König, Kai-Michael, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz (= Saarbrücker Studien zum internationalen Recht 23). Nomos, Baden-Baden 2003. 491 S.

 

1. Internationale Strafgerichte und Völkerstrafrecht sind Schöpfungen der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart. Insoweit ist die hier anzuzeigende Arbeit, eine von Georg Ress betreute Saarbrücker rechtswissenschaftliche Dissertation, notwendig dem geltenden Recht gewidmet. Dieses neue Gebiet des Völkerrechts ist zudem hochpolitischer Natur, wie namentlich die über den Kreis der Fachleute weit hinausreichende Diskussion über die Rolle des 1998 in Rom gegründeten Internationalen Strafgerichtshofs zeigt1.

 

Der Verfasser war sich bewusst, dass die Bestrafung von Individuen aufgrund von Verhaltensweisen, die in den zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen als Unrecht qualifiziert wurden, viel älter ist als die neue internationale Strafjustiz, die mithin ohne Rückgriff auf die Geschichte nicht umfassend gewürdigt werden kann. Daher überschreibt der Verfasser das umfangreiche erste Kapitel „Die Entwicklung des Völkerstrafrechts und der internationalen Strafgerichtsbarkeit“ (38-148). Die von der Antike bis zur Gegenwart reichende historische Darstellung hat den Umfang einer eigenen Dissertation. Das rechtfertigt eine Besprechung in dieser Zeitschrift, wobei wir uns wesentlich auf dieses historische Sachkapitel beschränken. Im Übrigen sei auf das ausführliche Inhaltsverzeichnis des Verfassers (7-16) verwiesen, in dem allein die Gliederung des ersten Kapitels fast zweieinhalb Druckseiten umfasst (7-9).

 

2. Der Verfasser beginnt seinen geschichtlichen Überblick mit Bemerkungen über (I.) „Ursprünge und Vorläufer in der Antike und im Mittelalter“ (38-42).

 

Das vorklassische Altertum fehlt, obwohl uns einige Normen durch das Alte Testament der Bibel überliefert sind. Zur klassischen Antike (39f.) wäre für den nicht rechtshistorisch vorgebildeten Leser ein Hinweis auf die Sklaverei als Folge der Kriegsgefangenschaft nützlich gewesen. Daraus erklärt sich zwanglos die in einem Krieg in Griechenland wie in Rom unbestrittene Verfügungsgewalt der Sieger über die Besiegten2. Zum römischen Triumph, mit dem der Feldherr seinen in ‚gerechtem Krieg’ errungenen blutigen Sieg feierte, gehörte auch, dass nach dem Festzug prominente Gefangene hingerichtet wurden. An solche Hinrichtungen  feindlicher Heerführer erinnert im 17. Jahrhundert auch Grotius in seinen ‚De iure belli ac pacis libri tres’ (3,11,7).

 

Für das Mittelalter (40ff.) hebt der Verfasser treffend „Die Strafgewalt des Papstes“ im lateinischen Europa hervor (40f.). Es folgen Hinweise auf „Die Weiterentwicklung des Kriegsrechts und seine Sanktionierung“ (41f.) und auf „Die Weiterentwicklung der Lehre vom gerechten Krieg“ (42). Ein weiterer Hinweis auf die spätmittelalterliche europäische Jurisprudenz hätte dem Leser den Übergang zur Neuzeit erleichtert. Dazu nur ein Detail: Das vom Verfasser erwähnte, 1179 vom 3. Laterankonzil ausgesprochene Verbot der Versklavung christlicher Kriegsgefangener wurde bereits im 14.Jahrhundert, etwa durch Bartolus de Saxoferrato († 1357), als gewohnheitsrechtliche Abänderung des römischen Rechts angesehen.

 

3. Im folgenden kurzen (II.) Abschnitt, „Die Idee eines strafbewehrten Kriegsrechts in der Neuzeit“ (42-45), weist der Verfasser auf „Die naturrechtlichen Vorstellungen der Neuzeit“ hin (42ff.) und exemplifiziert sie an Francisco de Vitoria († 1546) und Hugo Grotius († 1645) als den für die Entwicklung des europäischen Völkerrechts wohl wirkungsmächtigsten Denkern des ‚spanischen Zeitalters’. Es folgt ein kurzer Unterabschnitt über „Das Kriegsrecht in der Kriegspraxis der frühen Neuzeit“ (44f.).

 

4. Vom Naturrecht zum Positivismus im Zeitalter des Absolutismus“ überschreibt der Verfasser den III. Abschnitt (45-50). Er stellt insbesondere „Die Idee eines übergeordneten Strafrechts in der naturrechtlichen Schule des 17. und 18. Jh.“ heraus (46f.). Mit Recht verweist er auch auf den als Denker bis heute ‚aktuellen’ Schweizer Völkerrechtsklassiker Emer de Vattel († 1767), der 1758 in seinem ‚Le Droit des Gens’ (III 11 § 185) sogar die strafrechtliche Verantwortung eines Fürsten, der einen ‚ungerechten Krieg’ (guerre injuste) führt, bejaht hat. Der Verfasser findet aber auch „Die Idee der Strafbarkeit von Kriegsverbrechen im Völkerrechtspositivismus“ (47f.). Sehr knapp schildert er „Die Amnestiepraxis des 17. und 18. Jh.“ (49)3. Es folgen Bemerkungen über die „Kriminalisierung des Angriffskrieges“ in der Zeit der französischen Revolution (49f.).

 

5. Im  „Exkurs: Piraterie“  (IV. Abschnitt, 50-52) kennzeichnet der Verfasser die Piraterie als ein „frühes Beispiel eines internationalen Verbrechens“ (50), das schon im 17. Jahrhundert nach allgemeiner europäischer Rechtsüberzeugung von jedem Souverän verfolgt werden konnte.

 

6. Nunmehr untersucht der Verfasser (V.) „Die Entstehung völkerstrafrechtlicher Ideen im 19. Jahrhundert bis einschließlich 1918“ (52-61). Im Zusammenhang mit der „Entstehung eines freien Kriegführungsrechts der Staaten“ (52ff.) und der „Kodifikation des ius in bello“ (54ff.) wurde auch die - moderne - „strafrechtliche Verantwortung des Individuums im Kriegsrecht“ (58ff.) ausgeprägt.

 

7. Den VI. Abschnitt nennt der Verfasser „Der Versuch der strafrechtlichen Aufarbeitung des ersten Weltkriegs“ (61-71). Er sieht mit Recht im Versailler Friedensvertrag von 1919 „einen deutlichen Bruch mit der Tradition“ (61)4, im Verzicht auf eine Amnestieklausel ebenso wie in der ausdrücklich vereinbarten Befugnis der Siegermächte, deutsche Kriegsverbrecher vor ihre Militärtribunale zu stellen (Art. 227ff. des Versailler Vertrages, vom Verfasser 450f. als Annex 1 beigefügt). Bei der Entstehungsgeschichte dieser Vorschriften (62ff.) weist der Verfasser auch treffend darauf hin, dass Art.227, nach dem „Wilhelm II. von Hohenzollern, vormaliger Kaiser von Deutschland, wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“ vor einem besonderen internationalen Gerichtshof „unter öffentliche Anklage“ gestellt werden solle, nicht nur auf das anglo-amerikanische Common law gestützt wurde, sondern auch auf Äußerungen Francisco de Vitorias und Emer de Vattels (63). Anschließend schildert der Verfasser das „Schicksal der Strafbestimmungen“ (66f.) und „Die Kriegsverbrecherprozesse vor dem deutschen Reichsgericht“ (67ff.). Danach würdigt er „Die Strafbestimmungen der Friedensverträge von St. Germain, Trianon und Sèvres“ (69ff.).

 

8. Der nun folgende VII. Abschnitt trägt die Überschrift „Die Entwicklung internationaler Strafgerichtsbarkeit und des Völkerstrafrechts in der Zeit zwischen den Weltkriegen“ (71-87). Der Verfasser erörtert zunächst „Das völkerrechtliche Verbot des Krieges und die Frage seiner Sanktionierung“ (72ff.), von der Errichtung des Völkerbundes (72f.) über die Verträge von Locarno (73f.) bis zum Briand-Kellogg-Pakt von 1928 (75ff.). Schließlich diskutiert der Verfasser „Die Idee des Völkerstrafrechts und der internationalen Strafgerichtsbarkeit in der Völkerrechtswissenschaft der Zwischenkriegszeit“ (81ff.), insbesondere die Entwürfe der International Law Association (82ff.) und der Association International de Droit Pénal (84ff.).

 

9. Ausführlich würdigt der Verfasser im VIII. Abschnitt die nach dem Zweiten Weltkrieg vor internationalen Militärtribunalen geführten Strafverfahren gegen ‚Hauptkriegsverbrecher’: „Die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio – Präzedenzfall oder Ausnahmegerichtsbarkeit“ (87-110). Nach der mit der deutschen Kriegführung beginnenden „Entstehungsgeschichte“ (87ff.) behandelt der Verfasser „Das Statut des Nürnberger Gerichtshofs“ (92f.), den „Prozeß“ (93f.) und „Die im Prozeß aufgeworfenen Rechtsfragen“ (94ff.) sowie „Die Kriegsverbrecherprozesse aufgrund des alliierten Kontrollratsgesetz Nr.10“ (97f.). Es folgt ein Unterabschnitt über „Das Internationale Militärtribunal in Tokio“ (99ff.). Abschließend würdigt der Verfasser „Die Bedeutung der Prozesse für die Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit und des Völkerstrafrechts“ (102ff.). In einer „Schlussbemerkung“ (109f.) verneint der Verfasser zwar die Präzedenzwirkung der Prozesse von Nürnberg und Tokio, bejaht aber die grundlegende entwicklungsgeschichtliche Bedeutung: „Zum ersten Mal in der Geschichte wurde der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Führung eines Landes vor den Augen der Weltöffentlichkeit der Prozeß gemacht“ (109).

 

10. Im letzten (IX.) Sachabschnitt des ersten Kapitels stellt der Verfasser „Die Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg“ dar (110-146). Zunächst schildert er „Die Bemühungen der Vereinten Nationen zur Errichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes und Kodifikation des Völkerstrafrechts“ (110ff.), von den „gescheiterten Bemühungen der Nachkriegszeit (110ff.), über  „Die Errichtung der Straftribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen“ (114ff.) in den Jahren 1993 und 1994 bis zur 1995 beginnenden Vorbereitung der 1998 in Rom erfolgten Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes (120ff.). Danach skizziert der Verfasser „Völkerstrafrecht und internationale Strafgerichtsbarkeit in der wissenschaftlichen Debatte seit Ende des zweiten Weltkrieges“ (124ff.). Er gibt dann einen Überblick über „Individualstrafrechtliche Ansätze in den Kodifikationen seit dem zweiten Weltkrieg“ (127ff.), von denen hier nur die Völkermord-Konvention von 1948 (127ff.), die Anti-Folter-Konvention von 1984 (131f.), die vier Genfer Abkommen von 1949 (132ff.) und die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (135ff.) genannt seien. Es folgt noch ein eigener Unterabschnitt über „Das absolute Gewaltverbot und das Verbrechen der Aggression“ (144).

 

11. Eine „Zusammenfassung“ (146-148) beschließt das von der antiken Rechtsgeschichte bis zur juristischen Zeitgeschichte reichende historische erste Kapitel, dem unsere Rezension gewidmet ist.

 

Von den folgenden Kapiteln des Buches seien wenigstens noch die Überschriften genannt: „Legitimationsquellen völkerrechtlicher Strafgewalt“ (2. Kapitel, 149-177), „Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit im Völkerrecht“ (3. Kapitel, 178-230, wobei der Verfasser zum Legalitätsprinzip auf historische Beispiele in den nationalen Rechtsordnungen hinweist, so 186f. auf die Magna Charta von 1215 und 187f. auf die Constitutio Criminalis Carolina von 1532), „Die Legitimation der materiellen Kompetenzen internationaler Strafgerichte“ (4. Kapitel, 231-391, mit ausführlichen Berichten zu Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen), „Einzelprobleme der allgemeinen Grundsätze der Strafbarkeit“ (5.Kapitel, 392-402).

 

Dem Schlussabschnitt („Fazit und Ausblick“, 403-421) folgt das „Literaturverzeichnis“ (422-449), ein „Annex“ (450-482) mit wichtigen Rechtsquellen und ein Register („Index“, 487-491).

 

12. Das vor allem dem geltenden Recht gewidmete Buch des Verfassers ist eine Bereicherung auch für den mit Völkerrecht beschäftigten Rechtshistoriker. Beeindruckend ist, wie hier die Rechtsgeschichte nicht als bloßes Ornament oder als obiter dictum erscheint, sondern als Teil des Argumentationsstranges, durch den das in der Geschichte gegründete geltende Recht besser verständlich wird. Natürlich lässt das umfangreiche historische Einleitungskapitel des Verfassers manche Wünsche der Spezialisten offen, vor allem was die Antike, das Mittelalter und die frühe Neuzeit anlangt. Aber für die Entwicklung seit dem 18.Jahrhundert hat der Verfasser eine treffliche rechtshistorische Darstellung geliefert, zu der wir ihm und uns gratulieren.

 

Hamburg                                                                                                        Karl-Heinz Ziegler



1 Vgl. dazu die Besprechung des Buches von König durch Michael Stolleis in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. 10. 2003 (S. L 30): „Wie lange noch, Amerika?“.

2 Vgl. dazu auch meinen Beitrag: Vae victis – Sieger und Besiegte im Lichte des Römischen Rechts, in: O.Kraus (Hg.), „Vae victis!“ – Über den Umgang mit Besiegten, Göttingen 1998, 45ff.

3 Ausführlich dazu - vom Verfasser nicht erwähnt - J. Fisch , Krieg und Frieden im Friedensvertrag, Stuttgart 1979, 35ff., bes. 103ff.

 

4 Vgl. dazu jüngst Chr. Tomuschat, The 1871 Peace Treaty between France and  Germany and the 1919 Peace Treaty of Versailles, in: R. Lesaffer (ed.), Peace Treaties and International Law in European  History, Cambridge 2004, 382ff.