Murach-Brand, Lisa, Antitrust auf deutsch. Der Einfluss der amerikanischen Alliierten auf das GWB nach 1945 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 43). Mohr (Siebeck), Tübingen 2004. XIV, 403 S.
Das
Verhältnis von Politik und Wirtschaft ist seit je her ein Gebiet, auf dem
ideologische Kämpfe, versteckt hinter vermeintlichen Sachfragen, ausgetragen
werden. Selbst die unmittelbare Gegenwart erweist diese Problematik: je nach
Situation wird von der Politik ein Eingreifen oder dessen Unterlassen
gefordert; Hilfe auf gesetzlichem, noch nicht der Wirtschaft offenem, Gebiet,
oder auch Abschaffung, Abmilderung von Gesetzen. Selbst wenn die Politik allen
Wünschen der Wirtschaft nachkommt, ergibt sich immer noch kein Idealzustand,
weil sich die ökonomischen Verhältnisse viel schneller entwickeln als
irgendwelche Ordnungen wirken können. Ist dieses Zwei-Personen-Verhältnis schon
schwierig genug, kommt es zu geradezu unlösbaren Problemen, wenn aus dem
Zwei-Personen-Stück ein Drei-Personen-Stück wird, wobei jeder „Mitspieler“
eigene, von denen der anderen völlig abweichende Vorstellungen vertritt. Ein
derartiges Szenario liegt dem Buch von Murach-Brand zugrunde, das sich mit dem
Ringen um die Schaffung eines deutschen Kartellgesetzes nach dem II. Weltkrieg
befasst. Dieses „Ringen“ war von vielfältigen Einflüssen gekennzeichnet:
zunächst der politischen Situation nach der Besetzung Deutschlands; dann den
verschiedenen Interessen der vier Siegermächte; unterschiedlichen Konzeptionen
für ein Kartellgesetz; der fortschreitenden „Souveränität“ Westdeutschlands;
europäischer Rechtsetzung; kontinentalen versus US-amerikanischen
Vorstellungen; schließlich wiederum Wirtschaft gegen Politik. Im Grunde
genommen lassen sich diese Tendenzen auf zwei große Problemkreise zurückführen.
Zunächst musste geklärt werden, welchen Zwecken ein Kartellgesetz überhaupt
dienen sollte. Hier standen zunächst im Vordergrund die Erfahrungen mit der
Verflechtung zwischen Großkonzernen und dem NS-System und den daraus folgenden
friedensfeindlichen Folgen. Deshalb stand die sog. Entflechtung der
Großkonzerne anfangs im Vordergrund. Mit ihr sollten kriegstaugliche
wirtschaftliche Machtkonzentrationen ein für alle mal abgeschafft werden. Die
Sicherheitspolitik hatte also Vorrang vor der Wirtschaftspolitik. Der zweite
große Komplex, der die Diskussionen bestimmte, war die konkrete Ausgestaltung
eines Kartellgesetzes; hierfür können die Schlagworte „Verbotsgesetz“ oder
„Missbrauchsgesetz“ angeführt werden. Unmittelbar nach Kriegsende stand zwar
der Bestrafungsaspekt der Kartellpolitik im Vordergrund. Jedoch wurde bald
klar, dass dem ein in die Zukunft gerichtetes Regelwerk an die Seite gestellt
werden musste, um die Zusammenballung solcher „gefährlicher“ wirtschaftlicher
Macht zu verhindern. Und damit fingen die Schwierigkeiten an: jede der vier –
und selbst jede der drei westlichen – Siegermächte hatte eine andere
Vorstellung von Kartellpolitik. Konzentriert auf die drei West-Alliierten ergab
sich ein strikter Gegensatz zwischen der europäischen und der amerikanischen
Seite. Während letztere mit ihrem Antitrust-Gesetz Kartelle verboten hatte,
neigten die europäischen Mächte mehr einer nachträglich einsetzenden
Überwachung zu. Ein Vier-Mächte-Kartellgesetz kam daher nicht zustande; die
drei Westmächte erließen dann jeweils für ihre Zonen entsprechende Gesetze,
allerdings doch ausgehend vom Verbotsprinzip. Ab 1947 änderte sich die
Besatzungspolitik, von einer Bestrafung auf dem Gebiet der Wirtschaft ging sie
über zur Förderung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus; die Unterstützung des
besiegten Deutschlands war vor allem den USA schlicht zu teuer geworden und den
heimischen Steuerzahlern nicht mehr zu vermitteln. Damit hatte faktisch die
Entflechtung auch ein Ende genommen, auch wenn an bestimmten Großunternehmen
(Beispiel IG-Farben) ein Exempel statuiert worden war; rechtlich (und
politisch) blieb die Entflechtung weiterhin ein Programmpunkt. Ab 1949
schließlich wurde die Ausarbeitung eines Kartellgesetzes zwar in deutsche Hände
gelegt, die Kartellrechtspolitik blieb aber auch nach dem Besatzungsstatut
ausdrücklich den Besatzungsmächten vorbehalten. Damit hatten sie (d. h. im
wesentlichen die Amerikaner) die Möglichkeit, auf den Inhalt eines Kartellgesetzes
Einfluss zu nehmen; eine Möglichkeit, die sie bis zur Ausarbeitung des GWB auch
intensiv wahrnahmen. Die Folgezeit kann man nur als von ideologischen
Grabenkämpfen geprägt bezeichnen: die USA wollten partout ihre Vorstellungen
von einem Verbotsgesetz durchsetzen, die europäischen Verbündeten folgten dem
mehr oder minder verständnislos; ins Spiel gebracht wurde langsam auch die
europäische Karte, zunächst unter Hinweis auf die andersgeartete europäische
Tradition, dann auf den EGKS-Vertrag, der unter starkem amerikanischem Einfluss
ebenfalls vom Verbotsprinzip ausging. Die deutsche Seite ihrerseits stand
maßgeblich unter dem Einfluss ordoliberalen Gedankengutes, das zwar auch einem
Kartellverbot nahe stand, aber völlig andere wirtschafts- und gesellschaftspolitische
Vorstellungen verfocht als die USA mit ihrem Sherman Act. In diesem Streit
blieb die Industrie nicht untätig. Sie war strikt gegen ein gesetzliches
Kartellverbot und befürwortete die sog. Missbrauchslösung, also die
nachträgliche Beurteilung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und nicht
deren Vorab-Verbot. Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, dass dem GWB
insgesamt 17 Entwürfe vorangegangen sind, die entweder den Amerikaner nicht
weit genug oder der Wirtschaft zu weit gingen. Diesen hier nur kursorischen
Überblick über ein Musterbeispiel politischwirtschaftlicher Interessenpolitik
füllt die Verfasserin des Buches mit akribischen Darstellungen aus den Quellen.
Jede Stimme in dem großen Konzert wird eingebracht und gewürdigt, so dass eine
detailgenaue Schilderung auf dem spannungsgeladenen Feld von Politik und
Wirtschaft entstanden ist. Diesen überaus positiven Eindruck vermögen mehr oder
minder technische Mängel nicht zu beeinträchtigen: der Fehler auf dem
Titelblatt „Alliierten“ (mit einem „l“) geht wohl nicht zu ihren Lasten; die
Zentrale der IG-Farben lag nicht in Frankfurt-Höchst (dort hatten die Farbwerke
Hoechst ihren Standort), sondern im IG-Farben-Haus im Frankfurter Westend; was
das Corpus Juris und das gemeine römische Recht mit der deutschen
Kartellrechtsentwicklung zu tun haben, hat sich dem Rezensenten nicht unbedingt
erschlossen; das einseitige Kündigungsrecht für Kartellteilnehmer und das
Verbot von Vertragsstrafen waren keine amerikanische Erfindung, sondern Ansatzpunkte
der deutschen Rechtsprechung im 19. Jahrhundert, um kartellähnlichen
Zwangsverträgen beizukommen. Insgesamt liegt eine sehr verdienstvolle Arbeit
vor, aus der allerdings deutlich geworden ist: „Viele Köche verderben den Brei“
und Zweifel erwachsen, ob wirtschaftliche Prozesse tatsächlich gesetzlich erfasst
und geregelt werden können.
Frankfurt am Main Siegbert Lammel