Lies-Benachib, Gudrun, Immissionsschutz im 19. Jahrhundert (= Schriften zum Umweltrecht 122). Duncker & Humblot, Berlin 2002. IV, 479 S.

Koch, Norbert, Die Entwicklung des deutschen privaten Immissionsschutzrechts seit Beginn der Industrialisierung. Unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses der höchstrichterlichen Rechtsprechung (= Rechtshistorische Reihe 293). Lang, Frankfurt am Main 2004. XXXIX, 395 S.

 

Das private und öffentliche Immissionsschutzrecht nimmt seit der Industrialisierung des beginnenden 19. Jahrhunderts eine Schlüsselstellung im Rechtssystem ein und stellt einen wichtigen Indikator für dessen Funktionsfähigkeit dar. Die bisherigen Arbeiten zum Immissionsschutzrecht von R. Ogorek, A. Thier, P. Preu und Ingo Palmer (vgl. Lies-Benachib, S. 25ff.) behandeln nicht zuletzt im Hinblick auf die Materialfülle nur Teilbereiche der Thematik, indem sie sich auf kürzere Zeitabschnitte beschränken oder anhand kleiner Untersuchungsgebiete arbeiten. Die Werke Lies-Benachibs und Kochs erweitern den zeitlichen Rahmen und die Quellenbasis gegenüber den genannten Darstellungen erheblich und streben eine Gesamtschau an: Die Arbeit Lies-Benachibs für das 19. Jahrhundert hinsichtlich des privaten und öffentlichen Immissionsschutzrechts, Kochs für das private Immissionsschutzrecht des 19. und 20. Jahrhunderts. Aus den Darstellungen ergibt sich folgender Entwicklungsgang: Der einsetzenden Industrialisierung begegnet die gemeinrechtliche Literatur mit einer Ausweitung der römischrechtlichen Quellen (D. 8, 5, 8, 5-7) zur Behandlung der nachbarrechtlichen Immissionsfälle, die allerdings erst 1863 mit der weiten Immissionstheorie Iherings (Einbeziehung auch von Lärm; vgl. Lies-Benachib, S. 41) abgeschlossen war. Ihering stellte mit der Erweiterung der actio negatoria zu einer allgemeinen Eigentumsklage nicht mehr auf die Art und Form der Einwirkung, sondern auf das Maß der Beeinträchtigung ab. Die Bestimmung des zu duldenden Maßes von Immissionen sollte von objektiven Kriterien abhängen (durchschnittliches allgemeines Empfinden; gewöhnliche/ungewöhnliche Nutzung des Nachbargrundstücks). Für Preußen entfiel mit § 25 der GewO von 1845: „Beschwerden über die Untersagung des Gewerbebetriebs können nur bei den Verwaltungsbehörden angebracht werden. Der Rechtsweg findet dagegen nicht statt.“ die Möglichkeit, gewerbliche Immissionen im Rechtsweg untersagen zu lassen. Im Hinblick darauf gewährte das Plenum des Berliner Obertribunals schon 1852 dem immissionsgeschädigten Nachbarn die Möglichkeit, einen vom Merkmal des Verschuldens unabhängigen Schadensersatzanspruch allein aufgrund des Betriebs einer konzessionierten Anlage gegen den Gewerbetreibenden geltend zu machen (vgl. Koch, S. 79ff.). Seit den 70er Jahren setzte sich in der Judikatur die Ansicht durch, dass der im Zusammenhang mit der actio negatoria stehende Schadensersatzanspruch ein Verschulden des Immittenten voraussetze. Jedoch führte dies zu keiner erheblichen Einschränkung der Rechte des Geschädigten, da bei Vorhersehbarkeit des Schadens ein Verschulden generell bejaht wurde. Die Judikatur zum rheinischen Recht war zwar stärker als die innerfranzösische Rechtsprechung am Eigentumschutz (Art. 544 C.N.) orientiert; jedoch kam es unter dem Reichsgericht zu einer Anpassung des rheinischen Rechts an die gemeinrechtliche Judikatur. Die Regelung der §§ 26 ff. preuß. GewO, der das sächsische Gewerbegesetz von 1862 folgte, begründete nach nur geringen Ansätzen den öffentlichrechtlichen Immissionsschutz in Deutschland. Dieser Schutz bezog sich auf einen im Voraus festgelegten Katalog von Gewerbebetrieben. Das Genehmigungsverfahren hatte zu gewährleisten, „dass gefährliche Betriebe entweder gar nicht oder nur unter Gefahr vermindernden Auflagen errichtet und betrieben wurden“ (Lies-Benachib, S. 225). Nach der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens hatten die Nachbarn Gelegenheit, innerhalb einer kurzen Frist Einwendungen gegen den geplanten Gewerbebetrieb vorzubringen. Die Kehrseite dieser Mitspracherechte war der Bestandsschutz für das genehmigte Unternehmen, der zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassen der schädigenden Ausübung des immittierenden Betriebes ausschloss. Damit war der Immissionsschutz „in die Ziele staatlicher Wirtschaftspolitik“ eingegliedert, „was in Preußen mit der Förderung industrieller Gewerbeformen gleichzusetzen war“ (Lies-Benachib, S. 226).

 

Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 (seit 1871 Reichsgewerbeordnung) übernahm das System des preußischen und sächsischen Immissionsschutzes und verdrängte damit für ganz Deutschland den zivilrechtlichen Immissionsschutz zugunsten der Unternehmer. Da insbesondere für den Reichstag die Förderung der Industrie im Vordergrund stand, wurde der Bestandsschutz teilweise erheblich verstärkt. Allerdings hatte der Unternehmer eines bereits genehmigten Gewerbebetriebs bei nicht zu duldenden Immissionen Schadensersatz zu leisten, sofern keine immissionsverhindernde Einrichtungen möglich waren (§ 26 GewO). Bei der Handhabung der Gewerbeordnung durch Gerichte und Behörden ist nach Lies-Benachib weniger eine Verdrängung des zivilrechtlichen Immissionsschutzes als eine Integration in das der Inbetriebnahme vorgeschaltete Genehmigungsverfahren festzustellen (vgl. S. 312ff.). – Der sachenrechtliche Vorentwurf Johows zum Bürgerlichen Gesetzbuch maß der Ortsüblichkeit für die Duldungspflicht eine größere Bedeutung bei als die zeitgenössische Judikatur. Dies ebnete einer Beschneidung des zivilrechtlichen Immissionsschutzes im BGB den Weg. Die 1. BGB-Kommission änderte den Vorentwurf zum Nachteil betroffener Anlieger erheblich, eine Entscheidung, welche die 2. Kommission nur teilweise revidierte. Dem Nachbarn stand als Ausgleich für seine Duldungspflicht weder ein Anspruch auf schadensmindernde Einrichtungen noch auf Schadensersatz zu. Zwar lässt die unklare Fassung des § 1004 BGB eine klare Abgrenzung des Beiseitigungsanspruchs vom Schadensersatzanspruch nicht zu. Jedoch war die besondere Problematik des Verschuldens im Nachbarrecht nicht Gegenstand der Beratungen der BGB-Kommission. Insgesamt waren für diese, den Bundesrat und den Reichstag ökonomische Erwägungen maßgebend für die industriefreundliche Fassung der immissionsrechtlichen Normen des BGB. Allerdings gewährte das Reichsgericht bereits mit seinen Entscheidungen vom 11. 5. 1904 und 12. 10. 1904 (Funkenflug; RGZ 58, 130; 59, 70) im Bereich konzessionierter Anlagen (insbesondere von Kleinbahnen, die nicht dem Eisenbahngesetz von 1838 unterfielen) außerhalb von § 26 GewO Schadensersatzansprüche, die von einem Verschulden des Immittenten nicht abhängig waren. Erst seit einer Entscheidung vom 26. 11. 1932 (RGZ 139, 29) konnte Schadensersatz aufgrund von § 26 GewO nicht nur für die nach der Zeit der Klageerhebung liegenden, sondern auch für frühere Schädigungen gefordert werden. Die auf gegenteiliger Auffassung beruhende, bis 1929 fortgesetzte Judikatur wurde aufgegeben. Mit der sog. 2. Gutehoffnungshütte-Entscheidung vom 10. 3. 1937 (RGZ 154, 161) musste ein Industriebetrieb auch bei ortsüblichen, allerdings existenzbedrohenden Immissionen einem landwirtschaftlichen Betrieb aus dem Gedanken des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses eine Ausgleichszahlung leisten. Nicht näher eingegangen ist Koch in diesem Zusammenhang auf die nationalsozialistische Färbung des Urteils, die teilweise auf dem damaligen Eigentumsbegriff beruht. Allerdings hat das Reichsgericht später (vgl. RGZ 167, 14) den Zusammenhang des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses mit der NS-Ideologie aufgegeben bzw. zumindest durchbrochen und allgemein auf den Grundsatz von Treu und Glauben im besonderen Fall des nachbarschaftlichen Zusammenlebens abgestellt.

 

Dieser Gedanke war dann auch die Grundlage für die Judikatur des Bundesgerichtshofs, die das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis – in erweiterter Form – regelmäßig dem Grundsatz des § 242 BGB unterstellt hat, der auch dem 1959 neu gefassten § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zugrunde liegt: „Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.“ Das Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974 löste die §§ 16-28 GewO ab und ersetzte § 26 GewO durch § 14 BImSchG: „Aufgrund privatrechtlicher, nicht auf besonderen Titeln beruhender Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück kann nicht die Einstellung des Betriebs einer Anlage verlangt werden, deren Genehmigung unanfechtbar ist; es können nur Vorkehrungen verlangt werden, die die benachteiligende Wirkung ausschließen. Soweit solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind, kann lediglich Schadensersatz verlangt werden.“ Eine weitere Novellierung des § 906 BGB erfolgte 1994 (BGBl. I, S. 2457). Auch nach Erlass des BImSchG spielt der Immissionsschutz in der zivilrechtlichen Judikatur eine erhebliche Rolle. § 906 Abs. 2 S. 2 wird inzwischen analog angewandt auf die Fälle unzulässiger Immissionen und Eigentumsbeeinträchtigungen, die aus rechtlichen und insbesondere aus tatsächlichen Gründen nicht (mehr) verhindert werden können (vgl. BGHZ 90, 262 von 1984). Damit sind die Konturen zwischen dem privatrechtlichen Aufopferungsanspruch und dem bisher davon scharf zu trennenden nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch verwischt (Koch, S. 375ff.). Ideelle (sittliche und moralische) Immissionen sowie Verletzungen des Persönlichkeitsrechts als Einwirkung i. S. der bürgerlichrechtlichen Immissionsschutzvorschriften sowie negative Immissionen unterliegen weiterhin nicht dem privaten Immissionsschutzrecht (Koch, S. 341ff., 354f.). Insgesamt ist dieses, so das Fazit Kochs, ein wichtiges Teilgebiet des Nachbarschafts- und Wirtschaftsrechts, deren Bedeutung in Zukunft noch zunehmen werde.

 

Die Werke der beiden Autoren haben je ihre spezifischen Vorzüge: Anders als Koch behandelt Lies-Benachib den öffentlichrechtlichen Immissionsschutz in voller Breite (S. 173-370) sowohl für Preußen als auch für Sachsen. Beginnend mit der polizeilichen Handhabe gegen Immissionen vor 1845 geht sie in diesem Zusammenhang auf den bisher wenig beachteten preußischen Entwurf zu einem Gesetz über die Beschränkung der gewerblichen Benutzung des Grundeigentums von 1831/32 und auf die Entstehung und den Inhalt der Gewerbeordnung von 1845 näher ein. Ähnlich breit ist die Entwicklung des Immissionsschutzes in Sachsen geschildert. Weshalb die Bundesratsvorlagen zur Gewerbeordnung von 1879 gegenüber dem preußischen Recht den Bestandsschutz von gewerblichen Anlagen abschwächen wollten, konnte die Verfasserin nicht klären. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem „Versehen“ (S. 272; vgl. auch S. 255); jedoch hätte hier ein Blick in die Archivmaterialien und die Beratungen der Bundesratsausschüsse vielleicht mehr Klarheit schaffen können. Verdienstvoll ist die breite Heranziehung der Ausführungsverordnungen zur Konkretisierung des öffentlichrechtlichen Immissionsschutzes und die Heranziehung der veröffentlichten Urteile der Verwaltungs- und Zivilgerichte zur Beurteilung nachbarrechtlicher Immissionskonflikte. Ungewöhnlich breit behandelt die Verfasserin die Entstehung der §§ 1004, 906 ff. BGB anhand insbesondere der Materialien der 1. BGB-Kommission, die einer minutiösen Interpretation bedurften. Insbesondere wird die Verfasserin der Position des Sachenrechtsredaktors R. Johow besser gerecht, als dies bisher der Fall gewesen war. Die Abschwächung des privatrechtlichen Immissionsschutzes geht danach in erster Linie auf die 1. BGB-Kommission zurück. Von einem „Aus“ des privatrechtlichen Immissionsschutzes mit den §§ 1004, 906 BGB zu sprechen, dürfte allerdings im Hinblick auf die Entwicklungen im 20. Jahrhundert zu weitgehend sein.

 

Das Werk Kochs widmet sich zur Hälfte (S. 201-395) der Entwicklung des privaten Immissionsschutzrechts im 20. Jahrhundert. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Darstellung der Judikatur, ohne dass dabei die Rechtsdogmatik vernachlässigt wird. Ein Vorzug des Werkes ist darin zu sehen, dass Koch die Leitentscheidungen zum Immissionsschutz detailliert mit Originalzitaten herausstellt. Verdienstvoll ist es, dass Koch auch die bayerische und gemeinrechtliche Judikatur (insbesondere der Obergerichte von Celle und Lübeck) darstellt. Die Entstehung der §§ 1004, 906 ff. BGB ist vergleichsweise knapp behandelt, das durch § 906 BGB eingeführte Merkmal der Ortsüblichkeit wird kaum hinreichend thematisiert. Während Koch für die Zeit bis 1900 den öffentlichrechtlichen Immissionsschutz nur am Rande behandelt, ließ sich dessen Darstellung für die Zeit ab 1959 nicht mehr ganz umgehen (vgl. S. 321ff. insbesondere zur Entstehung des BImSchG von 1974). Nicht näher ein geht der Verfasser auf die Bestrebungen der Akademie für Deutsches Recht und einiger Reichsministerien im Jahre 1938, den § 906 BGB im Hinblick auf die Reichsgerichtsentscheidung in RGZ 154, 161 zu ändern und die Entscheidung über den Ausgleich von Nachbarschäden im Verhältnis von Landwirtschaft und Industrie den ordentlichen Gerichten zu entziehen (vgl. W. Schubert [Hrsg.], Akademie für Deutsches Recht 1933-1945. Protokolle der Ausschüsse, Bd. III 7, Berlin 1995, S. 45 ff.; weitere Materialien demnächst in Bd. XVII der Akademie-Edition). Die BGH-Judikatur ist bis zur Jahrtausendwende hinreichend detailliert dargestellt.

Das Werk Lies-Benachibs bringt für das 19. Jahrhundert wegen der Einbeziehung des öffentlichrechtlichen Immissionsschutzes und der breiteren Materialbasis für das 19. Jahrhundert eine umfassendere Darstellung als Koch. Auf der anderen Seite zeichnet Koch in einem zeitlich weiteren Rahmen die Rechtsprechungs- und Dogmengeschichte zum privaten Immissionsschutzrecht unter Einbeziehung der Zeitgeschichte. Beide Autoren kommen für das 19. Jahrhundert, von einigen Nuancen abgesehen, zu gleichen Ergebnissen, die allerdings bei Lies-Benachib prononcierter formuliert und mitunter detaillierter begründet sind. Zu kurz kommt der historische Rechtsvergleich, wenn man von den Sonderregelungen für das Rheinland absieht (Lies-Benachib, S. 196ff.). Zu bedauern ist, dass das umfangreiche Werk Lies-Benachibs kein Sachregister enthält und die nachgewiesenen Entscheidungen nicht immer mit dem vollen Datum zitiert. Für die Erschließung der behandelten Entscheidungen wäre für das Werk Kochs ein Entscheidungsregister nützlich gewesen. Während sich für das 19. Jahrhundert mit Lies-Benachib feststellen lässt, dass die Verdrängung der zivilrechtlichen Immissionsansprüche der Grundstücksnachbarn in der Summe nicht zu einer Verschlechterung des Immissionsschutzes der Allgemeinheit geführt habe (S. 443), lässt sich für das 20. Jahrhundert eine vergleichbare ähnliche allgemeine Kennzeichnung noch nicht treffen, da eine Gesamtdarstellung des öffentlichrechtlichen Immissionsschutzes (einschl. einer detaillierten Entstehungsgeschichte des BImSchG) noch aussteht. Mit den Werken Lies-Benachibs und Kochs liegen zwei sich ergänzende, gut lesbare Darstellungen vor, welche die Kenntnisse über die Geschichte des Immissionsschutzes der letzten beiden Jahrhunderte erheblich erweitern.

 

Kiel

Werner Schubert