Götz, Heinrich, Lateinisch-althochdeutsch-neuhochdeutsches Wörterbuch (= Beiband zu Althochdeutsches Wörterbuch, hg. v. Grosse, Rudolf). Akademie, Berlin 1999. 723 S.

 

Als zunächst die Germanen im Altertum und dann die Deutschen im Frühmittelalter mühsam von den Römern und den christlichen Mönchen das Schreiben lernten, gelang ihnen dies in der eigenen Sprache nur in bescheidenem Umfang. Deswegen ist noch das frühmittelalterliche Schrifttum des fränkisch-deutschen Reiches im Wesentlichen lateinisch. Die dahinter stehende, nur in einer überschauberen Zahl von Texten und einer größeren Zahl von Glossen sichtbare, vor allem in Übersetzungsvorgängen zu lateinischen Texten überlieferte Volkssprache entspricht aber der Wirklichkeit vermutlich unmittelbarer.

 

Deswegen ist der Wunsch nach lateinisch-althochdeutschen Wörterverzeichnissen bzw. nach einem lateinisch-althochdeutschen Wörterbuch alt. Schon im Vorwort zum seit 1968 auf der Grundlagen vor allem der Arbeiten Graffs, Steinmeyers und Sievers’ erscheinenden althochdeutschen Wörterbuch, auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearbeitet und herausgegeben von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, findet sich ein Hinweis darauf, dass ein lateinisch-althochdeutscher Index zum gesamten althochdeutschen Wortschatz vorbereitet sei. Als freilich unbefriedigende Vorarbeit hierfür wurden von den Mitarbeitern die fertiggestellten Lieferungen nach den lateinischen Gegenwerten verzettelt und wurde eine entsprechende Kartei angelegt.

 

Weil dabei Bedeutungsangaben kaum gegeben wurden und die aktuellen Bedeutungen der lateinischen Stichwörter, welche „die Berechtigung einer althochdeutschen Übersetzung oft erst als berechtigt erkennen lassen“, zumindest weitgehend unberücksicht blieben, entschloss sich der Verfasser, die bis dahin erschienenen Lieferungen des althochdeutschen Wörterbuchs nochmals neu zu verzetteln, woraus sein 1993 vorgelegtes vorläufiges lateinisch-althochdeutsches Glossar zum althochdeutschen Wörterbuch hervorging. Da nach seinem Ausscheiden aus der vierzigjährigen Wörterbucharbeit seine früheren Kollegen sich nicht zur Fortsetzung seiner Arbeit im Stande sahen, las er in den folgenden Jahren die althochdeutschen Texte ab, übersetzte sie und verzettelte sie nach den lateinischen Gegenwerten, wobei es ihm ein besonderes Anliegen war, auch (die bearbeitet vorliegenden) Glossenübersetzungen (der Bände A-H des Wörterbuchs) aufzunehmen und damit die Übersetzungsleistungen auch der (altdeutschen. altenglischen und mittelniederdeutschen) Glossatoren aufzuzeigen. Die Glossen der Wortstrecken von I-Z behielt er wegen der mit ihnen ohne vorausgegangene eingehende Bearbeitung verbundenen Probleme demgegenüber der Zeit nach Erscheinen des von Rudolf Schützeichel angekündigten Glossenbandes zu Rudolf Schützeichels althocheutschem Wörterbuch vor.

 

Das Wörterbuch ist alphabetisch nach den normalisierten lateinischen, mit Bedeutungsangaben hauptsächlich aus Georges’ lateinischem Handwörterbuch versehenen, zahlenmäßig auf rund 10000 zu schätzenden) Lemmata geordnet und mit den volkssprachigen, nach dem Tatianlautstand normalisierten Wiedergaben verknüpft (z. B. abba [bucus idem] lederner Wasser-, Weinbehälter: *bulga). Bei Bedarf wird althochdeutscher Text neuhochdeutsch übersetzt (z. B. iuridicalis gerichtlich [sc. ius] iuridicale strît umbi thaz thiotreht gerichtliche Untersuchung nach festgelegtem Recht N), wobei freilich an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass N(otker von Sankt Gallen) hier iuridiciale schreibt und nicht iuridicale, dass sich thiotreht im althochdeutschen Wörterbuch nur finden lässt, wenn man weiß, dass es an der normalisierten Stelle diotreht steht und dieses diotreht kaum das festgesetzte Recht sein wird, sondern die Wiedergabe des lateinischen ius gentium. In umfangreicheren Artikeln wird nach Bedeutungen gegliedert (z. B. ius Recht, Gesetz-Vorschrift-Verordnung, Rechtsgewalt-rechtliche Befugnis-Verfügungsgewalt, Amtseinrichtung-Amtsstelle, Gericht-Gerichtsverhandlung) und danach das volkssprachige Gegenstück angegeben.

 

Auch wenn auf diese Weise bisher nur ein Teilbereich des altdeutschen Schrifttums erfasst werden konnte und dem Bearbeiter anscheinend auch die einfache Möglichkeit einer Fernleihe oder eines Buchkaufs zu fern zu liegen schien, stellt das Werk eine schöne Lebensleistung dar. In Ergänzung zu anderen Arbeiten (Köbler, Gerhard, Lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch, 1996, mit rund 15000 lateinischen Lemmata) ist es eine angenehme, zusätzliche Hilfe bei der Entschlüsselung des Altdeutschen wie des Mittellateinischen. Dafür ist jedermann dem Verfasser sehr zu Dank verpflichtet.

 

Innsbruck                                                                                                      Gerhard Köbler