Heuser,
Friederike, Der Erbschaftserwerb im Spätmittelalter. Die Entwicklung der
verschiedenen Arten des Erbschaftserwerbs unter besonderer Berücksichtigung des
Einflusses des römischen Rechts. Eine Untersuchung mit Schwerpunkt im 12.-15.
Jahrhundert (= Europäische Hochschulschriften 2, 3464). Lang, Frankfurt am Main
2002. 139 S.
Wie die
Verfasserin in der Einleitung ihrer in Mainz 2001 angenommenen Dissertation
darlegt, war Anlass für ihre Untersuchung die in den letzten Jahren häufig
erörterte Frage, wie die römisch-rechtlichen Wurzeln für eine europäische
Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Privatrechts nutzbar gemacht werden
können. Eine Untersuchung hinsichtlich des Nachlasserwerbs fehlte bislang. Die
Arbeit geht deshalb der Frage nach, ob das römische Recht Einfluss auf die
Entwicklung der derzeitigen Erwerbsmodi in den europäischen Staaten hatte.
Dabei zeigt sich, dass die vier Wege des klassischen römischen Rechts, wie ein
Erbe den Nachlass erwerben konnte, auch in neueren europäischen Rechtsordnungen
vorkommen: der ipso-iure-Erwerb in
Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz, der Antrittserwerb
in Italien, die obrigkeitliche (in Rom: prätorische) Einweisung in Österreich (durch
die neben der Antrittserklärung erforderliche nachlassgerichtliche
Einantwortung) und der Erwerb durch Zwischenschaltung eines privaten
Treuhänders in den Ländern des common law.
In einem ersten
Teil stellt Heuser die Erwerbsformen des vorklassischen, klassischen und
nachklassischen römischen Rechts dar, wobei sie auf die neueren, beispielsweise
von Kaser zusammengestellten Forschungsergebnisse zurückgreifen konnte, diese
aber auch kritisch diskutiert. Dabei erwarben die sui heredes, also die durch den Tod des pater familias gewaltfrei werdenden Personen (Nachkommen, Ehegatte)
den Nachlass ipso iure und ohne die
Möglichkeit, sich von der Erbschaft zu befreien, wobei ihnen allerdings das
prätorische Recht ein beneficium
abstinendi eröffnete, solange sie sich noch nicht in den Nachlass
eingemischt (se immiscere) hatten.
Die extranei heredes - die gewaltfreien (in der Regel Seiten-)Verwandten des
Erblassers - und die unter der Bedingung si
volet testamentarisch eingesetzten sui
heredes, mussten dagegen die Erbschaft antreten. Der Antritt geschah durch
die pro herede gestio, beispielsweise
durch Besitzergreifung an Nachlassgegenständen, oder durch eine cretio genannte förmliche Erklärung.
Ferner konnte der Erblasser durch Testament einen Treuhänder (familiae emptor) einsetzen, wobei die
Autorin die Auffassung, der Berufene habe das Zugedachte ohne Übertragungsakt
durch den Treuhänder unmittelbar erworben, aufgrund einer Gaiusstelle
anzweifelt. Zu diesen dem ius civile
angehörenden Erwerbsformen kam diejenige durch zu beantragende prätorische
Einweisung hinzu, die bonorum possessio.
Im westlichen Vulgarrecht kam es zu einer Verschmelzung von ius civile und ius honorarium. Dabei verschwand die Besitzeinweisung durch den
Prätor, an ihre Stelle trat eine Besitzergreifung des Prätendenten. Die
Verfasserin gelangt ferner im Anschluss an ältere Literatur und anhand des
Breviarium Alaricianum zu der Ansicht, dass der Vonselbsterwerb der Hauserben
wahrscheinlich durch einen Antrittserwerb abgelöst wurde. Sie findet eine
mögliche Erklärung dafür in einem Bestreben der damaligen Juristen, das sehr
abstrakte Konzept von ipso iure-Erwerb
und beneficium abstinendi durch die
ähnliche, aber einfachere Funktionsweise des Erbschaftsantritts praktisch zu
ersetzen. Im Corpus Iuris wurden
dagegen gemäß der klassischen Auffassung die verschiedenen Erwerbsformen für heredes sui und heredes extranei aufrechterhalten.
Im zweiten Teil
kommt Heuser zum hauptsächlichen Gegenstand ihrer Untersuchung, der
Wirkungsgeschichte des römischen Rechts. Aufgrund einer Auswertung der Glossa ordinaria des Accursius und
bestätigt durch eine Stelle bei Azo zieht die Autorin den Schluss, dass zwar
formal noch zwischen dem ipso-iure-Erwerb
durch die Hauserben und dem Antrittserwerb der Außenerben unterschieden wurde,
jedoch praktisch von einem Antritt als Normalfall des Erwerbstatbestandes auch
hinsichtlich der sui ausgegangen
wurde, wie die für sie mehrfach verwendete Formulierung adire nahe legt. Weitere Bestätigung dafür, dass Hauserben nicht
mehr automatisch, sondern nur durch eine Willensbetätigung erwarben, findet die
Autorin in der Behandlung des se immiscere der sui als negative Voraussetzung für die Inanspruchnahme des beneficium abstinendi. Der von den
Glossatoren im Zusammenhang mit den extranei
behandelte Erbschaftsantritt musste als Willensäußerung des Berufenen nach
Belegstellen in der Glossa ordinaria,
bei Azo und Rogerius entweder ausdrücklich oder schlüssig durch pro herede gestio bekundet werden.
Bei der
Erwerbsform der bonorum possessio scheinen
die Förmlichkeiten für die Antragstellung vor dem Richter entfallen zu sein,
möglicherweise wurde von den Glossatoren selbst ein richterlicher
Einweisungsakt nicht für erforderlich gehalten. Die Beteiligung des familiae emptor am Erwerb der Erbschaft
im Zusammenhang mit der nur noch historisch interessanten Testamentsform per aes et libram wird in den Glossen so
dargestellt, dass er zwischen den Erblasser und den Begünstigten trat, an den
er die Erbschaft weiterzugeben hatte.
Aus der
Kommentatorenliteratur bezieht sich Heuser auf ein consilium des Bartolus, nach dem eine Tochter des Erblassers, die
nicht vorgetragen hatte, dass sie die Erbschaft ausdrücklich angetreten habe,
im Hause ihres verstorbenen Vaters wohnte. Die Erforderlichkeit eines Erbschaftsantritts
der Tochter verneinte Bartolus als nicht vorgeschrieben, allein die Einmischung
genüge, weil ein suus ipso iure Erbe werde. Im Übrigen sei der
Antritt nicht fraglich, weil das Bewohnen des Hauses als pro herede gestio angesehen werde. Die Autorin folgert daraus, dass
Bartolus zwar den ipso iure-Erwerb
als Argument benutzte, seine Ausführungen zum Vonselbsterwerb der Tochter aber
nicht entscheidungstragend seien, da die Einmischung auch als Antritt durch pro herede gestio subsumiert werden könne.
Der Fall sei daher kein Indiz für eine praktische Bedeutung des ipso iure-Erwerbs. Dem kann allerdings
entgegengehalten werden, dass Bartolus im zu beurteilenden Sachverhalt beide
Erwerbsmodi erfüllt sah, so dass er einen ipso
iure-Erwerb nicht dahinstellte, sondern eine Doppelbegründung gab. Da er
indes ausdrücklich die Erforderlichkeit des Antritts verneinte und auf den
Vonselbsterwerb hinwies, wird seine Rechtsauffassung dazu deutlich. Immerhin
ist der Autorin aber darin zuzustimmen, dass Bartolus mit den ebenso
entbehrlichen Ausführungen zur pro herede
gestio auf eine mögliche praktische Relevanz eines Antritts auch bei sui heredes Rücksicht nahm. Im Übrigen
hat die Autorin auch darin Recht, dass die für den Vonselbsterwerb notwendige
Einmischung in der Sache der Antrittsform der pro herede gestio gleichkam. Daneben findet die Verfasserin
Äußerungen von Cinus und Angelus de Periglis Perusini, die sich mit dem
Erbschaftsantritt durch sui heredes
befassen. Im Hinblick auf die Haftung des Hauserben vertrat Baldus die Ansicht,
dass deren Haftung auf einem Quasikontrakt mit dem Gläubiger beruhe, der
seitens des suus durch Einmischung
geschlossen wurde. Die Beweislast für das se
immiscere traf wie beim Antritt den Gläubiger. Die possessio bonorum wurde nach den Feststellungen Heusers von den
Kommentatoren zwar behandelt, hatte aber nur noch geringe praktische Bedeutung.
Erforderlich war eine ausdrückliche Antrags- oder Annahmeerklärung vor dem
Richter, während eine aktive obrigkeitliche Einweisungshandlung nicht mehr
praktiziert wurde. Die Erwerbsform durch Einschaltung eines privaten
Treuhänders scheint in der Kommentatorenzeit bereits in Vergessenheit geraten
zu sein.
Im dritten Teil befasst sich die Arbeit mit dem
Erbschaftserwerb in England. In der vornormannischen Periode gab es
wahrscheinlich beim Tod des Familienoberhauptes einen ipso iure-Erwerb der Nachkommen an Land im Familieneigentum. Durch
die Einführung des normannischen Lehenssystems, nach dem alles Land Lehen des
Königs war, konnte der Lehensmann Land nicht mehr weitervererben, vielmehr
mussten sich seine Erben das Lehen vom Lehensherrn neu verleihen lassen, wozu
dieser aber, wie die Autorin mit einer Zitatstelle bei Glanvill sowie einer
speziellen Klage des Erben gegen den Lehensherrn belegt, dem Erben gegenüber
verpflichtet war. Auf diese Weise wurden Lehen im 12. Jahrhundert vererblich.
Bezüglich des beweglichen Nachlassvermögens legt die Arbeit dar, dass dieses
von den nächsten Verwandten und Freunden des Erblassers und von der Kirche in
Besitz genommen und nach den Regeln der Intestaterbfolge oder gemäß
testamentarischer Verfügung an die Erben verteilt wurde. Die Begünstigten
erwarben somit nicht unmittelbar vom Erblasser, sondern von einem administrator oder executor. Im 17. Jahrhundert erst kam das noch heute bekannte
Trustsystem auf. Durch den Land Transfer Act von 1897 wurde bestimmt, dass Land
wie die übrigen Vermögensgegenstände mit dem Erbfall ipso iure auf den Treuhänder übergeht, der nach Abschluss der
Nachlassverwaltung den verbleibenden Rest an die Erben durch dingliche
Verfügung verteilt.
Erst im Schlusskapitel geht die Verfasserin kurz auf die
Verhältnisse im germanisch-deutschen Recht ein. Dort galt der Grundsatz der
automatischen Nachfolge der Blutsverwandten in den Nachlass, von dem die nicht
an die Erben fallenden besonderen Vermögensmassen und Vermögensgegenstände (wie
die Stammgüter des Adels, Heergewäte und Gerade) Ausnahmen bildeten.
Aufgrund der Rezeption des römischen Rechts wurde in
Deutschland bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs teilweise ein ipso iure-Erwerb der sui heredes, teilweise - wie in
Frankreich - ein Antrittserwerb für alle Erben angenommen. Das zwingende
hoheitliche Einantwortungsverfahren wurde in Österreich in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts eingeführt. Heuser schließt sich der Auffassung an, dass
diese staatliche Verlassenschaftsabhandlung nicht als Fortsetzung der possessio bonorum zu sehen ist, sondern
auf Erwägungen absolutistischer Fürsorge für die Untertanen sowie der
leichteren Eintreibung staatlicher Abgabenforderungen gegenüber dem Nachlass
beruhte. Die zu besprechende Arbeit begründet ferner überzeugend, dass auch die
Erwerbskonzepte des englischen Rechts keine Verbindung zum familiae emptor des testamentum
per aes et libram aufweisen können, schon weil diese Testamentsform den
mittelalterlichen und frühneuzeitlichen englischen Juristen nicht bekannt war
und der Erwerb durch Zwischenschaltung eines administrators ein Testament gerade nicht voraussetzte.
In einem Fazit
stellt die Arbeit heraus, dass sich nur für den Antrittserwerb eine Kontinuität
vom klassischen römischen Recht bis in die Gegenwart belegen lässt, während der
Vonselbsterwerb der Erben verschiedene Wurzeln hat und nicht eindeutig dem
römischen oder germanischen Recht zuzuordnen ist.
Zusammenfassend
kann zu der Arbeit festgestellt werden, dass die Verfasserin mit guter
Quellenbeherrschung die Primärtexte und die dazu verfasste Literatur des 19.
und 20. Jahrhundert eingehend auswertet. Dabei zieht sie aus den nicht immer
konsistenten Quellen mit der angebrachten Vorsicht überzeugende Schlüsse.
Daneben behandelt die Arbeit zum besseren Verständnis die mit dem
Erbschaftserwerb zusammenhängenden Fragen der Erbenhaftung und weitere Aspekte,
wie das mit dem Antrittserwerb auftretende Problem der ruhenden Erbschaft.
Bad Nauheim Reinhard
Schartl