Integration
durch Recht. Das Wismarer Tribunal (1653-1806), hg. v. Jørn,
Nils/Diestelkamp, Bernhard/Modéer, Kjell Ǻke (= Quellen und
Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 47). Böhlau, Köln 2003.
XI, 411 S.
In der Hansestadt Wismar fand in 2003 eine
internationale Tagung zwischen Historikern, Rechtshistorikern, Archivaren und
Kulturwissenschaftlern statt. Die unmittelbare Veranlassung dazu war der 350.
Jahrestag der Gründung des Wismarer Tribunals. Das Tribunal sollte das
Oberappellationsgericht der schwedischen Krone für die durch den
Friedensschluss von Osnabrück erworbenen deutschen Provinzen sein. Die
schwedische Krone erhielt unter anderem die Herzogtümer Bremen-Verden, Vorpommern
mit Rügen, dazu von Hinterpommern die Städte Stettin, Garz, Damm und Gollnow und
die Insel Wollin als Provinz der schwedischen Krone in perpetuum, aber doch
zugleich als Lehen des heiligen Römischen Reiches.
Das Thema und die durchgehende Frage des vorliegenden
Bandes ist das Wirken des Tribunals und das damit zusammenhängende Problem, ob
Integration durch Recht geschehen kann und besonders, ob das der Fall war in
den schwedischen Besitzungen. Die Frage „ob und wie Recht und Rechtsprechung
eine integrative Wirkung entfalten können bzw wie sie das im Falle des Wismarer
Tribunals taten“, wird hier nicht völlig beantwortet, aber sehr klar formuliert.
Sowohl die landesinternen Bedingungen für die Wirksamkeit des Tribunals als
auch die Organisation und die Akteure der Rechtssprechung in der schwedischen
Reichslehen werden von deutschen und skandinavischen Forscher debattiert und
analysiert. Die Beiträge sind thematisch und mit Hinblick auf Zielsetzung und
Blickwinkel sehr verschieden.
Als besonders wertvoll und informativ für sowohl
deutsche als auch nordische Leser ist die perspektivierende Konklusion von Nils
Jørn, weil er nicht nur den eigenen Beitrag sondern auch die übrigen Beiträge
des Bandes kommentiert und in seine Überlegungen einbezogen hat. Seine These
ist, dass Herscher seit der Frühen Neuzeit versucht haben, das Recht als ein
Medium übergreifender Integrationsprozesse zu nützen und deshalb ihr Recht in neuerworbenen
Territorien so schnell und umfassend wie möglich einzuführen, danach diese einem
bereits etablierten Obersten Gericht unterzuordnen, und damit ihre Rechtskultur
auf die neuen Untertanen zu übertragen.
Die meisten Beiträgen diskutieren diese
Integrationsfragen mit Hinblick auf die Verhältnisse zwischen Schweden und dem
alten Reich. Die Territorien Bremen, Verden und Vorpommern sowie das Hamburger
Domkapitel standen bis zu dem Westfälischen Frieden 1648 in den alten
Rechtsverbänden, die alle den obersten Reichsgerichten, Reichskammergericht und
Reichshofrat folgten. Die Übertragung der Herrschaft von diesen Territorien an
Schweden war eine lehensrechtliche, was eine erheblich beschränkende Wirkung
für die schwedische Krone hatte. Es wird (S. 390) behauptet, dass Schweden
danach strebte, Entscheidungen von einer territorialen auf eine gesamtstaatliche
Ebene nach Stockholm zu verlagern, und deshalb hinsichtlich der Rechtsprechung selbstverständlich
davon ausging, dass es die neugewonnenen deutschen Territorien ähnlich wie das
1658 eroberte Schonen von Dänemark in seinen Rechtszug eingliedern und das
Stockholmer Hofgericht als letztinstanzliches Gericht auch für ihre Lehen im
Alten Reich durchsetzen könnte. Von Dänemark gesehen muss man aber doch fragen,
ob die Reihenfolge der Begebenheiten nicht eine andere war? Die Lehensvergabe
an die schwedische Krone im Jahr 1648 bedeutete eine Verpflichtung mit Hinblick
auf ein in Deutschland liegendes Oberappellationsgericht, und es wurde bindend
festgelegt, dass die Untertanen dieses Territoriums keinesfall vor schwedische
Spruchkollegien gezogen werden dürfen. Sie sollten das Recht behalten, sich an
die Reichgerichte in bestimmten Fragen zu wenden, die so wie so eine Art Oberaufsicht
über den neuen Gerichtshof in Wismar bekamen.
In Schonen und in den übrigen dänischen
Territorien nach den Frieden der Jahre 1658 und 1660 wollte die schwedische
Großmacht keine gleichen Beschränkungen im Hinblick auf die Gerichtsordnung akzeptieren.
Wohl bekamen die früheren dänischen Untertanen das Recht, ihren alten dänischen
Gesetze zu folgen, in der Praxis aber wurde dieses Recht bald von der
schwedischen Krone beschnitten, und nach 25 Jahren waren die Territorien völlig
schwedifiziert. Vielleicht kann man behaupten, dass die schnelle
Schwedifizierung der alten dänischen Territorien eine Kompensation für die
Beschränkungen der schwedischen Krone in den deutschen Territorien war, wo sie
zugleich hinnehmen musste, dass die Landständen alle Versuche der schwedischen
Krone, das Tribunal visitieren zu lassen, blockierten. Es war auch nicht
möglich schwedisches Recht in Vorpommern einzuführen. Mehrere Beiträge behandeln
genau diese verschiedenen Aspekte dieses Spannungsfeldes zwischen Schweden und
dem deutschen Reich.
Die Herausgeber haben die 27 Beiträge in die
Abteilungen Würdigungen des Wismarer Tribunals, Landesinterne Bedingungen für
das Wirken des Tribunals, Die schwedische Großmacht, Organisation und Akteure
sowie Rechtsprechung eingeordnet. Dem folgen am Ende Beiträge zu den
Aktenbeständen in wichtigen Archiven und die Neuverzeichnung der Prozessakten. Insgesamt
bildet der wichtige Band ein schönes Beispiel integrierender europäischer
Zusammenarbeit in der Rechtsgeschichte.
Dragør/Dänemark Inger
Dübeck