin nach, dass die
Grundsätze, die der Bundesgerichtshof über die Anpassung des Erbbauzinses bei
Erbbaurechtsverträgen ohne Zinsanpassungsklausel entwickelt hat, auch auf die
Stavengerechtigkeiten angewandt werden können, so dass unter den von der
Rechtsprechung festgelegten Voraussetzungen eine angemessene Erhöhung des
Stavengeldes möglich ist (S. 149-152).
Im 20. Jahrhundert entwickelte sich für
den Staveninhaber die Möglichkeit, die Deichstavengerechtigkeit gegen Zahlung
des 25fachen jährlichen Stavengeldes abzulösen und das Stavengrundstück gem. §§
873, 925 Bürgerliches Gesetzbuch vom Koog als Eigentum zu erwerben (S. 129-132,
153f.). Das setzt allerdings voraus, dass der betreffende Mitteldeich in der
dritten Deichlinie liegt und durch Entwidmung Deichschau frei geworden ist (§
67 Abs. 3 schleswig-holsteinisches Wassergesetz von 1960).
Andererseits kann das Deichstavenrecht
durch Inhaltsänderung gem. §§ 877, 876 Bürgerliches Gesetzbuch in ein
Erbbaurecht nach der Erbbaurechts-Verordnung von 1919 umgewandelt werden, ohne
dass ein Anspruch auf eine Umwandlung besteht (S. 154-156, vgl. S. 134).
Breiten Raum widmet die Verfasserin der
grundsätzlich nicht unwichtigen Frage, welcher Rechtscharakter gegenwärtig dem
Stavenbrief beizulegen ist (S. 126-128, 135-148). Ausgangspunkt ist dabei die
in der Praxis strittig gewordene Frage, ob das Grundbuchamt gem. §§ 1017, 873,
925 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit §§ 13, 19, 20, 22
Grundbuchordnung im Grundbuch über das Stavenrecht eine Rechtsnachfolge bereits
eintragen darf, wenn der Erwerber noch keinen neu ausgestellten Stavenbrief
vorlegen kann (S. 128, 135). Zur Klärung der eingetretenen Zweifelsfrage
unternimmt die Verfasserin eine eingehende Würdigung der in der Vergangenheit
und in der Gegenwart geübten Rechtspraxis und stellt weiterhin eine
vergleichende Betrachtung anderer in Schleswig und Holstein bis ins 19.
Jahrhundert in Gebrauch befindlichen Urkunden über Hausgrundstücke
(Erbfestebrief, Eigenkaten-Hausbrief) an. Dabei gelangt sie zu dem überzeugend
dargelegten Ergebnis, dass die rechtliche Wirksamkeit weder der (in der
Vergangenheit liegenden) Bestellung noch der (gegenwärtigen) Übertragung einer
Stavengerechtigkeit erst durch die Ausstellung und Aushändigung des
Stavenbriefes begründet wird. Die Errichtung dieser Urkunde ist regelmäßig dem
Rechtserwerb nachgefolgt (S. 137-148). Der Stavenbrief ist demnach keine
konstitutive, sondern eine deklaratorische Urkunde. Die Verfasserin legt ihm
„nur noch die Funktion, die historische Komponente und lange Tradition der
Deichstavengerechtigkeit zu illustrieren,“ bei und plädiert deshalb entschieden
– auch zur Vermeidung nutzlosen Verwaltungsaufwandes – für einen künftigen
Verzicht auf die Ausstellung von Stavenbriefen (S. 148). Ob damit allerdings
der gewohnheitsrechtlich begründeten Beweisfunktion des Stavenbriefes, der eine
konkrete „schriftliche Fixierung der dinglichen Rechtsinhalte“ (S. 142) der nur
Observanz mäßig überlieferten Deichstavengerechtigkeit enthält, angemessen
Rechnung getragen wird, müsste noch einmal hinterfragt werden. Ohne die
Aussagen in den Stavenbriefen wäre es der Verfasserin wohl kaum gelungen, den
gegenwärtigen Rechtsinhalt des darin verbrieften dinglichen Nutzungsrechtes
vollständig zu erfassen.
Die Arbeit schließt mit einem sehr
nützlichen, umfangreichen Quellenanhang (S. 173-231).
Helmut Coing schreibt in seinem Europäischen
Privatrecht (Bd. I: 1500-1800, München 1985, § 61, S. 318), dass im Zeitalter
des Usus modernus der Superficies „größere praktische Bedeutung nicht
zugekommen ist“, und widmet ihr deshalb nur einen Satz. Das ist zutreffend,
wenn man das gesamte Verbreitungsgebiet des Ius commune ins Auge fasst. Für
eine erst im 17. Jahrhundert im ehemaligen Herzogtum Schleswig, das zum großen
Bereich der statutarischen Partikularrechte gehörte, neu entstandene und bis
heute fortlebende Superficies wird allerdings der Leser durch die gründliche
und Aufmerksamkeit verdienende Studie Kathrin Nawotkis eines Besseren
belehrt.
Hamburg / Quickborn (Holstein) Götz
Landwehr