Hlawitschka, Eduard, Konradiner-Genealogie, unstatthafte Verwandtenehen und spätottonische-frühsalische Thronbesetzungspraxis. Ein Rückblick auf 25 Jahre Forschungspraxis (= Monumenta Germaniae Historica, Studien und Texte 32). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2003. XX, 220 S.

 

Wer sich auf das Gebiet frühmittelalterlicher Genealogie begibt, betritt schwankenden Boden. Gesicherte Nachrichten sind oft spärlich und disparat, ihre Verknüpfung zu einem tragfähigen genealogischen Netz ist daher mühsam und bedarf zumeist der logischen Deduktion von Zusammenhängen, die aus den Quellen nicht einfach ablesbar sind, sondern durch eine für Irrtümer anfällige Kombinationsgabe erst gestiftet werden. Die Akzeptanz der Ergebnisse solchen Mühens hängt auf der einen Seite von der sorgfältigen und umsichtigen Musterung aller einschlägigen Quellen ab, andererseits aber auch von den Grundsätzen, nach denen dabei unsichere und eigentümliche Nachrichten in das Gesamtgebäude der Deutung integriert werden. Daß bei einer solchen Arbeit unterschiedliche Wissenschaftstemperamente zu unterschiedlichen Deutungen gelangen können, liegt auf der Hand, zeigt sich aber besonders auch an der Konradiner-Genealogie, die seit etwa einem Vierteljahrhundert heftig umstritten ist und vielstimmig diskutiert wird. Eduard Hlawitschka, verdienstvoller Mittelalterforscher gerade auch auf dem Feld der Genealogie und zugleich profilierter Diskutant in dem langwährenden Streitgespräch, hat daher, veranlaßt durch ein ähnliches Unterfangen seines Hauptwidersachers, des ebenfalls bei seinen Forschungen die genealogische Methode intensiv einsetzenden Rechtshistorikers Armin Wolf, nunmehr aus seiner Sicht die kritische Summe aus einer kontroversen Diskussion gezogen und zusammenfassend Stellung bezogen zu den Abhandlungen, die sich seit 1993, seit seiner letzten Äußerung zum Thema, mit dem konradinischen Stammbaum beschäftigt haben. Es handelt sich dabei um eine Auseinandersetzung mit den Ansichten von Armin Wolf (Kap. II und III ), Donald C. Jackman (Kap. II, IV und VII), Johannes Fried (Kap. V), Christian Settipani und Jean-Pierre Poly (Kap. VI), Josef Heinzelman und Walter Greiner (Kap. VIII) sowie Alois Schütz (Kap. IX).

 

Eigentlicher Stein des Anstoßes für die Kontroverse ist die sog. Richlind-These, die A. Wolf (und ihm folgend auch andere Forscher) seit 1980 vertreten und die Wolf in einem aus dem Jahre 1999 stammenden Nachdruck seiner früheren Schrift weiterhin verficht, wobei er, wie Hlawitschka betont, den Versuch der Kanonisierung der eigenen Theorie und der gleichzeitigen Glorifizierung seiner selbst unternimmt (vgl. S. 5). Zwar habe Wolf seinerzeit richtig gesehen, daß der in späten Quellen genannte „Kuno von Öhningen“ identisch ist mit dem 997 verstorbenen Herzog Konrad von Schwaben, dem Vater des konradinischen Thronprätendenten von 1002 (Hermann II. von Schwaben), doch sei die weitere, nur auf späten und keinesfalls zuverlässigen Quellen beruhende Schlußfolgerung unzulässig, nach der Konrads Gemahlin eine ansonsten unbekannte Richlind gewesen sei, eine nach dubioser Quellenmeinung angebliche Tochter Ottos des Großen, in Wirklichkeit jedoch eine Enkelin dieses Herrschers, wie A. Wolf meint, der in Ottos Sohn Liudolf von Schwaben den Vater der ansonsten nicht bezeugten Richlind erblickt. Eine solche ottonische Abstammung der Mutter Hermanns II. würde dessen Ehe mit Gerberga (von Burgund) allerdings zu einer nach kanonischem Recht unerlaubten Nahehe machen, von der in den zeitgenössischen Quellen jedoch nichts verlautet, obwohl Heinrich II., der 1002 im Ringen um die Königswürde erfolgreiche Rivale Hermanns II., gerade das Kirchenrecht und den Kampf gegen adlige Nahehen wiederholt gegen seine konradinischen Widersacher einsetzte. Da A. Wolf aber zur Absicherung seiner eigenwilligen Vorstellungen von der Bedeutung der ottonischen Verwandtschaft (sog. Tochterstämme; vgl. dazu etwa ZRG Germ. 120, 2003, 548-553) für die Thronbewerbungen im Reich und auch für die Entwicklung der Königswahl eine enge verwandtschaftliche Bindung des Konradiners zu den Ottonen braucht, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die von E. Hlawitschka vorgetragenen Gegenargumente zu entkräften.

 

Hier kann nun nicht der Ort sein, diese kontroverse Diskussion in all ihren Verästelungen vorzustellen, würden die Ausführungen dann doch länger werden als das vorzustellende Buch. Hier kann es vielmehr nur um eine grundsätzliche Würdigung gehen und die fällt meist eher zu Gunsten von E. Hlawitschka aus, der die prinzipiell (noch?) nicht angefochtenen Methoden der modernen Genealogie umsichtig anwendet, allerdings auch dazu neigt, seine Deutungen äußerst apodiktisch vorzutragen, obwohl auch die Prämissen seines Interpretationsansatzes nicht alle so unbezweifelbar sein können, wie er dies gerne hätte. Natürlich kann auch er oft nur Plausibilitätserwägungen für bestimmte Ansichten vortragen, aber diese sind nachvollziehbar und in sich stimmig, während A. Wolf seine Belege auf gewohnte Weise ohne Rücksicht auf zeitliche und räumliche Zusammenhänge zusammensucht und dabei – anders als Hlawitschka – immer auch noch von einem übergeordneten Spezialinteresse geleitet wird, nämlich von dem Bestreben, die von ihm postulierten Regeln des aktiven wie passiven Königswahlrechtes zu beweisen. Dabei werden von ihm ebenso wie von dem ihm zu Hilfe eilenden D. C. Jackman Quellen umgedeutet, neue genealogische Verbindungen konstruiert oder gar neue Rechtsprinzipien erwogen (wie etwa die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Duldung von ansonsten inkriminierten Nahehen oder eine sich auf die Zählung des Verwandtschaftsgrades auswirkende Vorstellung, die von einem nachgeordneten Erbrecht von Halbgeschwistern ausgeht). Insgesamt sind solche Argumentationsbemühungen wenig vertrauenerweckend, weswegen die französische Forschung, den Diskurs gleichsam von außen betrachtend (vgl. Kap. VII), auch weiterhin an der herkömmlichen Konradiner-Genealogie festhält und damit die Thesen von Jackman (und Wolf) ablehnt. Wie dünn allerdings das Eis ist, auf dem sich die genealogische Forschung bewegt, lehrt die Diskussion um den Beitrag von Johannes Fried, dessen Überlegungen von Hlawitschka ebenfalls verworfen werden. Doch bringt dieser Disput, da er sehr stark auf den Hammersteiner Ehehändel ausgerichtet ist, hinsichtlich der Richlind-Problematik kaum etwas Neues (wenn J. Fried auch offenkundig dazu neigt, die Wolfsche Position in dieser Frage zu akzeptieren).

 

Insgesamt jedoch wird man resümierend sagen dürfen, daß Hlawitschka seine Position kenntnis- und gedankenreich  verteidigt, daß seine Ausführungen und Kombinationen, akzeptiert man erst einmal ihre methodischen und gedanklichen Voraussetzungen, überzeugend wirken, daß sich seine Widersacher davon allerdings kaum beeindruckt zeigen werden, weil in manchen Bereichen eben von zu unterschiedlichen Prämissen des Verständnisses ausgegangen wird und es auf diesem Gebiet nur schwer möglich sein wird, zu einer Verständigung zu gelangen.

 

Passau                                                                                                Franz-Reiner Erkens