Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, hg. v. Schmoeckel, Mathias/Rückert, Joachim/Zimmermann, Reinhard, Bd. 1 Allgemeiner Teil §§ 1-240. Mohr (Siebeck), Tübingen 2003. XXVIII, 1121 S.
1. Kommentare im Sinne des juristischen Sprachgebrauchs werden zu
Gesetzen verfasst. Das Gesetz wird abgedruckt und anhand von Rechtsprechung und
Literatur erläutert und kommentiert. Kommentare sind heute die wohl wichtigste
Literaturform für die Rechtsanwendung. Lehr- und Handbücher haben namentlich im
deutschsprachigen Raum demgegenüber stark an Bedeutung verloren. Der historisch-kritische
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, von dem jetzt der erste Band
(Allgemeiner Teil) vorliegt, ist kein Kommentar in dem beschriebenen Sinne. Er enthält nur wenige Worterklärungen im
Stile eines lemmatischen Kommentars. Vielmehr findet man eine Reihe sehr
lesenswerter Essays zum Allgemeinen Teil, die in der Reihenfolge des Gesetzes
und in der äußeren Form eines
Kommentars präsentiert werden. In der Kopfzeile sind die Paragraphen-Nummern
angeführt und der Text enthält (neben einer inhaltlichen Gliederung)
Randnummern. „vor § 1“ BGB ist eine Einleitung von Reinhard
Zimmermann über „Das Bürgerliche
Gesetzbuch und die Entwicklung des Bürgerlichen Rechts“ abgedruckt, sowie
Abhandlungen von Joachim Rückert über „Das BGB und seine Prinzipien: Aufgabe, Lösung, Erfolg“ und Mathias
Schmoeckel zum Thema: „Der Allgemeine
Teil in der Ordnung des BGB“, ehe dann Thomas Duve in den §§ 1-14 „Natürliche Personen,
Verbraucher, Unternehmer“ die historischen Grundlagen der Person und des
Personenrechts darlegt.
Die Wahl der Literaturform
„Kommentar“ wird im Vorwort damit begründet, dass sich das Werk an der
praktischen Aufgabe der Jurisprudenz orientiere, Entscheidungen für bestimmte
Probleme aus Texten zu gewinnen. Die Anlehnung an den Gesetzestext ist aber –
wie gesagt – eher locker. Der Kommentar will weiter den Traditionszusammenhang
sichtbar machen, die „kulturellen, ökonomischen und sozialen Faktoren“, in dem
das BGB steht. Insofern verstehe sich der Kommentar als „historisch“. Das
freilich nicht immer eingehaltene Einheitsschema der Kommentierung ist das
Folgende: Zuerst werden das Regelungsproblem und seine Lösung im Überblick
dargestellt, dann die Lösungswege vor dem BGB, die Kodifikationsgeschichte des
BGB und die Entwicklung seit 1900. Am Schluss stehen „Bilanz und Ausblick“
(vgl. Zimmermann, VI). Nicht ganz verständlich wird zunächst, warum sich der
Kommentar auch „kritisch“ nennt. Im Vorwort erfährt man, dass dieser bis
zuletzt kontroverse „Zusatz“ deswegen gewählt worden sei, weil „vergleichend
weiter gedacht, bilanziert und gewertet“ werde. Es gehe nicht um eine „an sich“
belanglose Schilderung dogmatisch irrelevanter Zusammenhänge. Der Zusatz solle
auch nicht nahe legen, „historische Methode sei an sich unkritisch, noch den
Anspruch erheben, dieser Kommentar sei vor allem kritisch im Sinne von
alternativ“. Man erfährt also, was mit kritisch nicht gemeint ist. Im Übrigen bleibt
das Vorwort zur Funktion eines historisch-kritischen Kommentars eher wolkig.
Zunächst geht es um das historische Auslegungselement (dazu Th. Honsell,
Historische Argumente im Zivilrecht [1982] und D. Klippel, Juristische
Zeitgeschichte [1985]), das ja nicht bei den Motiven und Materialien zum BGB
halt machen kann, weil der Gesetzgeber unstreitig ganz überwiegend nur das
gemeine Recht kodifizieren wollte. Das römische Recht erlaubt darüber hinaus
ein applikatives Verständnis der Rechtsgeschichte, das die Argumentationsformen
und Lösungen einer zeitlosen Dogmatik für das geltende Recht und die
europäische Rechtsvereinheitlichung nutzbar macht. Die eigentliche Bedeutung
einer historischen Betrachtungsweise, welche die Wurzeln unserer
Privatrechtsordnung kennt und sich der Geschichtlichkeit des Rechts bewusst
ist, liegt aber darin, dass sie uns vor einem unkritischen und bildungsarmen
Dogmatismus bewahrt, wie er leider allenthalben begegnet (vgl. Honsell, in: Jörn Eckert [Hg.], Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, FS Hattenhauer [2003] 245). Insofern ist
der Begriff historisch-kritisch durchaus zutreffend. Neben den historischen
Grundlagen will der Kommentar auch die Rechtsvergleichung einbeziehen (Vorwort
VI, vor § 1 Rn 38), was unter europäischem Aspekt geboten ist, aber in den
einzelnen Abhandlungen nicht immer voll eingelöst wird.
2. Im Folgenden greife ich aus den Beiträgen einige
Beispiele heraus, welche die Fruchtbarkeit des historischen Ansatzes
exemplifizieren. So spannt etwa Thomas Duve (Rn 18ff.)
den Bogen vom nasciturus des römischen Rechts gar bis zur Problematik
von wrongful birth und wrongful life. Er zeigt, warum „sich der historische Gesetzgeber
gegen eine Teilrechtsfähigkeit des nasciturus und für das System der
Einzelzuweisung entschied“ (Rn 22). Der Systematik des Gesetzes folgend wird
auch der heute in die §§ 13 und 14 hineingeklebte Verbraucher- und
Unternehmerbegriff kurz gestreift. Unkritisch lobt der Verfasser sowohl das
Verbraucherschutzmodell der Europäischen Union (Rn 80ff.) als auch die
Integration des Verbraucherschutzes in das BGB (Rn 84ff.) und die systematische
Einordnung (Rn 90).
Die Darstellung der juristischen
Person und der Vereine von Fred G.
Bär beginnt mit den collegia
des römischen Rechts und beschreibt die Lehre von der juristischen Person im
19. Jahrhundert (Savignys Fiktionstheorie und Gierkes Theorie von der realen
Verbandsperson). Sodann wird die in der Entstehungszeit des BGB höchst
kontroverse Frage der Rechtsfähigkeit von Vereinen dargestellt. Die seitherige
Entwicklung befasst sich auch mit den Novellierungsbestrebungen während der
NS-Zeit, mit dem Vereinsrecht der Deutschen Demokratischen Republik und
europäischen Vereinheitlichungsbestrebungen. Das Thema der Vereinsautonomie
wird historisch nur bis zu den Protokollen zurückverfolgt. Die Vereinsautonomie
ist freilich viel älter. Nach der Überlieferung war sie bereits in den solonischen
Gesetzen und in den Zwölftafeln enthalten (vgl. Gaius Digesten 47,22,4: his autem potestatem faxit lex, pactionem
quam velint sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant. Sed haec lex
videtur ex lege Solonis tralata esse; s. dazu Honsell, Röm. Recht [5. Aufl.
2002] 25).
Mit den Stiftungen und
juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§§ 80-89 BGB) befasst sich Martin Pennitz. Die Vorschriften
über Sachen und Tiere (§§ 90-103 BGB) kommentiert Thomas Rüfner. Er beschreibt die Geschichte der
Begriffe von Sache, Frucht, Zubehör, wesentlicher Bestandteil usw. seit dem
römischen Recht und zitiert auch einige Entscheidungen zur Problematik im
geltenden Recht. Zusammenfassend konstatiert er einen Bedeutungsverlust
allgemeiner Definitionen. Auch hätten die allgemeinen Definitionen in §§ 90 ff.
BGB ihre Aufgabe, für das gesamte Gesetz einheitliche Begriffe zur Verfügung zu
stellen, nicht erfüllt. Die Geschäftsfähigkeit (§§ 104-115) wird von Andreas
Thier behandelt, die allgemeine Rechtsgeschäftslehre (vor § 104) sowie die
Willensmängel (§§ 116-124) von Martin Josef Schermaier. Thier spannt den
Bogen vom furiosus (Rn 4) des römischen
Rechts bis zum unerkannt Geisteskranken aus den heutigen BGB-Übungen (Rn 34ff.).
Schermaier behandelt u. a. die Willens- und Erklärungstheorie vom 19.
Jahrhundert bis heute sowie die römischen Fallgruppen des Irrtums, die sich in
§ 119 BGB nicht mehr wiederfinden, wohl aber z. B. in Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1-3
des Schweizerischen Obligationenrechts. Verhältnismäßig breiter Raum wird dem
Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB gewidmet. Hier kommen die moderne
Lehre und Praxis stark zu Wort (Rn 62ff., 69ff.). Mit dem Eigenschaftsirrtum
hat sich Schermaier bereits in seiner Habilitation beschäftigt (Schermaier, Die
Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB [2000]).
Nur sehr knapp beantwortet wird die alte, spannende Frage, ob schlichtes
Verschweigen Arglist ist (Rn 105, 120 f.). Cicero hat sie verneint (De officiis 3, 65: Der ägyptische Getreidehändler dessen Schiff als
erstes in Rhodos ankommt, wo Hungersnot herrscht, muss nicht offenbaren, dass
noch zahlreiche andere Schiffe unterwegs sind). Sie wird bekanntlich noch heute
in Frankreich oder den angelsächsischen Ländern sehr viel restriktiver
beantwortet als in Deutschland. Hier gilt grundsätzlich, dass Schweigen
arglistig ist, wenn nach Treu und Glauben eine Informationspflicht besteht und
dass sich eine solche Informationspflicht auf alle Umstände bezieht, von denen
der Vertragspartner nach der Verkehrssitte und Treu und Glauben Aufklärung
verlangen kann. Diese von der Judikatur verwendete Formel bleibt allerdings
unbestimmt und wolkig. Sie ist auf Konkretisierung durch Fallgruppen
angewiesen. Schermaier begnügt sich mit dem Hinweis, dass Wissenschaft und
Praxis bislang keine allgemeinen Maßstäbe entwickelt hätten (Rn 106). Eine
Einbeziehung von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung hätte eine Fülle von
Beispielen und weitere Erkenntnisse gebracht (Rechtsvergleichend zu Irrtum und
Arglist vorbildlich E. Kramer und Th. Probst, International Encyclopedia of
Comparative Law, Vol. VII, Chapter 11: Defects in the Contracting Process
[2001]).
Die §§ 125-129 (Form der
Rechtsgeschäfte) behandelt Rudolf Meyer-Pritzl. Ein romanistischer Schwerpunkt liegt hier auf den Ausführungen
zum Formzweck seit dem römischen Recht. Ferner bei der arglistigen oder
treuwidrigen Berufung auf den Formenmangel. Das Thema ius strictum und ius aequum
zieht sich vom römischen Prätor bis ins moderne Recht. Die restriktive Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (Rn 50ff.) ist auf ein kritisches Echo gestossen (Rn 56
ff.).
Die Frage des Wirksamwerdens von
Willenserklärungen (§§ 130-132) behandelt Peter Oestmann. Hier wird die Geschichte im
Wesentlichen erst im 19. Jahrhundert ergiebig. In dieser Zeit wurden die vier
Theorien (Äußerungstheorie, Übermittlungstheorie, Empfangstheorie und
Vernehmungstheorie) entwickelt. Weiter zurückreichende historische Aspekte
ergeben sich zum Vertragsschluss (§§ 145-156), der ebenfalls von Oestmann
behandelt wurde. Dass gilt z. B. für die aus dem kanonischen Recht stammende
Regel qui tacet consentire videtur, ubi
loqui potuit ac debuit (Rn 33).
Ein zentraler Part ist die
Abhandlung zur Auslegung (§§ 133 und 157 BGB) von Stefan Vogenauer, der
schon mit einer beeindruckenden Dissertation über „Die Auslegung von Gesetzen
in England und auf dem Kontinent“, 2 Bände (2000) hervorgetreten ist. Vogenauer
behandelt zunächst die Entstehungsgeschichte der §§ 133, 157 BGB und die alte
Streitfrage, ob man Auslegungsregeln kodifizieren soll. Sodann erörtert er (Rn
34ff.) die wechselvolle Geschichte der Interpretation von Verträgen zwischen
subjektiver und objektiver Auslegung, Willenstheorie und Erklärungstheorie. Die
um eine Vertrauenstheorie ergänzte Erklärungstheorie hat sich im 19. Jahrhundert
durchgesetzt (Rn 36ff.). Das Bekenntnis zur Willenstheorie in § 133 BGB hat
dieser nicht zum Sieg verholfen. Die Rechtsprechung hat stets daran
festgehalten, dass nicht der innere Wille maßgeblich sei, sondern der objektive
Erklärungswert (Rn 42). Die Auslegung sei zudem normativ, indem sie festlege,
wie die Erklärung verstanden werden sollte (Rn 42). Rn 44 widmet sich Vogenauer
den Auslegungskriterien, den canones.
Er weist auf die Systematisierung der Auslegungskriterien bei Thomasius hin,
der eine grammatische und eine logische Interpretation unterschieden hat sowie
auf den bekannten Viererkanon Savignys. Vogenauer verkennt die Herkunft der
einzelnen Auslegungsargumente oder Kriterien aus der griechischen Rhetorik und
ihre ursprüngliche Funktion als bloße rhetorische Topoi. Diese kamen nach
Belieben zum Einsatz, je nach dem, welche Position der Advokat zu vertreten
hatte. Erst im Laufe der Dogmengeschichte, zuerst wohl seit den Glossatoren,
hat man begonnen, Vorrangregeln aufzustellen (Rn 74). Vogenauer behandelt dann
die bekannteste Maxime in claris non fit
interpretatio (sans-clair-Regel: cum
in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio,
Paulus D.32,25,1). Der Gegentopos findet sich bei Papinian, der sagt, dass bei
Verträgen der Wille Vorrang habe (Papinian D.50,16,219: in conventionibus contrahentium voluntatem potius quam verba spectari
placuit). Auch der ehrwürdige und berühmte Satz des Celsus zur
Gesetzesauslegung (Digesten 1,3,17: scire
leges non hoc est verbum earum tenere, sed vim ac potestatem) war
jedenfalls zunächst (nur) ein rhetorischer topos (vgl. Quintilian, Declamationes
mai. 331). Man lernte dialektisch in
utramque partem zu argumentieren und hatte für jeden Status (verba - voluntas, scriptum - sententiae)
die entsprechenden Topoi (vgl. Honsell, Römisches Recht, 5. Aufl., 2002, 12ff.,
26f.). Erst das 19. Jahrhundert hat den rhetorischen Charakter dieser Topoi
ignoriert. Rhetorik galt als entbehrlich, wo nicht schädlich, weil es in den
Parlamenten und Gerichtshöfen nur um die Wahrheit gehe. Vogenauer behandelt
sodann einige Auslegungsregeln wie z. B. odiosa
sunt restringenda. Hierzu hätte man sich einen Hinweis auf die Regel singularia non sunt extendenda gewünscht
und auf den Streit um ihre Geltung (dagegen z. B. Bydlinski, Juristische
Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. [1991] 440). Auch die sogenannte
Unklarheitenregel in dubio contra
proferentem, die bis tief ins römische Sakralrecht hineinreicht (dazu
Honsell, Ambiguitas contra stipulatorem,
zweite FS Kaser, 1986, 73ff.), wird gerade nur erwähnt.
Die Nichtigkeit wegen Verstoßes
gegen §§ 134-137 (gesetzliche Verbote, relative Veräußerungsverbote und
rechtsgeschäftliches Verfügungsverbot) sowie die §§ 139-141 (Teilnichtigkeit,
Konversion und Bestätigung eines nichtigen Rechtsgeschäfts) werden von Dorn kommentiert. Dorn zeigt zu §139 BGB die
Verallgemeinerung des Satzes utile per in
utile non vitiatur, die seit dem römischen Recht für Restgültigkeit steht,
deren Geltungsbereich allerdings Veränderungen unterlag. Sie ist ein treffendes
Beispiel für Mayer-Malys Beobachtung zur Wiederkehr der Rechtsfiguren (JZ 1971,
1ff.). Denn ungeachtet der klaren Entscheidung des Gesetzgebers (im Zweifel für
Totalnichtigkeit), die auf einem unpraktischen und doktrinären
privatautonom-subjektivistischen Standpunkt beruht, hat sich in praxi die Restgültigkeit, die etwa in
§ 878 ABGB und Art. 20 Abs. 2 OR normiert ist, mehr oder weniger
durchgesetzt (Rn 7). Das weitere Umfeld des favor
negotii wird von Dorn nicht thematisiert.
Die Themen Sittenwidrigkeit und
Wucher (§ 138 BGB) erörtert Hans-Peter Haferkamp. Der historische
Rückblick beschränkt sich auf das 18. und 19. Jahrhundert. Relativ ausführlich
wird das Thema der Bürgschaft von Familienangehörigen diskutiert. Haferkamp
bezweifelt einen Funktionswandel des § 138 „von einer Moralnorm zur richterlichen
Wirtschaftspolitik“ und moniert, dass die Autoren der Funktionswandel-These die
Entwicklung nach 1933 weitgehend ausgeblendet hätten (Rn 7, 23ff.). In Rn 11ff.
werden einzelne Fallgruppen der Sittenwidrigkeit erörtert. Historisch wird der
Begriff der guten Sitten nur bis ins 18. und 19. Jahrhundert zurückverfolgt.
Die boni mores der Römer und die laesio enormis werden nur am Rande
gestreift.
Vor § 145 gibt Sibylle Hofer einen kurzen Abriss des Vertragsbegriffs
des BGB und seiner Geschichte. Auch hier reicht die Darstellung etwa zum Konsens-Begriff
nicht über das Naturrecht hinaus.
Die §§
158-163 (Bedingung und Zeitbestimmung) kommentiert Thomas Finkenauer.
Dies und condicio sind römische Erfindungen, und die römische
Privatrechtsdogmatik ist hier auch im geltenden Recht noch deutlich präsent.
Finkenauer stellt dies eingehend dar. Der Abschnitt über die dogmatische
Entwicklung seit 1900 (Rn 20 ff.) enthält zahlreiche Hinweise zu Literatur und
Judikatur.
Vertretung
und Vollmacht (§§ 164-181 BGB) kommentiert Mathias Schmoeckel. Er schildert
anschaulich die Entwicklung vom grundsätzlichen Fehlen eines
Stellvertretungsrechts im römischen Recht über die Trennung von Auftrag und
Vollmacht im 19. Jahrhundert und die Entwicklung des „juristischen Wunders“
(Rabel) der Stellvertretung. Schmoeckel stellt die maßgeblichen Prinzipien des
Vertretungsrechts dar (Rn 4ff.) und beschreibt die „Verdrängung“ der indirekten
Stellvertretung (Rn 9ff.). Detailreich werden Probleme des geltenden Rechts
abgehandelt, wie etwa die Rechtscheinsvollmachten oder der Missbrauch der
Vertretungsmacht.
Die
Abschnitte über Fristen und Termine (§§ 186-193) sowie über Verjährung (§§
194-225) kommentiert Hans-Georg Hermann. Er behandelt in Rn 7 die
Komputationsprinzipien und sieht richtig, dass sie im römischen Recht wurzeln,
ohne näher auf sie einzugehen. Die Römer waren übrigens nicht nur die Urheber
von Zivilkomputation und Naturalkomputation, sondern sie waren es auch, die den
Tagesbeginn auf Mitternacht gelegt haben (Paulus D.2,12,8: More Romano dies
a media nocte incipit et sequentis noctis media parte finitur). Hermann
erörtert sehr knapp Geschichte und Begriff der Verjährung (Rn 7-11), erwähnt
kurz die Totalrevision durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (Rn 5-6) und
behandelt sodann die ratio legis der Verjährung (Rn 12ff.,) das
Verjährungsrecht der DDR sowie (unter dem Titel „Dogmatische Eckpunkte“)
Anwendungsbereich (Rn 19ff.), Einredekonstruktion (Rn 23ff.) usw.
3. Zusammenfassend
ist zu sagen, dass der historisch-kritische Kommentar ein nützliches Nachschlagewerk
für Wissenschaft und Praxis ist, jedenfalls soweit es um historische Argumente
geht, die freilich von letzterer kaum mehr erörtert werden. Die
Rechtsgeschichte, namentlich das römische Recht ist vom Blickwinkel des
geltenden Rechts betrachtet ein vorzügliches Propädeutikum im Unterricht. Auch
Studenten kämen also als Leser in Betracht. Doch wird man insoweit keine
übertriebenen Erwartungen hegen dürfen.
Ein gewisses Defizit ist es nach
Ansicht des Rezensenten, dass das römische Recht nicht immer hinreichend
thematisiert wird. Auch eine stärkere Einbeziehung der kontinental-europäischen
Nachbarrechte wäre wünschenswert. Was das europäische ius commune anlangt, löst das Buch kaum ein, was im Vorwort
angekündigt und von Zimmermann zurecht immer wieder gefordert wird (vgl. etwa
Zimmermann, Gemeines Recht heute: Das Kreuz des Südens,
FS Hattenhauer [2003] 601ff. m. Nw.;
Zimmermann, Europa und das römische Recht, AcP 202 [2002], 243ff.). Die Geschichte des römischen Rechts in
Europa ist noch nicht zu Ende. Da die römische Privatrechtsdogmatik (die viva vox iuris civilis) in allen
europäischen Kodifikationen einen starken Niederschlag gefunden hat, wäre eine
Rückbesinnung auf ihre Institutionen und Begriffe bei der Schaffung eines
europäischen Zivilrechtsgesetzbuches notwendig und nützlich. Die bisherigen
Entwürfe der Lando-Kommission und der Gandolfi-Gruppe zum allgemeinen
Vertragrecht tragen dem nicht hinreichend Rechnung.
Zürich Heinrich
Honsell