Ludwig, Marc, Der Pfändungsschutz für Lohneinkommen. Die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Vorschriften zum Schutz vor Lohnpfändung in Deutschland (= Rechtshistorische Reihe 244). Lang, Frankfurt am Main 2001. 211 S.
Die Geschichte des Arbeitsrechts setzt sich zusammen aus arbeitsrechtsrelevanten historischen Teilen anderer Rechtsgebiete. Eines dieser Fragmente, nämlich die Beschränkung der Lohnpfändung, bildet den Gegenstand von Marc Ludwigs Kieler, von Werner Schubert betreuten Dissertation. Ludwig liefert im Wesentlichen eine Gesetzgebungsgeschichte von der Vorgeschichte am Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Lohnpfändungsverordnung von 1940, rasch fortgeführt bis in das Jahr 1992, mit allen Petitionen und Resolutionen, Entwürfen, Reichstagslesungen, kommissarischen Besprechungen, Ausschussberatungen und Juristentagsverhandlungen, ergänzt um die „Reaktionen zum Lohnbeschlagnahmegesetz“ in der Literatur und nochmals unterbrochen durch den Report zur Rechtsprechung und zur „ausgewählten Literatur zum Problem der 1500-Mark-Verträge“.
Das Corpus Iuris Fridericianum von 1781 und die Allgemeine Gerichtsordnung von 1793 beschränkten den Umfang der Pfändung von Einkommen des selbständig arbeitenden Handwerkers und Künstlers, um ihm das zu lassen „wie viel er zum notdürftigen täglichen Unterhalte für sich und die Seinigen gebrauche“. Die aus dieser Bestimmung für den Gläubiger „entstehende Unbequemlichkeit (werde) durch die Betrachtung des allgemeinen Besten, welchem daran gelegen ist, dass nützliche Bürger im Staate nicht ohne die dringendste Not zu Grunde gerichtet werden, offenbar weit überwogen“, hieß es im Gesetz. Weitere Bestimmungen des preußischen Rechts schützten Beamte und Seeleute. Andere Staaten erließen im Rahmen ihrer Zwangsvollstreckungsgesetze besondere Schutznormen, als eines der frühesten zitiert Marc Ludwig das württembergische Exekutionsgesetz von 1825.
In Preußen wurde dem Lohn der zunehmend zahlreicher und wichtiger werdenden privaten „Arbeitnehmer“ der Schutz vor der Zwangsvollstreckung versagt. Die Grundlagen des noch heute geltenden Vollstreckungsrechts waren damals bereits gelegt: Der Gerichtsbefehl in Form eines Arrestes stellte die Pfändung dar und bewirkte Beschlagnahme und Pfandrecht. Die Verwertung der Forderung erfolgte durch die Zwangsüberweisung, im Sinne einer hoheitlich verfügten Abtretung, an den Vollstreckungsgläubiger, um diesen zu berechtigen, die Forderung von dem Drittschuldner, in unserem Fall also von dem „Arbeitgeber“, einzutreiben. Nun folgen zwei historische Probleme der Lohnpfändung, nämlich das Problem der grundsätzlichen Pfändbarkeit derartiger Forderungen und, falls das erste Problem gelöst war, das des Umfangs einer solchen Pfändung.
Die Pfändbarkeit von Forderungen auf rückständigen und in diesem Sinne bereits „verdienten“ Lohn war rechtlich unproblematisch, in der Praxis jedoch von nur geringer Bedeutung. Denn sobald der Lohn „verdient“ war, wurde er ausgezahlt, so dass die Forderung des „Arbeitnehmers“ gegen den „Arbeitgeber“ erlosch.
Nach Ludwigs Bericht konnten auch „bedingte und noch nicht fällige Forderungen“ zwar grundsätzlich beschlagnahmt, wenn auch noch nicht verwertet werden. Lohnforderungen seien grundsätzlich als (in der Terminologie des 20. Jahrhunderts) aufschiebend bedingt und betagt angesehen worden: Die aufschiebende Bedingung ergab sich aus dem Prinzip „ohne Arbeit kein Lohn“, denn der „Arbeitgeber“ habe Lohn nur geschuldet, wenn der „Arbeitnehmer“ gearbeitet hatte. Die aufgeschobene Fälligkeit ergab sich aus der Vorleistungspflicht des „Arbeitnehmers“. Die Beschlagnahmefähigkeit und Schutzbedürftigkeit des in diesem Sinne „unverdienten oder künftigen Lohns“ wurden mangels Gesetzestexten von den Gerichten unterschiedlich beurteilt: Die Gerichte im Königreich Hannover ließen die Beschlagnahme zu, die Gerichte im vormaligen Kurfürstentum Hessen hingegen verneinten sie. Das preußische Obertribunal äußerte sich 1847 und noch einmal 1852 zur Beschlagnahme des in diesem Sinne „unverdienten“ Lohns, und traf hinsichtlich desselben eine weitere folgenreiche Differenzierung.
Das Obertribunal erklärte den „unverdienten“ Lohns eines Beschäftigten, der nur tageweise und deswegen nicht dauernd beschäftigt war, für unzulässig. Die Begründung ist doppelt: „Der zum Lebensunterhalt eines Tagearbeiters bestimmte Lohn desselben schließe keine feststehende Forderung gegen den Dienstherrn in sich, da dieser befugt sei, zu jeder Zeit den Arbeiter zu entlassen... Das Entstehen einer Forderung bleibe in einem solchen Falle ganz unbestimmt, mithin sei die Existenz derselben ... nicht nachgewiesen, daher auch der ausgebrachte Arrest für gegenstandslos erachtet werden müsse“. Sozialpolitisch klingt das damit verbundene Argument des Obertribunals, dass nämlich die Entlassung „auch die nötige Folge würde sein müssen, wenn dem Arbeiter die zur Fortsetzung der Arbeit erforderlichen, erst durch dieselbe zu gewinnenden Subsistenzmittel entzogen werden könnten“.
Über die Beschlagnahme des „unverdienten“ Lohnes eines dauernd Beschäftigten sagte das Obertribunal hingegen nichts. Die meisten Gerichte waren offensichtlich von dem rechtstechnischen Argument der Unbestimmtheit der angeblichen Forderung eines Tagelöhners überzeugt, sie verschlossen sich aber dem Gedanken, dass der Verlust der Subsistenzmittel und die Entlassung auch bei dauernder Beschäftigung drohen könnten. Die meisten Appellationsgerichte entnahmen den Urteilen ihres Obertribunals den Umkehrschluss, dass „unverdiente“ Löhne, also Forderungen auf künftige Lohnzahlungen, dann beschlagnahmt werden könnten, wenn zwischen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ ein nicht bloß tageweises, sondern dauerndes Vertragsverhältnis bestand. Die Beschlagnahmefähigkeit hatte bereits 1832 ein Reskript des preußischen Justizministers anerkannt. Dem folgte ein Teil der Literatur jedenfalls für die wichtige Masse der Fabrikarbeiter, für die nach der preußischen Gewerbeordnung von 1845 eine vierzehntägige Kündigungsfrist galt.
Dies ist die Ausgangssituation für den Kampf um die Beschränkung der Lohnbeschlagnahme, wie sie Ludwig im einzelnen beschreibt. Die Hauptdaten sind an der Gliederung abzulesen: Im 1. Teil wird „die Entstehungsgeschichte des Lohnbeschlagnahmegesetzes vom 21. 6. 1869“ berichtet (15–54). Dieses regelt einen Teil des Vollstreckungsrechts, der für lange Zeit aus der Zivilprozessordnung ausgeklammert blieb. Der Regierungsentwurf, den die ZPO-Kommission für dieses Gesetz geliefert hatte, entsprach den Vorstellungen des Reichstags so wenig, dass die Kommission des Reichstags einen neuen Entwurf erarbeitete. Das Gesetz von 1869 hielt an der Unterscheidung zwischen verdientem und noch nicht verdientem Lohn fest: Verdienter Lohn blieb auch in Zukunft voll der Pfändung unterworfen. Die Beschlagnahme von noch nicht verdientem Lohn blieb aber ausgeschlossen. Von Anfang an wurde dieses klare Konzept durch Randkorrekturen nicht unerheblich modifiziert. Denn das Gesetz fand keine Anwendung auf die Dienstbezüge öffentlicher Beamter (für die weiterhin das Landesrecht galt), erlaubte die Zwangsvollstreckung wegen Steuern und Unterhaltsansprüchen und schützte, indem es die Unterscheidung von nicht dauernden und dauernden Vertragsverhältnissen fortführte, Ansprüche aus dauernden Vertragsverhältnissen nur bis zu einem Jahreseinkommen von 400 Talern.
Im 2. Teil wird „die Entwicklung des Lohnpfändungsrechts bis zum Ende der Weimarer Republik“ dargestellt (55 – 140). 28 Jahre lang, so zählt Marc Ludwig, hielt das Gesetz von 1869 allen Novellierungsbegehren stand, nur leicht verändert durch die Währungsumstellung 1871. Ab 1897 wurden die Randkorrekturen feiner und zahlreicher und damit komplizierter. 1898 wurden die ehrwürdigen Unterscheidungen in verdientes und noch nicht verdientes Einkommen aus nicht dauernden oder dauernden Vertragsverhältnissen aufgegeben. Seitdem verbreitete sich bei den „Arbeitnehmern“ die Vertragsübung, Arbeitseinkommen in der Weise aufzuspalten, dass der an den „Arbeitnehmer“ auszuzahlende Teil unterhalb der Pfändungsgrenze von 1500 Mark blieb und der darüber hinausgehende Teil an einen anderen, typischerweise die Ehefrau, ausgekehrt wurde, um auf diese Weise das gesamte Einkommen der Pfändung zu entziehen. Diesen 1500-Mark-Verträgen widmet Marc Ludwig, wie gesagt, einen sehr interessanten Rechtsprechungs- und Literaturbericht. Geradezu hektisch wird die Rechtssetzung ab 1915 mit wiederholten Anpassungen der Pfändungsgrenze. Während des Weltkrieges wurden hierzu zwei gesetzesändernde „Bekanntmachungen“ erlasssen. Der sozialpolitische Druck war so stark, dass er 1919 noch eine Verordnung, 1920, 1921 und 1922 weitere Gesetze, 1923 und 1924 fünf einschlägige Verordnungen sowie 1926 und 1928 nochmals zwei Gesetze hierzu erzwang. Parallel dazu liefen Beratungen zu einer fundamentalen Neuordnung, die im „Entwurf einer neuen deutschen Zivilprozessordnung (1931)“ kulminierten.
Der 3. Teil betrifft „die Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 24. 10. 1934 und der Verordnungen vom 7. 4. 1938 und vom 30. 10. 1940“ (141–194). Das Gesetz von 1934, in der Akademie für Deutsches Recht noch im Jahre ihrer Gründung beraten, trug das Lohnbeschlagnahmegesetz des Norddeutschen Bundes von 1869 zu Grabe, verwirklichte in erheblichem Maße die in der Weimarer Republik erwogenen Reformen und fügte diese in die ZPO ein. Aber schon die zweite diesbezügliche Verordnung in nationalsozialistischer Zeit, 1940, nahm das Lohnpfändungsrecht wieder aus der ZPO heraus, um es auch in Österreich zur Anwendung bringen zu können.
Der 4. Teil enthält auf wenigen Seiten „Zusammenfassung und Überblick über die Entwicklung ... bis in die Gegenwart“, d. h. bis in das Jahr 1992 (195–200), und berichtet auch über die erneute Eingliederung dieser Materie in die ZPO im Jahre 1953.
Nachdem Marc Ludwig in der „Einleitung“ in zutreffender Weise den Interessenkonflikt zwischen Schuldnern, die „Arbeitnehmer“ sind, deren Gläubigern und den „Arbeitgebern“ skizziert hat, enthält er sich allgemeinerer politischer und wirtschaftshistorischer Betrachtungen. Damit erklärt sich sein Verzicht auf biographische Angaben, insbesondere auf parteipolitische Zuschreibungen der angeführten Autoren und Redner, von wenigen Ausnahmen wie Pape und Schulze-Delitzsch abgesehen. Er stellt dem eiligen Leser auch keine Datenübersicht und kein Gesetzesregister zur Verfügung.
Als gedruckte Materialien für diese Arbeit wertet Marc Ludwig naheliegenderweise u. a. Werner Schuberts Editionen und auch die „Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik“ aus. Der besondere Wert seiner Dissertation liegt in der Entdeckung und Darbietung ungedruckter Dokumente. Jeder Leser wird die wörtlichen Quellenauszüge und wörtlichen Gesetzeszitate zu schätzen wissen. Marc Ludwig hat mit dieser gründlichen Leistung einen wichtigen Beitrag zur Arbeitsrechts- und Prozessrechtsgeschichte geliefert[1].
Berlin Hans-Peter Benöhr
[1] Kleinere Fehler und Doppelzitate hätte man vor dem Druck beseitigen können (z. B. S.17, 22, 40, 45, 47, 51, 53, 58, 59, 184, 196).