Malamud, Sibylle, Die Ächtung des „Bösen“. Frauen vor dem Zürcher Ratsgericht im späten Mittelalter (1400-1500).Chronos, Zürich 2003. 379 S., graph. Darst.

 

Malamuds Dissertation entstand im Rahmen ihrer Mitarbeit an dem von Hans-Jörg Gilomen geleiteten schweizerischen Nationalfondsprojekt „Soziale Beziehungen im Alltag einer spätmittelalterlichen Stadt, Zürich im 15. Jahrhundert“. Alltagsgeschichte und Sozialgeschichte werden bei Malamud kombiniert mit Devianzforschung und Kriminalitätsgeschichte. Auf über 50 Seiten führt die Autorin den Leser umfassend und kompetent in die theoretischen Konzepte dieser Strömungen sowie in daraus folgende Methodenprobleme ein. Hier stößt man erwartungsgemäß auf die inzwischen allgegenwärtige Kunstsprache: Von Handlungsräumen, Konfliktaustragungen, konstruierten Geschlechterstereotypen über Instrumentalisierung, Justiznutzung, „Diskurse, die das Konstrukt Weiblichkeit konturierten“ bis hin zur Sozialkompetenz reichen die Schlüsselbegriffe, die man zunächst zurückübersetzen muß, um den Inhalt zu verstehen. Teilweise haftet den Neologismen aber auch ein unangenehmer Beigeschmack an, wenn etwa ganz unbefangen vom „gemeingefährlichen Sozialschädling“ (330) die Rede ist. Kriminalität ist auf dieser Grundlage „Zuschreibung der Instanzen sozialer Kontrolle zur Aufrechterhaltung der herrschaftlichen, sozialen und ökonomischen Ordnung“ (167), ein Delikt ist „eine Form von persönlicher Interaktion, bei der der soziale Ort eine wichtige Rolle spielt“ (231), und der Tatort wird als „eine kulturell definierte Situation verstanden, die bestimmte Handlungen auslösen, fördern, verhindern oder hemmen kann“ (233). Als Rechtshistoriker sehnt man sich da nach der knappen Präzision des nullum crimen sine lege-Satzes.

 

Läßt man die unvermeidbare Sprachbarriere hinter sich, kann man eine Arbeit würdigen, die auf der Grundlage umfangreicher Archivarbeit sehr quellennah die Kriminalität von Frauen und ihre Behandlung vor Gericht im Spätmittelalter untersucht. Überzeugend gelingt hierbei der Versuch, die verschiedenen Gerichtszuständigkeiten im 15. Jahrhundert mit dem unterschiedlichen Grad von Verschriftlichung in Einklang zu bringen und von hier aus die Quellendichte und damit die Reichweite der historischen Erkenntnisse zu ermessen. Als Jurist ist man aber doch erstaunt, mit welchem Aufwand die Historikerin Malamud erläutert, daß Gerichtsquellen die historische Wahrheit nicht unverfälscht wiedergeben. Daß die Parteien im Zivilprozeß oder Akkusationsverfahren ihre je eigene Sicht der Dinge präsentieren (51, 102), ist sicherlich richtig, aber schlichtweg selbstverständlich.

 

Malamud geht es darum zu zeigen, daß viele ältere Annahmen über die Kriminalität von Frauen auf spezifischen Frauenvorstellungen der Autoren beruhen und daher nur bedingt etwas über die historische Wirklichkeit aussagen. In ihren eigenen Aussagen ist sie daher sehr behutsam und möchte kein neues Erklärungsmuster anbieten, wo die bisherigen sich bereits als irreführend erwiesen haben. Daher hat das Buch seine Stärken vor allem in den Details, in buntschillerndern Rechtsfällen und den hieraus abgeleiteten Ergebnissen. So verteidigten sich Frauen mehrfach gegen Diebstahlsvorwürfe mit dem Argument, das Opfer habe zuvor für sexuelle Dienste nicht gezahlt. Dieser Befund fügt sich mit zahlreichen Beispielen aus dem Sittlichkeitsbereich zu einer weiblichen Geschlechterrolle zusammen, die die Autorin im wesentlichen durch die Sexualehre bestimmt sieht.

 

Ob Frauen vor Strafgerichten gegenüber Männern diskriminiert wurden, beurteilt Malamud differenziert. Einerseits scheint der Mord einer Frau an ihrem Ehemann deutlich schwerer gewogen zu haben als die Tötung der Frau durch ihren Gatten, andererseits wurden Frauen insgesamt seltener zum Tode verurteilt als Männer. Daß aber die männliche Kriminalität typischerweise im öffentlichen Raum, die der Frau dagegen im Privatbereich anzutreffen war, bezweifelt die Autorin ebenso wie die hergebrachte These, vor allem alleinstehende, verwitwete, entwurzelte Frauen seien die Täterinnen der weiblichen Kriminalität gewesen. Im übrigen liegt es auf der Hand, daß Frauen aufgrund ihres Tagesablaufes ohnehin in anderen Bereichen straffällig wurden als Männer. Diese Abweichungen stellt die Autorin in mehreren Abbildungen auch graphisch dar (340-346). Soweit Straftaten durch das Zürcher Ratsgericht mit Bußen abgegolten wurden, stellt Malamud fest, daß die Ratsherrn in keinem Fall bei den Rechtsfolgen auf das Geschlecht des Täters Rücksicht nahmen (125, 326). Lediglich vor dem Blutgericht lassen sich Unterschiede erkennen. Auffällig ist außerdem, wie selten Frauen als Zeuginnen vor Gericht auftraten.

 

Die rechtshistorischen Probleme vertieft die Autorin aus ihrer Perspektive zu Recht nicht. Die Zürcher Gerichtsverfassung wird eher knapp in Anlehnung an ältere Arbeiten rekapituliert, die sehr interessanten Hinweise auf das Nebeneinander von Inquisitionsprozeß und Akkusationsverfahren im 15. Jahrhundert (85, 258) greift sie ebenfalls nicht eingehender auf. Doch sind es gerade diese Andeutungen, die den Rechtshistoriker aufhorchen lassen. Die Quellenlage in Zürich ist traumhaft gut. So bleibt nur zu wünschen, daß die Rats- und Richtbücher aus einer anderen Perspektive noch einmal ausgewertet werden. Die Arbeit von Malamud bietet dabei eine hervorragende Grundlage, um weiterführende rechtshistorische Fragen zu stellen.

 

Bern                                                                                                               Peter Oestmann