Holzborn, Timo, Die Geschichte der
Gesetzespublikation – insbesondere von den Anfängen des Buchdrucks um 1450 bis
zur Einführung von Gesetzesblättern im 19. Jahrhundert (= Juristische Reihe
Tenea/www.jurawelt.com 39). Tenea, Berlin 2003. 168 S.
Diese Bonner juristische
Dissertation des Jahres 2003 sprengt in jeder Hinsicht den Rahmen, den ihr
Titel vorgibt: Einmal behandelt sie die Zeit seit der Frühantike bis zum Beginn
des 19. Jahrhunderts. Dann versteht
sie die Publikation als „Kundmachung eines Gesetzestextes, sei er nun neu oder lediglich Niederschrift bekannter Rechtsnormen an eine größere
Öffentlichkeit, d. h. eine wenigstens
nicht verschwindend kleine Gruppe von Adressaten“ (S. 3), was weit über den eigentlichen Begriff der Promulgation
hinausgeht. Sodann werden neben eigentlichen
Gesetzen auch Rechtsbücher wie der Sachsenspiegel und der Schwabenspiegel berücksichtigt. Lediglich territorial, soweit es
sich um die Zeit nach dem Frühmittelalter handelt, beschränkt sich die
Untersuchung auf „Gesetze“ des alten deutschen Reiches.
Nach einem rechtstheoretischen Teil (Begrifferklärung, Gesetzesmaterien,
Geltungsart und Gesetzestheorie im Mittelalter) untersucht der Verfasser die
einzelnen Rechtsquellen vornehmlich des alten Reiches, wobei in jedem
Einzelfall die betreffende Rechtsquelle und ihr Adressatenkreis zusammenfassend
vorgestellt werden. Durch diese Einzeluntersuchungen geht allerdings der rote Faden verloren, den man in der
Schlussbetrachtung wiederfindet. Diese Einzeluntersuchungen haben den
Nebeneffekt, dass man hier den allergrößten Teil der edierten deutschen
Rechtsquellen in Form von eigentlichen Regesten aufgelistet findet. Da aber diese Regesten zum größten Teil auf
Sekundärliteratur (namentlich Otto Stobbes Geschichte der deutsche Rechtsquellen) beruht,
sind den Gegenstand der Untersuchung betreffende Zitate aus den Originalquellen
selten, obwohl die Originalquellen über Motive und Adressaten der Kundmachungen wesentlich aufschlussreicher sind als
die Hinweise der Sekundärliteratur,
so zum Beispiel die Präambel des Reichslandfriedens von 1235 oder des „Ad
aeternam rei memoriam“ des Licet iuris von 1338. Zudem zeigen solche
Originalquellen Mischungen von Motiven zur Kundmachung, die dieser ein
zusätzliche wichtige Funktion vermitteln,
so die legitimierende Funktion der Rituale, welche die Kundmachung umgeben (vgl. den letzten Absatz der Präambel der Goldenen
Bulle von 1356 in ihren Nürnberger Fassung). Dann hat die regelmäßige
Verlesung der Rechte auch die Funktion für die Rechtsunterworfenen, darüber zu
wachen, dass nicht der Herrscher diese Rechte durch neue „Gewohnheiten“ oder
sonstigen Änderungen verfälscht (vgl. Bühler, Gewohnheitsrecht und
Landesherrschaft im ehemaligen Fürstbistum Basel 1972 S. 27f. und 162f.).
Mit einzelnen Aussagen des Verfassers kann sich der Rezensent nicht
einverstanden erklären: Auf S. 22 heißt es ohne Angabe von Belegen: „So stellt
sich das Basler Recht von 1474 als Druck der
Bruchschen (!) Sachsenspiegelglosse dar“. Nicht nur ist mir kein „Basler Recht“
von 1474 bekannt, sondern es leuchtet auch nicht ein, weshalb
ausgerechnet Sachsenspiegelrecht in Basel rezipiert wurde, nachdem Basel dafür
bekannt ist, als eine der ersten Städte in der Schweiz das römische Recht rezipiert zu haben (Gründung der Universität
1460!). Dass das lübische Stadtrecht eine derart große Verbreitung
erhielt (S. 63) verdankt es vor allem seiner Kommentierung
durch Mevius. Nicht einig gehe ich mit dem Verfasser, dass die sog. „Gerichtsordnungen“
des 15. bis 18. Jahrhunderts wegen ihres prozessrechtlichen Inhalts nur an das
bei den Gerichten tätige Fachpublikum gerichtet waren (S. 103). Vielmehr
enthielten diese Gerichtsordnungen sehr viel materielles Recht und waren
deswegen, insbesondere wenn sie gedruckt vorlagen, über die Gerichte hinaus
verbreitet. Schließlich ist die Aussage, dass „bestehende Rechtsaufzeichnungen
wie der Sachsenspiegel im norddeutschen Gebiet und der Schwabenspiegel im
süddeutschen Raum immer wieder Hindernisse für die allgemeine Rezeption des römischen Rechts darstellen“ würden,
so nicht aufrecht zu erhalten. Eine „allgemeine Rezeption des römischen Rechts“
hat es vor dem 19.Jahrhundert ohnehin nicht gegeben und der Schwabenspiegel
vermochte auch nicht Rezeptionen aus dem römischen Recht aufzuhalten, wie ich es kürzlich in dieser
Zeitschrift (Germ. Abt. 120/2003 S. 1ff.) für die Schweiz glaube, nachgewiesen zu haben.
Trotz dieser kritischen Bemerkungen ist nicht zu übersehen,
dass die besprochene Dissertation ein
Thema aufgreift, dass nicht nur zentral für die Gesetzgebungsgeschichte ist sondern es durchaus verdient, vertieft zu werden und dass
sie eine umfassende Übersicht über die Rechtsquellen des völlig rechtszersplitterten alten deutschen Reiches
gibt.
Zürich Theodor Bühler