Mannheims, Hildegard/Oberem, Peter, Versteigerung. Zur Kulturgeschichte der Dinge aus zweiter Hand. Ein Forschungsbericht (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 103). Waxmann, Münster 2003. III, 393 S. graph. Darst.
Die Arbeit von Mannheims/Oberem hat zum Ziel, mit der historischen Aufarbeitung des Phänomens „Umgang mit gebrauchten Sachen“ im 19. Jahrhundert am Beispiel notarieller Mobilien-Versteigerungsprotokolle aus der preußischen Rheinprovinz die „Reichweite der Quellen auszuloten und die Relevanz des Themas Versteigerung für die volkskundliche Forschung aufzuzeigen“ (S. 17). Grundlage der Untersuchung sind die notariellen Protokolle über die notarielle Versteigerung in den Friedensgerichtsbezirken I u. II der Stadt Bonn und des rechtsrheinischen Friedensgerichtsbezirks Lindlar (Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Berg mit Weitergeltung des französischen Rechts) aus der Zeit von 1815 bis 1899. Neben der Objektstruktur des „Versteigerungsmarktes“ interessierten die Verfasser die Käufer, die Abnehmer gebrauchter Mobilien, zu denen die Protokolle Aufschluss geben sollen (Familienangehörige, Nachbarn, Berufskollegen, Fremde, Händler). Während der Abschnitt „Gebrauchtmarkt via Versteigerung“ (S. 214-367) fast ausschließlich die sozial-, wirtschafts-, stadt- und mentalitätsgeschichtliche Forschung betrifft, behandelt das Kapitel „Verkaufsweg notarielle Mobilienversteigerung“ (S. 45-213) auch rechtshistorische Fragestellungen. Die Arbeit umfasst nicht die rechtshistorisch wohl bedeutsamere, weil rechtlich dichter geregelte Immobilienversteigerung (hierzu die Übersicht S. 34) und auch nicht die gerichtliche Mobiliarexekution und die bis 1878 zulässige Mobiliarversteigerung durch den Gerichtsvollzieher und den Gerichtsschreiber (hierzu sind die Protokolle nicht überliefert, da diese an die Parteien ausgehändigt wurden), ferner nicht die außergerichtliche freiwillige Versteigerung durch einen Auktionator (erst seit 1869 mit dem Inkrafttreten der Gewerbeordnung möglich). Die gerichtlich-notwendige Teilungsversteigerung konnte nur durch einen Notar erfolgen (ebenfalls die gerichtlich-freiwillige Versteigerung von vakantem Eigentum und einer Benefiziarerbschaft). Waren an einer außergerichtlichen Erbteilung Minderjährige beteiligt, so musste die Versteigerung ebenfalls durch einen Notar erfolgen. Daneben konnten die Notare auch eine außergerichtliche freiwillige Zwangsversteigerung durchführen (zum Ganzen die Übersicht S. 33). Die für Versteigerungen maßgebenden Bestimmungen behandeln die Verfasser nach einer kurzen Kennzeichnung des rheinischen Rechts S. 29ff. anhand der Bestimmungen des Code Napoléon und des Code de procédure civile, der Notariatsordnung von 1822 (Inhalt und Form der Protokolle) und der weiteren Verordnungen, Reskripte und Reglements bis 1899 (Übersicht mit Quellennachweis S. 382-387). Im einzelnen hätten die für die unterschiedlichen Versteigerungsarten maßgebenden Regelungen etwas detaillierter aufgezeigt werden können (etwa für die Verbote zum Mitbieten; vgl. S. 124), und zwar über die notarielle Mobilienversteigerung hinaus, da die Verfasser im weiteren Verlauf der Untersuchung auch die weiteren Versteigerungsarten mit heranziehen. In dem folgenden Abschnitt „Verkaufsweg“ wird der jeweils rechtlich relevante Rahmen behandelt, und zwar insbesondere für den Mobiliarbegriff (Art. 533ff. C.N.), die Orts- und Terminsanordnung einschließlich deren Bekanntmachung, das Angebot, die Akteure (Notar, Ausrufer, Verkäufer, Käufer, Zuschauer), die Kaufbedingungen und Gebote, mögliche (teils unzulässige) Einflussnahmen auf der Verkäuferseite und der Käuferseite, der Zuschlag und das Protokoll. Die Verfasser arbeiten heraus, dass es bei der Versteigerung vornehmlich um den Schutz des Eigentums vor Verschleuderung, also um das Wohl des Verkäufers gegangen und dass der Schutz der Käuferseite vor Übervorteilung erheblich geringer ausgestaltet gewesen sei. Von Bedeutung ist auch die Gewährleistung der „Legitimität des Eigentumsübergangs“ (vgl. heute § 935 Abs. 2 BGB). Wichtig ist, dass nach rheinischem Recht das Eigentum an der versteigerten Sache entsprechend dem dort geltenden Konsensprinzip, das die Verfasser nicht erwähnen, schon mit dem Zuschlag und nicht erst mit der Ablieferung (Besitzübertragung) auf den Käufer überging. Anschaulich wird die rechtlich geringe Relevanz der möglichen Einwirkungen auf den Willen des Käufers herausgearbeitet (u. a. Verbot des Alkoholausschanks und das kaum abzustellende „Weißbrotwerfen“). Das Abhalten vom Bieten war unter bestimmten Voraussetzungen nach französischem, ab 1851 nach § 270 des preußischen Strafgesetzbuches von 1851 strafbar. Die Strafbestimmungen fielen mit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund im Jahre 1870 (nicht erst 1876, wie die Verfasser S. 195 meinen) weg. S. 198 weisen die Verfasser auf die Bedeutung der Licht- (Kerzen-)Uhr besonders im Subhastationsrecht hin (vgl. § 23 der Rheinischen Subhastationsordnung von 1822: „Die Versteigerung geschieht bei brennenden Kerzen in der Art, dass der Zuschlag erfolgt, sobald bei einem Gebote drei Kerzen, deren jede wenigstens eine Minute brennt, erloschen sind, ohne dass ein Mehrgebot erfolgt ist.“). Aus den Verkaufsprotokollen ergibt sich, dass vor allem im ländlichen Bezirk Lindlar Kaufpreise über einem Taler (3 Mark) gestundet werden konnten, wobei die notarielle Urkunde bereits den Vollstreckungstitel darstellte (für Gesamtpreußen erst ab der Zivilprozessordnung von 1879, § 702; heute § 794 ZPO).
Die Notariatsurkunden bilden, wie der vorliegende Band zeigt, eine unverzichtbare Quelle für die Rechtspraxis des rheinischen Rechts, zu dessen Erschließung in gleicher Weise Sozialhistoriker (Volkskundler) und Rechtshistoriker berufen sind. Es ist zu wünschen, dass in das DFG-Projekt „Versteigerung. Zur Kulturgeschichte der Dinge aus zweiter Hand im 19. Jahrhundert“, dem das Werk von Mannheims/Oberem seine Entstehung verdankt, auch die Immobilienversteigerung im 19. Jahrhundert aufgenommen wird, von der weitere wichtige Aufschlüsse über die Praxis des Subhastationsrechts zu erwarten sind. Zu bedauern ist, dass über die Zwangsversteigerung durch den Gerichtsvollzieher (Huissier) keine Urkunden überliefert sind. Der vorliegende Band macht deutlich, dass die Sozialgeschichte oft in enger Verbindung mit rechtshistorischen Fragestellungen steht. Damit kann sie dazu beitragen, den Rechtshistoriker für scheinbar abgelegene Rechtsgebiete zu interessieren. Dies ist den Verfassern mit ihrem anschaulichen Beitrag zu der gegenüber heute wohl erheblich bedeutsameren außergerichtlichen Mobilienversteigerung sowie zur Praxis des rheinisch-französischen Rechts und der rheinischen Notariatspraxis vollauf gelungen.
Kiel Werner Schubert