Hoppe,
Katharina, Eigentum, Erbrecht und Vertragsrecht – Die Reformvorstellungen
des Nationalökonomen Adolph Wagner (1835-1917) (= Berliner juristische
Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 26). Berliner Wissenschafts-Verlag
GmbH, Berlin 2003. XIII, 409 S.
Ein „Theoretiker von keiner Bedeutung!“[1],
der „in seidenen Kniehosen […] vom Elend der Schwachen“[2]
spricht, und dem sowohl mathematische Methoden als auch soziologische
Kategorien fehlen[3] – so lautet
das schmähliche Urteil mancher zeitgenössischer Fachkollegen über Adolph Wagner[4].
Heute gilt er allerdings als Mitbegründer der monetären Konjunkturtheorie und
sein „Gesetz von den wachsenden Staatsaufgaben und -ausgaben“[5]
ist jedem Finanzwissenschaftler ein Begriff[6].
Zweifellos hatte Wagner Visionen: In der Zeit der
Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich analysierte er
das geltende Recht des Eigentums, das Erb- und das Vertragsrecht, und formulierte
aus seiner nationalökonomischen Perspektive heraus Reformvorschläge.
Über Wagners Vorstellungen wurden in den
staatswissenschaftlichen und philosophischen Fakultäten Deutschlands bereits in
den 1920er und 1950er Jahren zahlreiche Dissertationen verfasst. Doch aus „spezifisch
rechtshistorischer Perspektive“ blieben sie bislang unbeleuchtet. Diese Lücke
zu füllen, unternimmt nun Katharina Hoppe in ihrer Dissertation, die der
rechtswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr
2002 vorlag. Eines Bekenntnisses darüber, was sie unter einer spezifisch
rechtshistorischen Perspektive versteht[7]
und welcher geschichtswissenschaftlichen Methoden sie sich bedienen will,
enthält sich die Autorin.
Inhaltlich verfolgt sie das Ziel, den „Zusammenhang
zwischen Nationalökonomie und Recht de lege ferenda“[8]
bei Wagner zu erkunden, und seine Visionen im Spiegel zeitgenössischer
Stellungnahmen sowie der Umsetzung durch Gesetzgebung und Praxis zu beurteilen.
In Teil 1 (S. 11-38) umreißt Hoppe die Inhalte der
nationalökonomischen Hauptrichtungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ordnet
ihnen modellhaft Anschauungen über Eigentums-, Erb- und Vertragsrecht zu. Ihre
Ergebnisse sind dabei zwar durchaus plausibel, sie werden aber nicht
überzeugend durch Quellen fundiert. Ob die jeweiligen nationalökonomischen
Richtungen tatsächlich die ihren Protagonisten zugeordneten Gesetzesreformen anstrebten,
ist demnach kaum nachprüfbar.
Die Einführung in den damaligen Diskurs dient als Grundlage
und zugleich als Kontrastmittel, um sodann in Teil 2 (S. 39-252) die Konzepte Wagners
im Hinblick auf Eigentum, Erbrecht und Vertragsrecht im Einzelnen darzustellen.
Ein deutlicher Schwerpunkt liegt hier bei Wagners Untersuchungen über die
Berechtigung des Privateigentums. Dabei berücksichtigt Hoppe vor allem den als
„Grundlegung“ bezeichneten Band von Wagners berühmtem „Lehr- und Handbuch der
Politischen Ökonomie“[9].
Darin hatte Wagner eine von ihm selbst
als „Staatssozialismus“ bezeichnete Position eingenommen. Hoppe verortet diese
zwischen Sozialismus und Liberalismus. Im Einzelnen verkörpere sich diese
Position in Wagners Reformvorstellungen zur Legitimität von Privateigentum,
wenn er beispielsweise kleinbäuerliches Privateigentum zulassen, aber
städtisches Grundeigentum in „die Hände der Gemeinschaft“ geben will. Die kleinteiligen
Differenzierungen, die Wagner dabei anhand der jeweiligen wirtschaftlichen
Funktion des Bodens vornimmt, übernimmt Hoppe in weiten Teilen und verrät hier
besonders deutlich, dass keine eigene Fragestellung und Methode den Gang der Arbeit
prädeterminiert, sondern dass deren Gesamtcharakter darstellerischer Natur ist.
Im Hinblick auf die vertragsrechtlichen Vorstellungen
Wagners, wonach Vertragsfreiheit eine Ausnahme und zwingendes Recht die Regel
sein sollte, stellt Hoppe heraus, dass Wagner hier sozialistischen Anschauungen
folge. Die von ihm angestrebte Kompensation von Ungleichgewichtslagen sei aber
nicht auf den Schutz des Individuums um seiner selbst Willen ausgerichtet,
sondern verfolge stets gesamtwirtschaftliche Ziele. Daher verbiete es sich,
Wagners Reformvorstellungen mit der „modernen Verbraucherschutzgesetzgebung“ in
Verbindung zu bringen. Hoppe verkennt hier, dass das von ihr insoweit zu Grunde
gelegte sozial-interventionistische und paternalistische Verbraucherschutz-Modell[10]
weder die bisherige deutsche Gesetzgebung auf dem Gebiet des
Verbraucherschutzes durchgängig geprägt hat, noch den heutigen Stand der
Wissenschaft widerspiegelt.
Wenn Hoppe sodann in Teil 3 (S. 253-361) ausdrücklich
fragt, inwieweit sich Wagners Reformvorstellungen in Gesetzgebung und Praxis
wieder finden, so wären die augenfälligen Parallelen zum Verbraucherschutzmodell
der 1950er Jahre, das stark durch die Freiburger Schule der Nationalökonomie beeinflusst
war, und schließlich auch zu dem heutigen, europäisch geprägten Verbraucherrechtsmodell
einer näheren Untersuchung Wert gewesen.
Hoppe konstatiert schließlich, dass Wagners Vorstellungen
„teilweise fast ganz, teilweise halb, teilweise aber auch gar nicht“[11]
in gesetzlichen Regelungen Niederschlag fanden. Dies sei zwar nie auf einen konkreten
Einfluss Wagners zurückzuführen gewesen, aber „trotzdem interessant“. Hoppe
verdeutlicht dann jedoch nicht, worin das Erkenntnisinteresse besteht, das diesen
Befund so interessant macht.
Grundsätzlich zu begrüßen sind die vielen Stellungnahmen
und Zusammenfassungen, mit denen Hoppe ihre Leser durch die Arbeit begleitet. Doch
der Anspruch, eine spezifisch rechtshistorische Perspektive einzunehmen, wird
dort kaum eingelöst. Die Stellungnahmen beziehen sich meist auf
unausgesprochene biographische Fragestellungen, insbesondere erscheint die
Arbeit häufig als Versuch, Wagner differenzierter als in der bisherigen
Literatur „einzuordnen“ und den Begriff des „Staatssozialisten“ als
Charakterisierung Wagners mit Leben zu füllen. Hier liegt die Stärke der
Arbeit: Materialreich und ausführlich wird Wagners Werk laufend auf seine
Lozierung im politischen Diskurs zwischen Sozialismus und Liberalismus
untersucht, und im Ergebnis entsteht ein sehr anschauliches und differenziertes
Bild von Wagner. Dies erscheint angesichts der bislang oft kritisierten
„verwinkelten Kompromisshaltung“ und „unklaren mittleren Haltung“[12]
des „geborenen Konfusius“[13]
Wagner bemerkenswert.
Bonn Stefan
Stolte
[1] Alois J. Schumpeter, Die Wirtschaftstheorie der
Gegenwart in Deutschland – Dogmenhistorische und biographische Aufsätze,
Tübingen 1954, S. 272.
[2] Georg Bernhard, in: Heinrich Rubner (Hg.), Adolph
Wagner – Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte 1851-1917, Berlin 1978, S. 293.
[3] Vilfredo Pareto, zitiert nach Heinrich Rubner,
„Wagner, Adolph“, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie Bd. 10, S. 277.
[4] Zur historischen Einordnung Adolph Wagners besonders
hilfreich Thomas Nipperdey,
Deutsche Geschichte 1866-1918 Bd. I, Arbeitswelt und Bürgergeist,
München 1990, S. 665 f.
[5] Adolph Wagner, Grundlegung der politischen
Ökonomie, 3. Aufl. Leipzig 1892, S. 894ff.
[6] Als so genanntes „Wagner’sches Gesetz“, vgl. nur A.
Montaner: Adolph Wager, in Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft,
hg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg 1960 Bd. VIII, S. 395-398, aus
rechtssoziologischer Perspektive jüngst Manfred Rehbinder,
Rechtssoziologie, 5. Aufl. München 2003, Rz. 89 und 173.
[7] Kritisch zu dieser Fragestellung Marcel Senn,
Rechtshistorisches Selbstverständnis im Wandel – Ein Beitrag zur
Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte der Rechtsgeschichte, Zürich
1982.
[8] Katharina Hoppe, Eigentum, Erbrecht und
Vertragsrecht 2003, S. 3.
[9] Adolph Wagner, Grundlegung der politischen Ökonomie, 3.
Aufl. Leipzig 1892.
[10] Exemplarisch für die kaum überschaubare Literatur zum
Verbraucherschutzrecht nennt Hoppe hier Eike von Hippel,
Verbraucherschutz, 3. Auflage, Tübingen 1986, S. 21.
[11] Katharina Hoppe, Eigentum, Erbrecht und Vertragsrecht
2003, S. 336.
[12] So zuletzt Karl-Dieter
Grüske/ Robert von Weizsäcker, Wagners „Grundlegung“ im
Spannungsfeld zwischen Liberalismus und Sozialismus, in: Karl-Dieter Grüske/
Karl Häuser/ Bertram Schefold/ Robert K. von Weizsäcker (Hg.), Adolph Wagners
„Grundlegung der Politischen Oekonomie“. Vademecum zu einem Klassiker der
Finanzwissenschaft, Düsseldorf 1991, S. 57 ff.
[13] Karl Marx, Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie“ (1879/80), in: Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke Bd. 19, Berlin 1962, S. 355-383 (360).