Nachdenken über den demokratischen Staat und seine Geschichte. Beiträge für Alfred Kölz, hg. v. Häner, Isabelle. Schulthess, Zürich 2003. XVI, 358 S.

 

Die Schülerinnen und Schüler von Alfred Kölz haben aus Anlass des zwanzigjährigen Jubiläums als Ordinarius an der Universität Zürich diesen Sammelband verfasst. Der bedeutende Zürcher Staatsrechtler Alfred Kölz (*15. 5. 1944) ist am 29. Mai 2003 nach schwerer Krankheit durch einen Unfall verstorben (siehe die Nachrufe von Walter Haller in der NZZ vom 4. Juni 2003, Nr. 127, S. 17 und von Christoph Bandeli in der Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte 2003, S. 447ff.). Der Tod von Alfred Kölz hinterlässt eine große Lücke.

 

Der Sammelband enthält Beiträge aus dem thematisch reichen Wirken von Alfred Kölz. Die Herausgeberin hat dementsprechend den Band in vier Schwerpunkte gegliedert. Nach einer Einleitung von Tomas Poledna („Gedanken eines Grenzgängers“) folgen Abhandlungen über die historischen Grundlagen geltenden Verfassungsrechts (S. 23ff.). Moritz von Wyss untersucht die Namensabstimmung im Ständerat historisch (S. 23ff.), Susanne Kuster Zürcher befasst sich mit dem Recht auf Arbeit wie es bisher von drei Volksinitiativen vorgeschlagen wurde (S. 49ff.). Das Verhältnis vom Dringlichkeitsrecht (einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren, das bis 1949 die direkte Demokratie ganz auszuschalten vermochte und seither zu einem nachträglichen abrogativen Referendum führt) zur Demokratie analysiert Thomas Gächter (S. 75ff.). Ausserdem beschäftigen sich Andrea Töndury mit dem von der Bundesversammlung ungültig erklärten jurassischen Wiedervereinigungsartikel (S. 105ff.), Franz Kessler mit der Gemeindeautonomie im Kanton Zürich und schließlich Martin Bertschi mit der Vizepräsidentschaft in den USA (S. 155ff.).

 

Alfred Kölz hatte sich auch mit „Verfassungsrevisionen in Geschichte und Gegenwart (S. 185ff.) auseinandergesetzt. Unter dieser Überschrift wird ein weiterer Tätigkeitsbereich gewürdigt. Hier legen Hans Ulrich Ziswiler den Ausbau der Volksrechte in der Verfassung des Kantons Aargau von 1852 dar (S. 185ff.); die Herausgeberin Isabelle Häner beschäftigt sich mit dem privaten Verfassungsentwurf Kölz/Müller (zum Verfahren der Totalrevision der Bundesverfassung, 1999 erfolgreich zu Ende geführt, S. 215ff.) und schließlich untersucht Christina Bundi den Entwurf für eine neue Bünder Kantonsverfassung kritisch (S. 239ff).

 

Ein weiterer Schwerpunkt sind „Verfassungsdenker“ (S. 263ff.). Stefan Schmid behandelt dabei zu Recht Ludwig Snell und Paola Masoni Zaccaria Giacometti (S. 283ff.). Nachstehend sei beispielhaft L. Snell herausgegriffen. Alfred Kölz hat ihn wiederentdeckt und ausführlich behandelt. Es ist daher verdienstvoll, dass Stefan Schmid diesen wichtigen Denker aufgreift. Bei der Entstehung und Bildung der regenerierten Kantonsverfassungen hatte der in die Schweiz geflohene Deutsche Ludwig Snell (1785-1854) einen hervorragenden Einfluss. Snell stammte aus Nassau und war Gymnasialdirektor in Wetzlar und Publizist. 1827 siedelte er wegen der in Deutschland stattfindenden Demagogenverfolgungen nach Basel über, später wechselte er nach Zürich. Hier wurde er rasch zu einem einflussreichen Theoretiker der liberalen und radikalen Partei. In Zürich formulierte er 1830 wichtige politische Dokumente und Anfang Januar 1831 erschien sein liberaler Verfassungsentwurf für Zürich. Es handelt sich nach dem Urteil von Zeitgenossen um das Schlüsseldokument für die regenerierten Kantonsverfassungen: „Dieser Entwurf, der sehr reiches Material für die bevorstehenden konstituierenden und legislativen Arbeiten bot .... kann als Grundlage aller regenerierten Kantonsverfassung angesehen werden. ... In diesen Entwürfen finden wir das erste politische Glaubensbekenntnis L. Snells, dessen erster Versuch für die Schöpfung eines demokratischen Kulturstaates, der, wie er sich ausdrückte, an die Stelle des ‚heimlichen, durch die ganze Schweiz fortlaufenden aristokratischen Maulwurfsregiments, das sich nur durch einzelne Stösse kund gab‘, treten sollte“ (Dr. Ludwig Snells Leben und Wirken. Bearbeitet nach den von dem Verstorbenen hinterlassenen Papieren und Schriften von einem jüngeren Freunde desselben, Zürich, Verlag Meyer & Zeller, 1858, S. 66). Er konnte seine Ansichten vor allem als Redaktor der liberalen Zeitschrift „Der schweizerische Republikaner“ verbreiten. Er war 1833 Professor in Zürich und 1834-36 Professor in Bern. Er veröffentliche eine wichtige Sammlung von Verfassungstexten: Handbuch des schweizerischen Staatsrechts (2 Bände, Zürich 1837/44). 1848 verfasste er einen Beitrag über die „Leitenden Gesichtspunkte für eine schweizerische Bundesrevision“. Er starb 1854 mittellos in Küsnacht am Zürichsee, dessen Ehrenbürgerrecht er 1831 erhalten hatte.

 

Schließlich wird ein weiterer großer Schwerpunkt von Alfred Kölz‘ Schaffen hervorgehoben: das Verfahrensrecht (S. 299ff.). Helen Keller legt das Problem der Antiterrormaßnahmen und des damit verbundenen Verfahrensschutzes am Beispiel der Kontosperrung dar (S. 299ff.). Stefan Werenberg behandelt das Konkordat über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen (S. 337ff.). Schliesslich erörtert Martin Röhl den Rechtsschutz in der Zürcher Landeskirche (S. 337ff.).

 

Alle Beiträge sind sorgfältig recherchiert und denken die von Alfred Kölz angeregten und bearbeiteten Themen weiter. Der Herausgeberin ist zum Vorgehen zu gratulieren: Das breite Schaffen von Alfred Kölz hätte nicht besser in seinem Reichtum dargestellt und gewürdigt werden können. Es handelt sich um einen wertvollen Sammelband, der über das Persönliche hinaus, einen bleibenden Wert haben wird.

 

Bern                                                                                                               Andreas Kley