Moriya, Kenichi, Savignys Gedanke im Recht des Besitzes (= Savignyana 6 = Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 164). Klostermann, Frankfurt am Main 2003. XII, 262 S.

 

Savignys „Besitz“ wird heute selten als dogmatisches und zumeist als methodisches Werk gelesen. Wieacker, Wesenberg und anderen zufolge verdanke Savignys Jugendwerk seinen Erfolg nicht „seinem Gegenstand oder seiner speziellen dogmatischen Theorie, sondern seiner Darstellungsform“. Das Werk sei wesentlich „Muster einer neuen Rechtsdogmatik“[1]. Unterschätzt wird dabei die Sprengkraft, die Savignys Ergebnisse gerade für die zeitgenössische Dogmatik hatten. Nicht zufällig wurde der Streit um „Recht oder Faktum“ von kaum einem größeren Rechtswissenschaftler ausgelassen und sogar vom außerjuristischen ‚Publicum’ wahrgenommen[2]. Savignys Besitzlehre löste engagierte Debatten um die Grundbegriffe des Zivilrechts[3] und das Privatrechtssystem überhaupt aus[4]. Es ist daher zu begrüßen, dass die hier zu besprechende Arbeit von Kenichi Moriya Savignys „Besitz“ gerade aus dieser Perspektive betrachtet.

 

Im Zentrum seiner Studie steht zunächst Savignys Besitzbegriff. Entgegen der nicht erst seit Jhering herrschenden Meinung steht für Moriya (S. 13 Anm. 32) nicht der Besitzwille, sondern die detentio im Zentrum der Überlegungen. Als „Bewußtseyn physischer Herrschaft“ bleibt es freilich auch in Savignys detentio beim „vergeistigten“ Zug zu einem Besitzwillen (53). Ansonsten gelte: Besitz bleibt bloßes Faktum, geschützt werden davon zu trennende Rechtspositionen, zuletzt das Recht des Individuums auf Schutz gegen Gewalt (16). Der Besitzbegriff konturiert Savignys System. Detentio ist faktisch Besitz, juristisch Eigentum, an welchem als „Totalität aller Sachenrechte“ alle iura in re aliena ausgerichtet werden (52ff. u. ö.).

 

Moriya betont, diese Lösung sei mit den „römischen Bestimmungen gleichsam ‚kompatibel’“ (115), aber nicht „unmittelbar aus den Quellen“ gearbeitet (114). Hierüber besteht wohl weitgehend Einigkeit. Hinter seiner Lösung des alten Besitzproblems steht bei Savigny ein kompliziertes Zusammenspiel zwischen Quellenexegese, vielleicht gemeinrechtlichen Prägungen, methodischen Prämissen, systematischen Gesamtbildern und außerjuristischen Vorverständnissen. Dies ist es, was seit langem die Savignyforschung fasziniert hat. Auch Moriya ist auf der Suche nach dem „gedanklichen Kern“ (3) in Savignys Monographie. Was also lenkte Savignys Blick als Dogmatiker?

 

Von Anfang an lehnt Moriya jegliche gemeinrechtliche Prägung Savignys ab. Es müsse „jeder Versuch, Savignys Besitzmonographie als eine mögliche Entfaltung aus der tradierten gemeinrechtlichen Theorie zu verstehen, … notwendig scheitern“ (2f.). Savignys Besitzlehre bezeichne eine „neue Ära“, er habe 1803 unter Juristen „kein Vorbild“ gehabt (60). Eine genauere Auseinandersetzung mit den im 18. Jahrhundert verbreiteten Versuchen, „das Eigentum zur Achse des gesamten Vermögensrechts zu machen“[5], findet sich jedoch nicht. Auch die Zurückweisung der Ansicht Wiegands, Thibaut habe den absoluten Eigentumsbegriff bereits gegen das geteilte Eigentum durchgesetzt, wird in wenigen Hinweisen erledigt (16f.).

 

Entgegen Savignys eigener Aussage tauge auch Donnellus nicht als Vorbild (31). Auch die systematische Perspektive sei nicht für die Ergebnisse der Quellenlektüre verantwortlich (anders noch Kiefner 1979: Alles sei „Konsequenz aus dem systematischen Ansatz, nicht cognitio ex datis[6]). Um sich nun nicht in einem endlosen Regreß des „Warum“ zu verlieren, muss Savignys Denkarbeit während der Entstehungsphase des „Besitz“ möglichst genau rekonstruiert werden. Auffallend ist nun, dass die „Materialien den Besitz betreffend“, die in Marburg lagern[7], von Moriya hierzu nicht herangezogen werden. Auch andere Schlüsselschriften für Savignys frühes Dogmatikverständnis, etwa die wichtige anonyme Rezension von Glücks Intestaterbfolge[8], bleiben ausgespart. Moriya beschränkt sich auf eine „immanente Exegese“ (2). Textstufen vor 1803 sind aber kaum zu entbehren für einen genaueren Einblick in diesen hermeneutischen Prozess der „Aussonderung des Falschen und Zufälligen“ (182). Das jüngst untersuchte Beispiel der Stellvertretung hat gezeigt, wie wichtig es ist, Savignys „Kampf“[9] um die richtige Auslegung erst einmal nachzuvollziehen. Einzig für § 7 des „Besitz“ nimmt Moriya Savignys Auslegung der antiken Quellen etwas näher in Augenschein (192ff.).

 

Sein Blick geht stattdessen auf den „Zeitgeist um 1800“ (115), der sogleich auf „theoretische“ (60), insbesondere philosophische Schriften reduziert[10] wird. Vor Rückert und D. Nörr, denen die Auswirkung philosophischer Prägungen auf die Besitzlehre aber nur Nebenaspekt war[11], existierten bereits lange Versuche[12], Einflüsse Kants auf den „Besitz“ nachzuweisen[13]. Moriyas Blick ist nun auf Fichte gerichtet. Er findet bei Savigny einen konstanten „Konnex zwischen der ‚unmittelbaren’ Interpretation des römischen Rechts und dem Willen zur Reform der Praxis i. e. S., der Politik i. w. S.“ (121) und vermutet eine „Art ‚Konversion’ des Naturrechts in die romanistische Dogmatik“.

 

Eine gewisse Sympathie des jungen Savigny für Fichte war etwa durch briefliche Äußerungen zum Atheismusstreit bekannt (127f.). Auch das Naturrecht Fichtes findet unter anderem in der Methodologie von 1802/03 lobende Erwähnung. Moriya möchte nun ganz konkret Fichtes Eigentumsbegriff als „Katalysator“ für Savignys Lehre herausarbeiten (184). Fichte habe erstmals einen „mediatisierten“ Eigentumsbegriff eingeführt: Eigentum werde nicht als „Urrecht“ (75) verstanden, sondern als willentliche Unterwerfung einer Sache (Besitz) und rechtliche Anerkennung dieser Herrschaftsmacht durch die Gesellschaft. Eigentum ist also nicht vorstaatlich, was Moriya als bedeutsame Übereinstimmung zu Savigny hervorhebt (79, 212 u. ö.). Auch wenn Moriya damit nicht in die alte, auch rein methodisch betrachtet falsche These vom „Positivisten“ Savigny verfällt (212 Anm. 109), führt die besondere Betonung der (‚blos’?) „positiven“ Fundierung des Eigentums doch in die Irre. Die ausschließliche Gründung seiner „civilistischen Abhandlung“ auf die römischen Quellen war eine methodische Grundentscheidung (gegen den gemeinrechtlichen Autoritätenkult), aus der man spezifisch Philosophisches für seine Eigentumslehre wohl nicht folgern kann. Auch andere Materien wurden diesem Konzept unterworfen. Fichtes „etatistisches“ (236) Prinzip der Drittanerkennung gerät konkret zudem in unüberbrückbare Differenzen zu Savignys Modell. „Gesetze“ sind bei Savigny die Gesetze Justinians. Die Rezeption dieser Gesetze, also ihr Geltungsgrund, erfolgte jedenfalls nach seiner späteren Konzeption des „Beruf“, durch Juristen. Diese wären also die eigentumsanerkennende Instanz, was mit Fichtes Konzept kaum Berührungspunkte hat und den „heftige[n] Ton“ (167) erklärt, mit dem Savigny Fichtes Gesellschaftsvertrag kritisiert.

 

Die Beweisführung von Moriya bleibt unsicher. Ihm drängte sich anhand des Vergleichs einiger Gedanken Beider ein „quellenmäßig nicht definitiv begründbarer, aber umso [?] hartnäckig[er] verankerter Eindruck“ (162) auf, dass Savigny Fichtes Überlegungen teilte. Dieser „Gedanke“ Moriyas blieb dem Rezensenten zweifelhaft. Abhängigkeiten will freilich auch Moriya nicht behaupten, nur subkutane Prägungen. Im Ergebnis bleibe Savignys Monographie „eine bedeutende Manifestation des Sitzes der völlig artistischen Rechtsdogmatik überhaupt“ (228ff., 237).

 

Es ist das Buch eines Savigny-Verehrers. Hiervon zeugt neben einigen Bemerkungen[14] die ungeheure Eindringlichkeit, mit dem hier Savignyexegese betrieben wird. Das Buch macht es dem Leser in seiner bisweilen sehr eigenwilligen Begrifflichkeit und seinem Aufbau nicht leicht. Die Gedankenfülle und der vorsichtig sensible Zugang sichern dennoch eine lehrreiche und sehr anregende Lektüre. Dabei zeigen sich erneut die immensen Schwierigkeiten, Savignys „Selbstdenken“ (D. Nörr) zu entzaubern. Der philosophisch keineswegs unsensible Hugo fand 1804 in Savignys Überlegungen zum Besitz schlicht den „Geist des Römischen Rechts“[15] – aber wo kam dieser Geist her?

 

Köln                                                                                                  Hans-Peter Haferkamp



[1] Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 387.

[2] Hierzu Johann Braun, Der Besitzrechtsstreit zwischen Friedrich Carl von Savigny und Eduard Gans, 1980, jetzt abgedruckt in: ders., Judentum, Jurisprudenz und Philosophie, Baden-Baden 1997, S. 91ff., dort S. 91 auch das Zitat aus der Zeitung für die elegante Welt 1839, S. 318.

[3] Insofern nicht überzeugend meint Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, München 2001, S. 267, die juristischen Grundbegriffe seien im 19. Jahrhundert „weitgehend unumstritten“ gewesen.

[4] Zu den Debatten um die iura in re (Thibaut, Du Roi, Savigny, Puchta) und um die systembildende Bedeutung des Besitzbegriffs (Puchta, Stahl, Rudorff, Gans, Savigny): Hans-Peter Haferkamp, Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, Frankfurt am Main 2004, S. 269ff., 292ff.

[5] Andreas Bertalan Schwarz, Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, 1921, zitiert nach Wiederabdruck in: Ders.: Rechtsgeschichte und Gegenwart, Karlsruhe 1960, S. 17 f. Weder diese Arbeit noch das wichtige Werk Lars Björnes, Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 59), Ebelsbach 1984, werden herangezogen.

[6] Hans Kiefner, Der junge Savigny, Marburg 1970, S. 40.

[7] Hierzu Franz Josef Hölzl, Friedrich Carl von Savignys Lehre von der Stellvertretung, Göttingen 2002, S. 79ff.

[8] Hierzu Joachim Rückert, Das bloße Faktum. Auch ein Beitrag zu Methodenlob und Methodenkritik, in: RJ 5, 1986, S. 209ff.

[9] Hölzl, a. a. O., S. 294.

[10] Ergänzend zu den benutzten Schriften Klippels hätte eine Auseinandersetzung erfolgen müssen mit Damian Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, Paderborn 1990, insbesondere S. 220ff. zu „Eigentum als Herrschaft über die Natur“.

[11] Dieter Nörr, Savignys philosophische Lehrjahre (Ius Commune Sonderhefte 66), Frankfurt am Main 1994, S. 329 Anm. 158; Joachim Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 58), Ebelsbach 1984, S. 360ff.

[12] Insbesondere G. Solari, Filosofia del Diritto privato II: Storicismo e diritto privato, Turin 1940, S. 79ff.; weitere Nennungen bei G. Marini, Savigny e il methodo sceinzia giuridica, Milano 1966, S. 34 Anm. 48.

[13] Der bisherige Forschungsstand wird bei Moriya oft nicht hinreichend deutlich, vgl. die zu pauschale Abgrenzung zu dogmenhistorischen Arbeiten S. 2 f.

[14] Bisweilen wird die Arbeit zur Parteischrift, etwa in der Polemik gegen Gans („Jener Hegelschüler“), der „keine Ahnung von den dogmatischen Hintergründen jener Frage“ gehabt habe (5 Anm. 2) oder in der Feststellung: „Wer sonst [außer Savigny, HPH] wäre imstande, Fichtes Eigentumstheorie als Herausforderung anzuerkennen“ (184 Anm. 82).

[15] Gustav Hugo, Rezension von Savignys Besitz, 1804, zitiert nach Wiederabdruck in: Beyträge zur civilistischen Bücherkenntnis der letzten vierzig Jahre, Bd. 1, Berlin 1828, S. 484ff., 488.