KnemeyerLieb20040817 Nr. 11039 ZRG GA 122
(2005) 56
Lieb, Thorsten, Privileg und Verwaltungsakt. Handlungsformen der
öffentlichen Gewalt im 18. und 19. Jahrhundert (= Rechtshistorische Reihe 280).
Lang, Frankfurt am Main 2004. 236 S.
Neben der
Arbeit Markus Engerts über die historische Entwicklung des
Rechtsinstituts Verwaltungsakt – erschienen kurz vor Drucklegung der hier
anzuzeigenden Schrift – liegt mit der Bayreuther Dissertation von Thorsten Lieb
eine zweite Untersuchung zu Handlungsformen der öffentlichen Gewalt – nicht nur
der Verwaltung im heutigen Sinne – im 18. und 19. Jahrhundert vor. Beide
Arbeiten zeigen die Entwicklungen in Deutschland hin zu den maßgeblich vom
französischen Recht übernommenen act administratif. Die Arbeit Thorsten Liebs
ist freilich im Wesentlichen eine Untersuchung zu Bedeutung und Niedergang der
Rechtsinstitution des Privilegs. Dem Verwaltungsakt wird als in Deutschland
neuer Handlungsform der Verwaltung nur innerhalb des fünften Kapitels ein
geringer Raum gewidmet, um ihn dem Privileg gegenüberzustellen.
Den
eigentlichen Kern der Arbeit bildet also die Entwicklung des Privilegs als
Rechtsbegriff vor allem auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zwischen dem
Ende des 18. Jahrhunderts und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Der
Untersuchungszeitraum ist bestimmt durch das Ende des Ancien-régime und die
Französische Revolution, in deren Folge die Privilegienordnung in Frankreich
beseitigt wurde und durch die Abschaffung der letzten Privilegien im
rechtlichen Sinne in Deutschland in den 1930er Jahren. Erstaunlich ist für den
Verwaltungsrechtler die Langlebigkeit der Institution des Privilegs trotz des
sich langsam durchsetzenden Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz.
Gegliedert in
sechs Kapitel stellt die Arbeit zunächst das Privileg am Ende des Ancien-régime
vor. Ausgehend von unterschiedlichen Begriffsgehalten wird das Privileg im
Rechtssinne gegen Ende des 18. Jahrhunderts definiert als ein Ausnahmerecht in
Bezug auf eine ansonsten als allgemein gedachte Rechtsordnung. Damit war das
Privileg quasi natürlicher Gegenbegriff zum allgemeinen Gesetz. Im
Einleitungskapitel untersucht Lieb neben dem Begriff die Funktion des
Privilegs im Staat des 18. Jahrhunderts und geht den Diskussionen um die
Abschaffung der Privilegien in Frankreich und etwaiger Auswirkungen auf die
Institution des Privilegs in Deutschland nach. Im zweiten Kapitel wird das
Privilegienrecht im preußischen Allgemeinen Landrecht untersucht und auch ein
Vergleich zum Code civil geschlagen. Das dritte Kapitel untersucht
Privilegienlehre und Verfassungsrecht in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, beginnend mit der Rechtsordnung des Rheinbundes über die
Verfassungen der deutschen Einzelstaaten bis hin zur Stellung der Institution
des Privilegs in der Staatsrechtslehre der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Historischen Zeiträumen entsprechend behandelt dann das vierte Kapitel Privileg
und Gesetzgebung zwischen 1848 und 1870, um sich im fünften Kapitel Privileg
und Verwaltungstätigkeit im zweiten Kaiserreich zuzuwenden. In diesem
Zusammenhang wird der Eingang des Instituts des Verwaltungsaktes in das
deutsche öffentliche Recht nachgezeichnet, bevor im sechsten Kapitel ein
Ausblick gegeben wird auf den Niedergang des Privilegienrechts und das Ende der
Privilegienpraxis. Die Arbeit schließt mit dem Wandel des Rechtsbegriffs zum „politischen
Kampfbegriff“.
Die
vorliegende Dissertation gibt einen umfassenden Einblick in einen Bereich
staatlicher Handlungsformen, die bis in die 80er Jahre in einem
Dornröschenschlaf lag, bevor Heinz Mohnhaupt sich in einem
größeren Aufsatz dieses Rechtsinstituts angenommen hat.
Zusammen mit
der Arbeit Markus Engerts über die historische Entwicklung des
Rechtsinstituts Verwaltungsakt liegt der aktuellen Wissenschaft vom
Verwaltungsrecht nunmehr eine gut zugängliche, umfassende „Vorgeschichte“ des
Zentralinstituts des deutschen Verwaltungsrechts vor.
Würzburg Franz-Ludwig
Knemeyer