Küchler, Remigius, Obwaldens Weg nach Süden durch Oberhasli, Goms und Eschental (= Obwaldner Geschichtsblätter 24). Verein Säumerweg Brünig-Grimsel-Gries, Sarnen 2003. 416 S.

 

Am 3. Juni 1403 schlossen die eidgenössischen Orte Uri, Unterwalden ob und nid dem Wald und Luzern ein Burg- und Landrecht mit dem Bischof von Sitten und den Walliser Zenden. Dieses Bündnis sicherte Obwalden (Unterwalden ob dem Wald) den kürzesten Weg nach Italien. Der Sarner Jurist und Rechtshistoriker Remigius Küchler hat zu diesem sechshundertjährigen Jubiläum die Handelsbeziehungen Obwaldens via Eschental nach Italien aufgearbeitet. Die Beziehungen ins Eschental sind schon im 14. Jahrhundert nachweisbar. 1382 wurde die „adelige“ politische Oberschicht in Obwalden und Nidwalden an einer gemeinsamen Landsgemeinde in Wisserlen gestürzt. Ziel der neuen „großbäuerlichen“ Oberschicht war es, den ennetbirgischen Handel zu propagieren. 1403 annektierten Obwalden und Uri das Livinental. Und bereits 1410 versuchten Uri und Obwalden - mit mehr oder weniger Unterstützung der anderen eidgenössischenOrte – das Eschental zu erobern. Nach vier Feldzügen waren sie schließlich erfolgreich. 1418 bestätigte ihnen König Sigismund den Besitz des Eschentals. Aber schon 1426 mussten die Eidgenossen nach einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Herzog Filippo Maria Visconti das Eschental wieder Mailand zurückgeben – und auch Obwalden unterschrieb nachträglich (1427) - nach Zusicherung einer Abfindungssumme – in Brig den Friedensvertrag. Dieser brachte Obwalden weitreichende handelspolitische Privilegien.

 

Küchler erwähnt diesen auch im Weißen Buch von Sarnen und in der Tschachtlan-Chronik (beide um 1470) überlieferten Versuch zur Eroberung des Eschentales. Doch: Bisher kaum erforscht und deshalb weitgehend unbekannt sind die handelspolitischen Beziehungen, die Küchler anhand bisher unbeachteter Quellen aus Obwalden, Bern, aus dem Wallis und Italien aufarbeitet und so neue Aspekte der ennetbirgischen Wirtschaftsgeschichte und ihrer internationalen Verknüpfungen aufzeigt. Der Käseexport aus Obwalden und dem Kloster Engelberg erfolgte - bisher von der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte nicht bemerkt – zum überwiegenden Teil über Grimsel und Griespass. Und als Gegenleistung brachten die Obwaldner Säumer Eschentaler Wein nach Hause. Auf dem gleichen Wege wurde auch das aus dem Tirol über Konstanz, Schaffhausen und Zürich eingeführte Salz von Obwalden nicht nur ins Berner Oberland sondern sogar ins Goms und Eschental geliefert. Bisher nicht bekannt war weiter, dass die Obwaldner Säumer über den Brünig auch ins Simmental und Saanenland bis nach Vevey am Genfersee, „ins Ryf“ (riva, ,Ufer‘) zogen - vor allem in der Winterszeit, wenn der Verkehr über die Pässe Grimsel und Gries nicht möglich war. An Stelle von Eschentaler Wein brachten die Händler dann Lavaux- („Ryf“) Wein heim. In Engelberg kam es zu Beginn des 17. Jahrhunderts deswegen zu einem Streit zwischen den Talleuten und dem Abt, der dieses Geschäft monopolisierte. Diese interessanten wirtschafts- und handelspolitischen Fakten werden hier erstmals festgestellt und zusätzlich mit einem interessanten 1618 in Bern gedruckten Säumerlied („Omlin-Lied“) dokumentiert

 

Anfänglich bestand offenbar auf der Griespass-Route – ähnlich wie beim Gotthard – die sogenannte „Rodfuhr“ mit streng organisiertem Etappenverkehr, wie die Statuten von Pomatt von 1486 und 1493 zeigen. Diese Ordnung wird wohl auf den Einfluss der gut organisierten Mailänder Verwaltung zurückzuführen sein. Küchler weist aber mit Recht darauf hin , dass auf dieser Verkehrsroute für den Klein- und Hausierhandel der Grundsatz der Transportfreiheit bestand (der sogenannte „Strackverkehr“): „Bereits die Tatsache, dass wir schon im 15. Jahrhundert Obwaldner Säumern im Eschental und Eschentalern in Obwalden und Nidwalden begegnen, spricht gegen die Annahme eines allgemeinen Systems der Rodsäumerei über die Pässe Brünig, Grimsel oder Gries“. In Obwalden gab es keine Säumergenossenschaften. Und auch in Pomatt (Formazza) war die Säumerei in den Händen einzelner Familien und nicht der Gemeinden. Diese Feststellung ist interessant, ging man doch bisher beim Passverkehr meist von „Säumergenossenschaften“ aus. Küchler erwähnt auch die Unterwaldner Familien, die mit dem Eschentaler Handel zu tun hatten. Umgekehrt weist er Eschentaler als Händler in Obwalden und in Nachbarorten nach. Aber auch Walliser, Berner und Urner Händler und Säumer werden erwähnt. Als 1619 Podesta Setier von Domodossola im Auftrag der Mailänder Steuerbehörden in Pomatt eine Erhebung über den dortigen Handelsverkehr machte, berichteten ihm mehrere Eschentaler Händler, Sbrinzkäse und andere Käse würden sowohl von Eidgenossen wie von Mailänder Händlern aus dem Norden eingeführt und teilweise nach Mailand geliefert oder dann im Pomatt gegen Wein getauscht. Einer der Befragten nannte als Käselieferanten ausdrücklich „quelli del Torfo (Altdorf) ed Undervaldo“, während ein anderer von „formaggio di Sbrindesi e formaggio di Dorsera (Ursern) e di quel duro d’Ondervald“ sprach.

 

Der Autor belegt seine Aussagen mit meist bisher unbekannten Quellen und publiziert diese im Anhang teilweise auch im Wortlaut. Remigius Küchler beleuchtet ein bisher unbeachtetes Kapitel des ennetbirgischen Handels, der übrigens noch in der neuesten Forschung aus Innerschweizer Sicht stets mit dem Handelsweg über den Gotthard in Verbindung gebracht wurde. Den Nachweis erbracht zu haben, dass von Obwalden und Engelberg aus ein wichtiger Handelsweg über Brünig, Grimsel und Gries ging (erst der Bau der Eisenbahnen im späten 19 Jahrhundert schuf andere Verkehrswege), ist das Verdienst dieser Arbeit, die in Zukunft in keiner schweizerischen wirtschaftsgeschichtlichen Arbeit unberücksichtigt bleiben darf.

 

Basel-Sarnen                                                                                                    Angelo Garovi