Eine
Geschichte der rechtswissenschaftlichen Lehrbücher ist noch nicht geschrieben.
In ihr verdiente Ludwig Enneccerus wie Struve, Heineccius, Mackeldey,
Windscheid, Larenz oder Brox einen hervorragenden Platz. Beherrschte doch sein
Lehrbuch des bürgerlichen Rechts das frühere 20. Jahrhundert ziemlich
eindeutig, ehe es nach 1933 wegen der Fortführung durch Martin Wolff verboten
wurde.
Bei
dieser Sachlage erstaunt es, dass es lange Zeit keine Monographie über diesen
Marburger Gelehrten gab. Diese Lücke schließt die im Sommersemester 1997 am
Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität angenommene, von Hellmut
Seier betreute Dissertation. Allerdings will sie eine politische Biographie
sein, nicht eine Biographie schlechthin.
Sie
verwertet erstmals umfassend zwei bislang kaum erfasste Quellenbestände. Zum
einen bezieht sie den persönlichen Nachlass ein. Zum anderen greift sie auf den
Geschäftsnachlass Friedrich Althoffs zu, der von 1882 bis 1908 die
Universitätsangelegenheiten Preußens maßgeblich mitbestimmte.
Die grundsätzlich
chronologisch aufgebaute Arbeit gliedert sich in neun Abschnitte. Sie beginnt
mit dem jungen Enneccerus, der als Pfarrerssohn in Neustadt am Rübenberge
geboren wurde, früh den Vater verlor, mit der Mutter nach Hannover
überrsiedelte, 1860 zu Garibaldis Freikorps nach Italien strebte und nach diesem
erfolglosen Ausflug in Göttingen das Studium der Mathematik und nach Eintritt
in das Corps Hildesco-Guestphalia und der Nachholung des Abiturs 1862 das
Studium der Rechtswissenschaft aufnahm, dort den aus Hannover stammenden
Professor für römisches und Landwirtschaft August Ubbelohde (1833-1898) für
sich gewann , am 23. Juni 1868 mit summa cum laude promoviert wurde, sich am
22. April 1870 für römisches Recht habilitierte und am 13. Januar 1873 unter
Förderung durch den zwischenzeitlich nach Marburg gewechselten Ubbelohde nach
Marburg berufen wurde. Es folgen die Marburger Anfangsjahre mit den
persönlichen Lebensverhältnissen, die liberale Politik in Marburg mit der
Gründung des liberalen Vereins (1874), das Wirken als Politiker im
Kommunallandtag und im Provinziallandtag (1877-1898), parallel dazu die
Etablierung in Marburg, die Stellung als Vertrauensmann Althoffs (1883-1908)
und die politische Betätigung in Preußen (1882-1898) sowie die reichspolitische
Wirksamkeit (1887-1898). Den Beschluss bildet das Wirken in Marburg von 1898
bis zum Tod am 31. Mai 1928 kurz nach Erscheinen der von ihm verantworteten
ersten beiden Teilbände seines 1898 bzw. 1900 gemeinsam mit Heinrich Otto
Lehmann vorgelegten und nach Lehmanns Tod (27. 1. 1904) mit Theodor Kipp
(1862-1931) und Martin Wolff (1872-1953) fortgeführten, durch die erfolgreiche
Verbindung von wissenschaftlicher Systematik mit praktischen Fallbeispielen
gekennzeichneten Lehrbuchs in der 34. bzw. 30. Auflage (12. bzw. 10.
Bearbeitung).
Am
Ende ihrer gut lesbaren, eindringlichen Untersuchung sieht die Verfasserin Enneccerus
stark von der Jugendzeit in Hannover geprägt. Sein gesamtes politisches Handeln
ist maßgeblich vom Gedanken des nationalen Gemeinwohls der Deutschen bestimmt.
Daneben fühlt er sich aber deutlich dem Mittelstand, der ihn in seine
politischen Ämter wählte, verpflichtet.
Großes
Gewicht hatte die Beziehung zu Friedrich Althoff. Ihm war er Zuträger und
Vermittler. Zum Ausgleich zog er aus dieser Tätigkeit auch persönlichen Nutzen
für sich und seine Schwiegersöhne.
Als
Liberaler stand er dem Streben der Arbeiterschaft nach politischer Teilhabe
zurückhaltend gegenüber. Auch an der Leistungsfähigkeit eines parlamentarischen
Systems im demokratischen Sinn hegte er Zweifel. Dementsprechend war er
Bismarck stärker verbunden als Weimar.
Dass
in einer politischen Biographie eines Rechtswissenschaftlers und
Parlamentariers die Rechtswissenschaft in den Hintergrund gerät, ist
verständlich. Immerhin wird die Bedeutung für die Rechtswissenschaft nicht ganz
ausgegrenzt und werden die Daten der wichtigen Werke im Anhang aufgeführt.
Vielleicht ermuntert die einleuchtende Enthaltsamkeit der Verfasserin eines
Tages auch einen Juristen, sich mit den rechtswissenschaftlichen Leistungen von
Ludwig Enneccerus, den Gerd Kleinheyer und Jan Schröder immerhin in den Anhang
ihrer deutschen und europäischen Juristen aus neun Jahrhunderten aufgenommen
haben, ähnlich sorgfältig auseinanderzusetzen.
Innsbruck Gerhard
Köbler